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Ex-VW-Chef vor Gericht:Dieselgate: Was wusste Winterkorn - und wann?
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Gewerbsmäßiger Betrug, uneidliche Falschaussage, Marktmanipulation: Im VW-Dieselskandal steht Ex-VW-Chef Winterkorn ab diesem Dienstag vor Gericht. Was wusste er - und wann?
Hat "Wiko", wie Martin Winterkorn in seiner Zeit als Konzernchef in VW-Kreisen hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, Ingenieure angewiesen, eine illegale Abschaltautomatik in VW-Motoren einzubauen, um so die vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte einzuhalten?
Das ist eine zentrale Frage, die im Prozess gegen Winterkorn vor dem Landgericht Braunschweig geklärt werden soll. Und wenn nicht: Seit wann wusste der heute 77-Jährige, dass eine Betrugssoftware die Messergebnisse für den VW-Motor mit der Typenbezeichnung E 189 schönte?
Und hat er, als er davon erfuhr, sofort eine sogenannte Ad-hoc-Meldung veranlasst, um Aktienanleger und Börse zu informieren? Rund 78 Milliarden Euro Schaden, in dieser Höhe wird der Dieselskandal, der vor etwa neun Jahren aufflog, finanziell bewertet.
Abschaltautomatik: Warnungen gab es viele
Die Entscheidung, eine Abschaltautomatik einzubauen, soll 2005 oder 2006 in der VW-Zentrale in Wolfsburg gefallen sein. Es gibt aber keinerlei Hinweise, dass der damalige VW-Chef Bernd Pischetsrieder darin verstrickt war.
Die Justiz prüft aber, ob der Ursprung der Motormanipulation bei Audi in Ingolstadt lag. Der Audi-Vorstandsvorsitzende zu dieser Zeit hieß Martin Winterkorn, Anfang 2007 stieg er zum mächtigen VW-Konzernchef auf.
Dass Winterkorn - ein Autobauer-Boss mit einem Jahresgehalt von mehr als 17 Millionen Euro - erst im September 2015 von der illegalen Abschaltautomatik erfahren haben will, ist schwer zu glauben.
Dazu die bisher bekannten Fakten: Es gibt ein Schreiben aus dem Jahre 2007 an VW von Autozulieferer Bosch - darin wird vor der illegalen Verwendung der Abgasnachbehandlung gewarnt. Dann die gefürchteten "Schadenstische", eine regelmäßige Sitzung bei VW, wo es um unterschiedliche Schwierigkeiten rund um die Volkswagen-Fahrzeuge geht. Auch da wird das Problem angesprochen.
Und in der sogenannten "Wochenendpost", die der Vorstandsvorsitzende mit nach Hause nimmt, soll es ebenfalls deutliche Hinweise gegeben haben. Also wirklich nichts gewusst?
Warum Winterkorn nichts gewusst haben könnte
Für diejenigen, die das damalige "System VW" kennen, vielleicht doch vorstellbar. Winterkorn ist ein Patriarch von altem Schrot und Korn - Widerworte gibt es in seiner hierarchisch strukturierten Unternehmensführung nicht. Mitarbeiter berichten von Wutausbrüchen, wenn etwas schief läuft. Fehlerkultur ist ein Fremdwort beim damals größten Autobauer der Welt.
Um in den USA mehr Marktanteile zu bekommen, will und muss VW einen sauberen, die strengen Grenzwerte einhaltenden Dieselmotor bauen. Natürlich innerhalb eines festgelegten, finanziellen Rahmens. Die Ingenieure tüfteln, doch es gelingt ihnen nicht, einen Motor zu bauen, der die Vorgaben erfüllt.
Diese heikle Wahrheit Winterkorn zu stecken - undenkbar. Keiner will der Bote der schlechten Nachricht sein. Da kommt der Trick, die vemeintlich "geniale" Idee einer Abschaltautomatik auf - so können die strengen Vorgaben eingehalten werden. Geht doch. Den "Alten" informieren, warum? Ziel ist doch erreicht. So könnte Winterkorn ahnungslos geblieben sein. Ein mögliches Szenario.
Der "Schadenstisch": In welcher Deutlichkeit bei solchen Treffen auf das Problem hingewiesen wurde, dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. Kümmert Euch drum, löst die Sache - so vielleicht die Ansage des Chefs, der dieses Problem als eines unter vielen nicht so ernst nimmt? Und die Wochenendpost? Ein bis zwei Koffer voll seien das in der Regel gewesen, heißt es. Wurde alles gelesen oder nur überschlagen, waren andere Dinge wichtiger? So könnte es gewesen sein.
Winterkorn fünf Jahre nach Anklageerhebung vor Gericht
Wäre es aber so gewesen, hätte der detailversessene Winterkorn in dieser Hinsicht einen schlechten Job gemacht. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, heißt es im Volksmund. Juristisch sieht das jedoch anders aus. Jetzt also der Prozess, der wegen gesundheitlicher Probleme des Angeklagten immer wieder verschoben wurde.
Fünf Jahre nach der Anklageerhebung ist ungewiss, was den ehemaligen VW-Chef in diesem Prozess erwartet. Von Freispruch bis zu zehn Jahren Gefängnis - alles ist möglich. 89 Gerichtstage hat das Landgericht in Braunschweig bisher terminiert, der letzte im September 2025. Wenn es dabei bleibt.
Die Dieselaffäre beschäftigt zahlreiche Straf- und Zivilgerichte, nicht nur in Deutschland. US-Gerichte hatte in dem Zusammenhang bereits 2017 zwei führende VW-Mitarbeiter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. In Deutschland wurden im Juni 2023 der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler und zwei weitere Angeklagte vor dem Landgericht München wegen Betruges verurteilt. Alle drei erhielten Bewährungsstrafen. Rechtskräftig sind die Urteile noch nicht, die Angeklagten hatten Revision eingelegt.
Der Schwerpunkt der strafrechtlichen Aufarbeitung des Diesel-Skandals findet derzeit vor dem Landgericht Braunschweig statt. Neben dem Prozess gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn sind dort fünf weitere Verfahren gegen rund 30 (ehemalige) VW-Mitarbeiter u.a. wegen gewerbsmäßigen Betruges anhängig. Der Prozessbeginn gegen Martin Winterkorn hatte sich aus gesundheitlichen Gründen bislang verzögert.
Quelle: ZDF
Der Schwerpunkt der strafrechtlichen Aufarbeitung des Diesel-Skandals findet derzeit vor dem Landgericht Braunschweig statt. Neben dem Prozess gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn sind dort fünf weitere Verfahren gegen rund 30 (ehemalige) VW-Mitarbeiter u.a. wegen gewerbsmäßigen Betruges anhängig. Der Prozessbeginn gegen Martin Winterkorn hatte sich aus gesundheitlichen Gründen bislang verzögert.
Quelle: ZDF
Oliver Deuker ist Reporter im ZDF-Landesstudio Niedersachsen.
Quelle: dpa
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