Virologe Martin Stürmer:"Schlechte Kommunikation bezüglich Impfungen"
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Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Lockdown sind die Folgen noch spürbar. Die Frage nach einer Aufarbeitung steht im Raum. Auch der Virologe Martin Stürmer sieht dringenden Bedarf.
Impfstoffe waren der Weg aus der Corona-Pandemie, da sind sich viele Experten einig. Doch heute, fünf Jahre nach dem ersten Lockdown, bleiben noch einige Fragen offen.13.03.2025 | 17:55 min
ZDFheute: Rückblickend betrachtet, wie bewerten Sie die Maßnahmen der Politik zur Bekämpfung der Corona-Pandemie?
Martin Stürmer: Ich würde insgesamt eher ein positives Fazit ziehen wollen. Gerade am Anfang haben wir einen sehr guten Infektionsschutz betrieben. Im weiteren Verlauf der Pandemie dann aber ein paar Schwierigkeiten gehabt und es ist sicherlich nicht perfekt gelaufen.
... ist Virologe, Leiter eines Medizinlabors und Lehrbeauftragter für Virologie an der Universität Frankfurt.
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ZDFheute: Gab es in der Pandemie Dinge, die Sie anders entschieden hätten?
Stürmer: Ich hätte bis zu dem Zeitpunkt der Impfdiskussion wahrscheinlich genauso entschieden. Im Nachgang ist mir aufgefallen, dass wir eine sehr schlechte Kommunikation bezüglich der Impfungen durchgeführt haben. Wir haben an bestimmten Maßnahmen zu lange festgehalten.
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ZDFheute: Welche Maßnahmen meinen Sie?
Stürmer: Mit den ersten Impfstoffstudien haben wir gesehen, dass das Impfen viele Infektionen vermeiden konnte. Das hat uns dazu bewogen zu sagen, dass wir damit die Chance haben, Infektionsketten zu durchbrechen.
Mit dem Wechsel zur Omikron-Variante Ende 2021 war recht schnell klar, dass diese sich komplett anders gegenüber dem Impfstoff verhält.
Die Kenntnis, dass Omikron eine Variante ist, bei der das Impfen nicht mehr zur sogenannten sterilen Immunität führt, hatten wir schon Ende '21/ Anfang '22.
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Und da hätte man sehr viel früher die ganzen Konzepte beerdigen müssen.
ZDFheute: Den Bürgerinnen und Bürgern wurde gesagt, dass die Impfung auch andere schützt. Es gab entsprechende Kampagnen und auch 2G/3G wurde weiterhin so begründet.
Stürmer: Die Kommunikation der Politik in die Bevölkerung ist definitiv suboptimal gewesen. Die Aufrechterhaltung der 2G/3G-Regeln ist das beste Beispiel. Das Konzept war okay, nachvollziehbar. Aber eben nicht mehr mit Omikron. Da hat man von Seiten der Politik zu spät und auch sehr schlecht kommuniziert. Man hat versucht, Regeln weiterhin zu begründen, für die die Wissenschaft keine Begründung liefern konnte.
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ZDFheute: Was ist mit der Gefahr von Nebenwirkungen? Wurde das in Ihren Augen ausreichend kommuniziert?
Stürmer: Eine Impfung ist ein Eingriff in meinen Körper, ich spritze mir etwas Körperfremdes, mein Immunsystem reagiert. Dass das für die meisten Menschen ohne Komplikationen verläuft, ist natürlich auch durch die massenhafte Verimpfung klar geworden. Aber das heißt nicht, dass es komplett ungefährlich ist. Jede Impfung, jede Tablette, die ich nehme, hat das Potenzial, eine mehr oder weniger schwere Nebenwirkung zu verursachen.
Man hat letztendlich in der Kommunikation diesen Impfstoff zu ungefährlich dargestellt, und das ist nicht gut gewesen.
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Auch hier ein Kommunikationsdefizit. Natürlich wirkt das viel besser, wenn man sagt, der Impfstoff ist komplett harmlos, da kann nichts passieren, als wenn ich sage, ja, der Impfstoff ist an sich gut verträglich, aber es gibt natürlich die Chance oder das Risiko auf Nebenwirkungen. Und da mag die Motivation der Politik auch gewesen sein, bei vielen Menschen die Bedenken zu zerstreuen, sie zum Impfen zu motivieren, das ist meiner Meinung nach der falsche Weg gewesen.
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ZDFheute: Manche Politiker haben von der Pandemie der Ungeimpften gesprochen. Halten Sie diese Aussage für gerechtfertigt?
Stürmer: Nein, es ist nicht gerechtfertigt. Es war klar, dass Ungeimpfte eher von schweren Verläufen betroffen sein könnten als Geimpfte. Insofern haben sie möglicherweise die Krankheitslast in den Krankenhäusern erhöht. Auf der anderen Seite ist es nicht so, dass Geimpfte überhaupt nicht krank geworden sind.
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von Patrick Müthing
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Besonders durch die Omikron-Variante war bezüglich des Ansteckungsrisikos völlig egal, ob ich nun geimpft war oder nicht. Der Impfstoff schließt einen schweren Verlauf nicht komplett aus, sondern reduziert die Wahrscheinlichkeit, schwer krank zu werden.
Das Interview führten Christina-Maria Pfersdorf und Britta Spiekermann.
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