Tierversuche: Was wäre eine Forschung ohne sie?

    Gedankenexperiment:Wie eine Zukunft ohne Tierversuche wäre

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    Kein Tierleid mehr, um Medikamente für Menschen zu testen. Den Tieren würde es in einer Welt ohne Tierversuche sicher besser gehen. Aber gilt das auch für uns Menschen?

    Weiße Ratte hinter einer Lupe
    Kein Tierleid mehr, um Medikamente für Menschen zu testen. Den Tieren würde es in einer Welt ohne Tierversuche sicher besser gehen. Aber gilt das auch für uns Menschen?12.12.2024 | 5:29 min
    In einer Welt ohne Tierversuche bliebe Millionen von Tieren viel Leid erspart. Doch was würde ein solcher Wandel für den Menschen bedeuten? Die Wissenschaft ist sich in dieser Frage nicht einig. Während Tierversuchsgegner von einem Durchbruch alternativer Methoden sprechen, die das Potenzial haben, Tierversuche zu ersetzen und sogar zu verbessern, warnen Befürworter vor einem Verlust medizinischen Fortschritts. Sie befürchten, dass ohne Tierversuche der medizinische Fortschritt stagnieren könnte.

    Ohne Tierversuche kein medizinischer Fortschritt?

    Thorsten Buch, Leiter des Instituts für Labortierkunde an der Universität Zürich, ist überzeugt, dass eine Welt ohne Tierversuche katastrophale Folgen für die medizinische Forschung hätte.

    Es würden Menschen zu Schaden kommen, es würden Menschen sterben.

    Thorsten Buch, Immunologe Universität Zürich

    Viele Therapien, wie etwa eine bahnbrechende Immuntherapie gegen Krebs, wären Buch zufolge ohne Tierversuche nicht möglich gewesen. Diese Entdeckung, für die 2018 der Medizin-Nobelpreis vergeben wurde, beruhte maßgeblich auf Tierversuchen mit Mäusen.
    Durch diese Tests wurde entdeckt, dass Tumorproteine Immunzellen ausbremsen - eine Erkenntnis, die es ermöglichte, diese Bremse therapeutisch zu lösen und den Krebs zu schrumpfen. Laut Buch sei das Tiermodell trotz seiner Unzulänglichkeiten "die beste Möglichkeit, die wir haben", um komplexe biologische Vorgänge im ganzen Körper zu verstehen.
    MAITHINK X -Die Show mit Dr. Mai Thi Nguyen-Kim | Sendung 16 - Tierversuche: Welches Leben retten wir?
    Tiere zu töten, um Menschenleben zu retten, ist mehr als eine ethische Frage. MAITHINK X erklärt, was wir noch nicht über Tierversuche wussten und warum Entscheidungen darüber so komplex sind. 23.10.2022 | 31:40 min

    Tierversuche, die Fortschritte in der Forschung verhindern

    Marcel Leist, Co-Direktor des Zentrums für Alternativen zum Tierversuch in Europa, sieht in einer tierversuchsfreien Welt dagegen eine Chance für größere medizinische Fortschritte.

    Ohne Tierversuche werden wir uns den echten menschlichen medizinischen Problemen mehr zuwenden und daher größere Fortschritte machen.

    Marcel Leist, Toxikologe Universität Konstanz

    Er kritisiert, dass viele gute Stoffe, die im Tiermodell keine Wirkung zeigen, beim Menschen erfolgreich sein könnten. Ein Beispiel dafür sei die Behandlung von Blutvergiftungen, bei der Dutzende getestete Stoffe an Mäusen schließlich wirkten, aber keine der Substanzen beim Menschen Erfolg hatte.
    Laut Leist führt dies dazu, dass der Fokus und gute therapeutische Ansätze verloren gehen, weil sie in Tierversuchen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen, obwohl sie beim Menschen durchaus wirksam sein könnten.
    Reporterin Lotte im Labor mit Organ-Chip und Organe-Grafik
    Forschende arbeiten an einer Methode, mit der man viele Medikamente auch ohne Tierversuche testen könnte - und zwar mit Organ-Chips. Lotte hat sich das genauer angesehen!27.03.2024 | 4:02 min

    Versuche mit menschlichen Zellen als Lösung?

    Die Forschung würde in einem Szenario ohne Tierversuche auf Modelle angewiesen sein, die auf menschlichen Zellen basieren. Viele dieser Modelle existieren bereits: An gezüchteter Haut, sogenannter Episkin, wird heute Kosmetik getestet. Auch die Pharmaindustrie nutzt bereits Organoide - winzige Gewebestücke, die aus menschlichen Zellen gewachsen sind - um nach neuen Wirkstoffen zu suchen.
    Doch über das Potential dieser Modelle sind sich die Experten nicht einig. Leist ist optimistisch und sieht die Organoide als zukunftsträchtige Methode zur Untersuchung der Wirksamkeit von Medikamenten und der Entstehung von Krankheiten.
    Montage: Dirk Steffens, Dr. Nadine Baumgart und eine Labormaus
    Gehören Tierversuche abgeschafft? Dirk Steffens beleuchtet die Frage mit Dr. Nadine Baumgart, Bereichsleiterin Forschung, Biotechnik und Transgen Labor der Uni Mainz.04.06.2021 | 60:36 min

    Riskante Forschung am Menschen

    Das Dilemma der Tierversuchsgegner und -befürworter zeigt sich nicht nur in der Diskussion über medizinische Fortschritte, sondern auch in der Frage der Sicherheit. Würden Tierversuche künftig wegfallen, müsste die Sicherheit von Medikamenten und Behandlungen größtenteils direkt am Menschen getestet werden.
    Dies würde jedoch erhebliche Risiken mit sich bringen, da die Wirkung von Substanzen im menschlichen Körper oft erst in der Anwendung wirklich sichtbar wird. Ohne Tierversuche könnten unerforschte Nebenwirkungen oder unerwartete Reaktionen erst in späteren Phasen von Studien oder bei breiterer Anwendung zum Vorschein kommen.
    Auf der anderen Seite würde sich das Leben der Labortiere drastisch verbessern, da sie nicht länger eigens für grausame Versuche gezüchtet und ihr Leid für wissenschaftliche Experimente ausgenutzt würden.
    Professor Harald Lesch und Professor Karl Lauterbach vor Pharma-Zeichen
    Die Pharmaindustrie entwickelt neue Therapien gegen die großen Geißeln der Menschheit. Worum geht es den Konzernen wirklich? Heilung oder Profit? Harald Lesch macht den Check. 23.07.2024 | 29:46 min
    Quelle: ZDF

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