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Nach Ausstieg in Deutschland:Zurück zur Atomkraft: Ginge das überhaupt?
von Michael Wiedemann
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Bei der Klimakonferenz haben 22 Staaten angekündigt, Atomkraft auszubauen. In Deutschland fordern CDU und FDP, sechs abgeschaltete Meiler wieder in Betrieb zu nehmen. Ginge das?
Deutschland hatte im April die Nutzung der Atomkraft zur Energieerzeugung beendet. (Archivbild: Kühltum des Kernkraftwerks Isar 2 in Essenbach bei Landshut)
Quelle: dpa
Am vergangenen Wochenende haben 22 Industrieländer auf der Weltklimakonferenz in Dubai verkündet, dass sie die Nutzung der Atomkraft bis 2050 verdreifachen wollen, um ihre Klimaziele erreichen zu können.
Auch in Deutschland wird eine Rückkehr zur Atomkraft spätestens seit Bekanntwerden der Haushaltskrise wieder ernsthaft diskutiert. Wichtige Politiker der Union, aber auch der FDP fordern unter anderem, Reaktoren, die Ende 2021 und im April 2023 abgeschaltet wurden, wieder in Betrieb zu nehmen - zuletzt beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), FDP-Fraktionschef Christian Dürr und Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Aber ginge das überhaupt? Ein Überblick zur Lage.
Würde das technisch überhaupt funktionieren?
Ulrich Waas, Physiker, früheres Mitglied der Reaktorsicherheitskommission, meint: Im Prinzip ja. Außerhalb des nuklearen Bereichs wurde zwar schon manches verschrottet oder weiterverkauft, etwa Notstrom-Diesel in die Ukraine - aber bei vielen der Kraftwerke seien wesentliche Komponenten noch nicht abgebaut worden.
Welche Kernkraftwerke kämen für einen Wiedereinstieg in Frage?
Von den sechs Kraftwerken, die 2021 und 2023 abgeschaltet wurden, wahrscheinlich fünf: Grohnde, Brokdorf, Neckarwestheim2, Emsland und Isar 2. Bei Gundremmingen C sind die Abbauarbeiten offensichtlich schon zu weit fortgeschritten.
Wie lange würde es dauern, die Meiler wieder anzufahren?
Mit ein bis zwei Jahren müsste man rechnen. Zum einen, weil notwendige Prüfungen zur Sicherheit, insbesondere die sogenannten "wiederkehrenden Prüfungen", die einzelnen Komponenten der Anlagen beispielsweise mit Ultraschall testen, stattfinden müssten.
Aber auch, weil manche der Kraftwerke (etwa Grohnde) schon die "Full System Decontamination", eine Art "säubern" wichtiger Komponenten des Kraftwerks mit sehr aggressiven Chemikalien, durchgeführt haben und man nun deren Auswirkungen auf Dichtungen, Pumpen, Verbindungen und anderes prüfen und diese gegebenenfalls ersetzen müssten.
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- FAQ: Was der Atomausstieg für Deutschland bedeutet
- Chronik: 66 Jahre Atomkraft in Deutschland
- Ausblick: Atomkraft - Abschalten mit Folgen
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Woher kämen die notwendigen Brennelemente?
Immer noch spielt Russland eine wichtige Rolle, wenn es um Brennstoff für Kernkraftwerke geht. Durch seinen Staatskonzern Rosatom, der nicht nur an vielen Uranminen weltweit beteiligt ist, sondern auch Uran anreichert, mischt das Land wesentlich mit im globalen Uran-Brennstoff-Markt.
Aber es gibt auch (teurere) Alternativen: Niger, Kanada, Frankreich, Belgien, wenn es um den Rohstoff und die Anreicherung geht. Und Schweden oder die USA, die fertige Brennelemente liefern könnten.
Übrigens: Auch in Deutschland können Brennelemente produziert werden. Vom Konzern Framatome in Lingen, Offenbach oder Erlangen.
Was würde das alles wohl kosten?
Mit einer kleineren, einstelligen Milliardensumme muss man schon rechnen. Inklusive der Brennelemente. Für manche Experten ist aber klar, dass das deutlich günstiger wäre, als etwa 50 neue Gaskraftwerke zu bauen.
Welche rechtlichen Hürden gibt es?
Im Grunde wäre es gar nicht so schwierig: Man müsste schlicht (erneut) das Atomgesetz ändern und bestimmten Kernkraftwerken gestatten, wieder Strom produzieren zu dürfen.
Als Bundeskanzler Olaf Scholz im Streit über die Atomkraft in Deutschland im Herbst 2022 per "Machtwort" entschied, drei Meiler bis Mitte April 2023 weiterlaufen zu lassen, funktionierte das fast geräuschlos.
Natürlich sollte mit einer Gesetzesänderung einhergehen, dass alle sicherheitstechnischen Anforderungen zum Betrieb eines Kernkraftwerks erfüllt werden.
Gäbe es noch genügend Fachkräfte, die Meiler wieder zu betreiben?
Das ist wahrscheinlich das größte Problem. Von den gut 2.000 Fachleuten, die die Kraftwerke "gefahren" haben, sind zwar noch etwa die Hälfte damit beschäftigt, die Meiler "abzuwickeln". Aber Kraftwerksleitungen und Bedienstete haben nach dem - für viele frustrierenden Ende der Kernkraft hierzulande - längst andere Lebenspläne.
Diese Fachleute neu zu motivieren, so ein Experte, wäre nur denkbar, wenn eine Initiative, die übergreifend Regierungs- und Oppositionsparteien einschließt, glaubhaft versichern könnte, dass der Betrieb der Kernkraftwerke - ungeachtet möglicher Regierungswechsel - mindestens für fünf, besser zehn Jahre gesichert stattfinden würde.
Michael Wiedemann ist Redakteur in der ZDF-Umweltredaktion.
Anmerkung der Redaktion: Es wurde nachträglich ein Verweis auf die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" ergänzt.
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