Stahlkrise im Revier: Wie weiter bei Thyssenkrupp?
Stahlkrise im Revier:Wie weiter bei Thyssenkrupp?
von Ralph Goldmann
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Nach dem angekündigten Stellenabbau fürchten die Menschen im Siegerland einen Dominoeffekt. Der Traditionskonzern will mit Investitionen in "grünen" Stahl die Wende schaffen.
Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnenvon ThyssenKrupp Steel in Kreuztal heißt es nach dem angedrohten Stellenabbau: Wie geht es weiter?
Quelle: picture alliance / Rene Traut Fotografie
Am Tag nach der Hiobsbotschaft steht Helmut Renk vor dem Werkstor und redet sich in Rage. Der Betriebsratsvorsitzende des Thyssenkrupp-Werks in Kreuztal-Eichen lässt kein gutes Haar an den Managern, die tags zuvor das Aus für den Standort im Siegerland verkündet haben. Der 62-Jährige, der seit mehr als 40 Jahren bei Thyssenkrupp Steel in Kreuztal arbeitet, erklärt:
Kreuztal, das ist eine Kleinstadt mit etwa 30.000 Einwohnern. Thyssenkrupp Steel ist einer der größten Arbeitgeber. Das Werk, ein Oberflächenveredelungszentrum, verarbeitet hier unter anderem für die Automobilindustrie den Stahl weiter, der in Duisburg produziert wird.
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Als er anfing, erzählt Renk, waren im Eichener Werk noch 3.000 Menschen beschäftigt. Jetzt sind es noch 600. Der Konzern will das Werk bis spätesten 2030 schließen. Nur ein paar Autominuten weiter haben sie Angst, die Nächsten zu sein. Das Werk in Ferndorf wird zwar nicht explizit genannt, aber natürlich sind die 350 Beschäftigten auch hier in Sorge um ihre Arbeitsplätze.
Stehen weitere Arbeitspätze auf dem Spiel?
Für die Region ist das angekündigte Aus des Stahlstandortes eine Katastrophe. Der Sozialdemokrat Walter Kiß ist seit 15 Jahren Bürgermeister von Kreuztal und warnt vor einem Dominoeffekt. Hunderte weitere Arbeitsplätze könnten verloren gehen: bei Zuliefer- und Logistikbetrieben, bei Handwerkern oder einfach beim Bäcker um die Ecke. "Das ist schon ein enormer Schlag. Es stirbt ein Stück Industriegeschichte in der Stadt", sagte er dem WDR.
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Viele hier befürchten, dass der Thyssenkrupp-Schock erst der Anfang ist. Und sie fragen sich, ob das sogenannte "industrielle Zukunftskonzept" des Managements überhaupt zukunftsfähig ist. Das ambitionierte Ziel: Thyssenkrupp Steel "langfristig profitabel, wettbewerbsfähig und klimaneutral" aufzustellen.
Doch kann das überhaupt gelingen, wenn es doch externe Faktoren sind, die für den Niedergang der Stahlbranche verantwortlich gemacht wird: die schwächelnde Autoindustrie, hohe Energiekosten und zu viel Stahl aus China, der die Preise nach unten drückt? Helmut Renk kann darüber nur lachen und sieht die Gründe vor allem beim Management:
In Übersee habe das alte Management dagegen schon vor vielen Jahren falsch investiert und so in den USA und Brasilien Milliarden versenkt.
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Stahlproduktion aus klimaneutralem Wasserstoff
100 Kilometer weiter nordwestlich von Kreuztal kann man jetzt beobachten, wo und wie Thyssenkrupp sich die Zukunft vorstellt und wieder mal Geld in die Hand nimmt. Auf dem Werksgelände in Duisburg-Bruckhausen entsteht als Ersatz für die alten Hochöfen eine sogenannte Direktreduktionsanlage.
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Statt mit Kohle soll dort mit klimaneutralem Wasserstoff Stahl hergestellt werden. Geplante Fertigstellung: 2027. Bund und Land finanzieren das Projekt mit zwei Milliarden Euro. Möglicherweise wird das nicht reichen.
Denn die große Frage ist, wer den dann produzierten "grünen" Stahl überhaupt kaufen soll. Und ist er überhaupt wettbewerbsfähig? Thyssenkrupp-Chef Miguel López hat das sogar schon öffentlich infrage gestellt, die Diskussion darüber aber dann schnell wieder eingefangen. Der Umstieg auf "grünen" Stahl scheint der letzte Strohhalm zu sein.
Deswegen sei es "gut und richtig, dass diese Investitionen auf jeden Fall durchgehalten werden".
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Politiker uneins
Ob dafür am Ende aber überhaupt genug Geld da ist, ist völlig offen. Die SPD in Nordrhein-Westfalen ruft schon nach Staatshilfen. "Solange die Landesregierung einen staatlichen Einstieg bei Thyssenkrupp weiterhin kategorisch ablehnt, wird López seinen schonungslosen Rationalisierungskurs fortsetzen", heißt es in einer Mitteilung.
Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) sieht keinen Handlungsbedarf, zeigt Solidarität und nimmt das Management in die Pflicht: "Ich will, dass das Herz aus Stahl auch weiterhin in Nordrhein-Westfalen schlägt. Ich gehe deshalb davon aus und erwarte auch, dass der jetzt angekündigte Restrukturierungsprozess ohne soziale Härten auskommt."
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Wie es bei Thyssenkrupp weitergehen soll, sollten Betriebsräte wie Helmut Renk vom Vorstand auf der einer Betriebsversammlung in Duisburg erfahren. Konkrete Pläne aber gibt es noch nicht, das Ergebnis eines Gutachtens steht noch aus. Aber es wurde hitzig, berichten Beobachter.
Betriebsrat und Gewerkschaften wollen erst wieder mit dem Management verhandeln, wenn betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen endgültig vom Tisch sind. Es werden Wochen und Monate der Ungewissheit. Renk ist ein Mann der klaren Worte:
Quelle: ZDF
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