Hirnforschung und KI:Neuro-Rechte: Wer schützt unsere Gedanken?
von Ralph Benz
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Technologien, die unsere Gedanken sichtbar machen: Sie werden erprobt, können nützlich sein, aber auch missbraucht werden. Wie lassen sich unsere Gedanken rechtlich schützen?
Es gibt einen Mythos, dass wir zwischen 60.000 und 100.000 Gedanken pro Tag haben. Neuere Studien zeigen jedoch, dass es eher um die 6.000 Gedanken sind. Egal, wie viele es tatsächlich sind, es gibt gute Gründe, sich über unsere Gedanken Gedanken zu machen.
Moderne Neuro-Technologie ermöglicht es, unser Gehirn mit Computern zu verbinden und unsere Gedanken zu analysieren und sichtbar zu machen. Mit Hilfe von "Brain Computer Interfaces" (BCI) und leistungsfähiger Analysesoftware, die von Künstlicher Intelligenz unterstützt wird, können Gedanken in Text umgewandelt und Bilder aus unserem Kopf visualisiert werden.
Kommunikation mit Avatar von Schlaganfall-Patientin
Diese Technologien sind zwar noch in der klinischen Erprobung, aber die Ergebnisse sind erstaunlich. Zum Beispiel können Schlaganfall-Patienten, die ihr Sprachvermögen verloren haben, wieder mit der Außenwelt kommunizieren oder per Gedanken einen Computer steuern.
Forscher haben aus den Hirnsignalen einer 47-jährigen Frau, die seit einem Schlaganfall vor 18 Jahren gelähmt ist und nicht mehr sprechen kann, Worte und Gesichtsausdrücke generiert und diese durch einen digitalen Avatar dargestellt. Angehörige können nun über einen Bildschirm mit dem Avatar kommunizieren, der der Frau in Aussehen, Stimme und Mimik sehr ähnelt.
Obwohl diese Technologien noch in den Kinderschuhen stecken, ist es jetzt schon an der Zeit, über unsere kognitive Privatsphäre nachzudenken: das Recht auf Selbstbestimmung über unser Gehirn und unsere mentalen Erfahrungen. Weltweit machen sich Wissenschaftler Gedanken über den rechtlichen Schutz unserer Gedanken.
Rechtsethikerin: Gedanken vor Fremdeingriffen schützen
Die Rechtsethikerin Nita Farahany, eine führende Stimme in der Debatte über kognitive Freiheit, mahnt, dass es jetzt an der Zeit ist, unsere Gedanken vor Fremdeingriffen zu schützen. Unsere Gedanken können zwar in Zukunft genutzt werden, um Geräte aller Art zu steuern. Doch die Entwickler und Betreiber dieser Analysegeräte haben direkten Zugriff auf die Vorgänge in unserem Gehirn, können sie speichern und weiterverarbeiten.
In China nutzen einige Unternehmen bereits die Daten der Gehirnströme von Mitarbeitenden, um Arbeitsabläufe zu gestalten. Beispielsweise tragen Zugführer*innen der Peking-Shanghai-Hochgeschwindigkeitsstrecke Kopfbedeckungen, die ihre Hirnwellen erfassen, um den Grad ihrer Aufmerksamkeit zu messen. Durchaus ein sinnvolles Tool für mehr Sicherheit.
Ratten wurden künstliche Gedanken importiert
Doch was können Arbeitgeber noch über die Gehirnaktivität dieser Personen erfahren, und wie werden diese Daten genutzt oder eventuell missbraucht? Diese Befürchtungen sind leider nicht so unbegründet. Betreiber von Social-Media-Plattformen führen bereits erste Tests durch, um unsere Hirnwellen zu analysieren und sie mit ihren Inhalten zu verknüpfen.
Die Visionen von Science-Fiction-Autoren, wie in der Matrix-Film-Serie, Informationen digital ins Gehirn hochzuladen, nehmen durchaus reale Formen an. In ersten Labor-Versuchen haben Forscher Ratten falsche beziehungsweise künstliche Gedanken in ihr Hirn "importiert".
Europa diskutiert über Neuro-Rechte
Rechtswissenschaftler, Ethiker und Datenschützer plädieren daher für ein Grundrecht auf kognitive Freiheit - das Recht auf Selbstbestimmung über unser Gehirn und unsere mentalen Erfahrungen. Chile hat bereits Neuro-Rechte in seine Verfassung aufgenommen, und auch auf europäischer Ebene werden Neuro-Rechte intensiv diskutiert und entsprechende Maßnahmen ergriffen.
Ein sinnvoller Ansatz ist, unsere Gedanken in bestehende Datenschutz-Gesetze oder Menschenrechts-Konventionen zu integrieren. Der Kampf um den Schutz unserer geistigen Autonomie hat bereits begonnen.
Quelle: dpa
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