Nie wieder ist jetzt | Terra-X-Kolumne

    Kolumne

    Terra X - die Wissens-Kolumne:Nie wieder ist jetzt

    von Gert Scobel
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    Jahrzehnte nach der Befreiung des KZ Auschwitz sind rechte Kräfte erneut erstarkt. Wer sie toleriert, tritt Menschenrechte und ihre Geschichte mit Füßen. Zeit dagegen aufzustehen.


    Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch sowjetische Truppen befreit. Von den 7.000 Überlebenden, die die Soldaten dort antrafen, verstarben trotz medizinischer Hilfe viele innerhalb weniger Tage. Die Nazis hatten sie zurückgelassen im Glauben, dass niemand überleben würde.

    In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.

    Noch wenige Tage zuvor hatte die SS bei härtesten Winterbedingungen über 55.000 geschwächte Häftlinge Richtung Westen getrieben - viele von ihnen in den Tod. All das gehört zur Geschichte Deutschlands: Es ist aber zugleich Teil der europäischen und der Menschheitsgeschichte.
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    Das Vernichtungslager Auschwitz – Endstation für über eine Million Menschen. Wir haben in diesem Video fünf Fakten zusammengefasst, die man über Auschwitz wissen sollte.27.01.2021 | 18:42 min

    Das Ende des Glaubens an die Vernunft

    Für mich markiert die industrielle Vernichtung von Menschen ein Ende des Glaubens an das Gute in jedem Menschen. Theodor Adorno und andere hatten Recht, wenn sie feststellten, dass Auschwitz ein Ende des Glaubens an eine Vernunft markiert.
    Geschätzte 1,5 Millionen Menschen starben in Auschwitz, einer brutalen, menschenverachtenden Fabrik des Tötens. Wie viele Menschen genau starben, weiß niemand - wohl aber, warum und wodurch sie starben.
    Gert Scobel
    Gert Scobel stellt Adorno, die rechte Propaganda und die AfD auf den philosophischen Prüfstand: Wie aktuell Adornos Analysen und Thesen geworden sind - bezogen auf die Rhetorik und Aussagen der AfD.13.02.2020 | 33:40 min

    Es beginnt von neuem

    79 Jahre nach der Befreiung des Lagers erleben wir die Wiederkehr dessen, was für längst erledigt gehalten wurde. In ganz Europa wird als Reaktion auf den Erfolg der Rechtsextremen die Abwehr hochgefahren: Wer zu anders ist, zu auffällig, hat nicht nur zunehmend ein Problem, sondern schwebt ebenso in Lebensgefahr wie Menschen, die wie Walter Lübcke helfen wollten.
    Jahrzehnte nach Auschwitz gibt es mitten in Deutschland Menschen, die tatsächlich davon träumen, Deutschland erneut zu säubern. Was nichts anderes bedeutet, als dass Auschwitz keineswegs Geschichte ist. Auschwitz ist ein Geschehen. Es hat neue Zukunft, sofern nicht allen Formen des Rassismus und Antisemitismus vehement widerstanden wird.
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    Das vermeintlich harmlose Gewand der neuen Rechten

    Allerdings sind die Rechtsextremen, mit denen wir es heute zu tun haben, anders. Sie nennen sich Patrioten, konservative Mitte oder Freidenker. Sie werfen völkische Parolen in den Raum - die sie dann als Äußerungen Einzelner abtun, um so den Spielraum der Partei und den Korridor des Sagbaren Zug um Zug zu erweitern.
    Jean Améry beschrieb diese perfide Strategie des Leugnens bereits 1976: Der neue Antisemitismus schleicht um den gestern noch heißen, heute bereits nur noch lauwarmen Brei herum und wartet vertrauensvoll seine gute Stunde ab.
    Proteste gegen AFD
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    Wir brauchen einen Ort der Menschenfreundlichkeit

    Bleibt zu hoffen, dass die drei bundesdeutschen Landtagswahlen und die Europawahl in diesem Jahr keine gute Stunde für die Rechten werden, keine gute Stunde für den Antisemitismus, der nichts anderes ist als eine spezielle Form des Rassismus und der Menschenfeindlichkeit.
    Es liegt an uns. Es kann anders kommen, als die Umfragen derzeit nahelegen. Jeder Staat, der wie die Bundesrepublik weiterhin demokratisch sein will, muss zum Ort der Menschenfreundlichkeit werden: ein Ort des Asyls und Respekts und kein Ort der Erniedrigung. Der alte Spießer-Antisemitismus, wie Améry ihn nannte, war nie weg. Er ist immer noch da. Aber vieles spricht dafür, dass gerade ein neuer Antisemitismus entsteht.
    Gert Scobel
    Das ganze Video zu Kolumne: Gert Scobel über "Der Neue Antisemitismus“ von Jean Améry, der heute wieder erschreckend aktuell wirkt.25.01.2024 | 22:08 min

    Es liegt an uns

    Das Problem ist nicht, dass Parteien wie die AfD Probleme, die es wirklich gibt, klar benennen. Im Gegenteil. Probleme klar zu benennen, ist der erste Schritt zu ihrer Lösung. Doch Populisten wollen neue Probleme mit alten Ressentiments lösen. Sie deaktivieren Mitgefühl, indem sie Hass gegen Minderheiten schüren und dabei die Rückholung angeblich verlorener Paradiese propagieren. Ziel der Rechtsextremen ist es, Demokratien, die durchaus eine Reihe von behebbaren Problemen und Schwächen haben, endgültig zu zerlegen und auszuschalten.
    Das neue Paradies sollte damals nach einer im Geheimen geplanten Durchgangsphase des Terrors entstehen, von der niemand wusste, wie lange sie dauern würde. Die brutale Umsetzung dauerte über ein Jahrzehnt und Millionen Menschen bezahlten mit ihrem Leben: bis Auschwitz am 27. Januar 1945 befreit wurde.
    Heute rechtsradikal zu sein, bedeutet nicht, neue Probleme gemeinsam zu lösen, sondern Unmenschlichkeit wiederholen zu wollen. Dagegen müssen wir aufstehen.
    Schauspielerin Julia Anna Grob in ihrer Rolle als junge Margot Friedländer neben der realen Person Margot Friedländer
    Das Dokudrama "Ich bin Margot Friedländer" schildert die bewegende Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden, die am 5. November 2023 102 Jahre alt geworden ist. 07.11.2023 | 90:11 min

    ...ist Professor für Philosophie und Interdisziplinarität an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sowie Wissenschafts- und Kulturjournalist. Er moderierte "Kulturzeit"; das ARD-Morgenmagazin und seit 2008 das interdisziplinäre Wissenschaftsformat "SCOBEL" sowie die Literatursendung "Buchzeit" auf 3sat. Besonders interessiert ihn Komplexitätsforschung, die Förderung von Bewusstseinskultur, Wissenschaftskommunikation und die Entwicklung einer Ethik der Informatik und Künstlichen Intelligenz. Seit 2019 ist er mit "SCOBEL" auch als Youtuber aktiv.

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