Dauerthema Arbeitskampf: Hat das Streikrecht auch Grenzen?

    Dauerthema Arbeitskampf:Hat das Streikrecht auch Grenzen?

    von Lara Leidig, Rebekka Solomon und Christoph Schneider
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    Ob bei Bahn, im Luftverkehr oder in Kliniken - es droht ein Jahr der Streiks in Deutschland. Wie sieht es mit dem Streikrecht hierzulande eigentlich aus?

    Verdi-Streik (Archiv)
    Quelle: dpa

    Es wird ein Jahr vieler Arbeitskämpfe - das wurde schon Anfang des Jahres mit dem tagelangen Ausstand bei der Bahn und anderen Streiks deutlich. Aus der Politik, vor allem aus Union und FDP, kam der Ruf, das Streikrecht zu verschärfen.
    Wie hat es sich entwickelt, was sind die wichtigsten Regelungen, unter welchen Voraussetzungen können Streiks verboten oder eingeschränkt werden - wichtige Fragen und Antworten im Überblick:

    Woher kommt das Streikrecht und warum ist es wichtig?

    Schon im Laufe des 19. Jahrhunderts bildete sich das sogenannte Recht auf Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit heraus. Hierunter wird auch das Streikrecht gefasst. Es ist verfassungsrechtlich abgesichert als Menschenrecht für jedermann und alle Berufe, nicht bloß für deutsche Staatsbürger - so steht es in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes.

    Eingeführt wurde es, um in der Industriegesellschaft die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen. Denn das Arbeitsverhältnis ist gekennzeichnet durch ein soziales Machtgefälle. Der Arbeitgeber ist aufgrund seiner Finanzstärke und Größe dem Arbeitnehmer in der Regel überlegen. Durch das Recht auf Bildung von Berufsverbänden und das Streikrecht soll die Position des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin gestärkt werden. Besonders wichtig ist das Streikrecht, um zu gewährleisten, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich auf Augenhöhe begegnen und Arbeitnehmerforderungen ernst genommen werden.
    Jeder Beschäftigte hat das Recht, an einem Streik teilzunehmen, auch wenn die Person nicht Mitglied einer Gewerkschaft ist.
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    Wo ist das Streikrecht geregelt?

    Die grundlegende Garantie des Streikrechts findet sich in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes. Konkrete Vorgaben und Regeln, wie und wann ein Streik durchgeführt werden darf, findet sich nicht im Gesetz, sondern wurde in den letzten Jahrzehnten durch sogenanntes Richterrecht geprägt - also Urteile, die bei arbeitsgerichtlichen Klagen rund um Streiks ergangen sind.

    So entschied 1971 das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurteil, dass Arbeitskampfmaßnahmen grundsätzlich unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit stehen. Es ist heute gültig.
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    Viele Arztpraxen blieben unlängst geschlossen, wegen niedriger Löhne und dem zu hohen Arbeitspensum - mit Folgen. Am Nachmittag kam eine Tarifeinigung.08.02.2024 | 1:39 min

    Wo liegen die Grenzen beim Streikrecht?

    Inhaltlich garantiert das Streikrecht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden und zu demselben Zweck Arbeitskämpfe zu führen. Aber: Nicht jeder Streik ist auch rechtmäßig. Es gibt Grenzen, die eingehalten werden müssen. So darf der Streik nur durch eine Gewerkschaft geführt werden und nicht durch einzelne Arbeitnehmer.

    Auch muss sich die Streikaktion gegen einen konkreten Tarifpartner richten. Und: Ziel des Streiks müssen Regelungen sein, die in einem Tarifvertrag vereinbart werden dürfen. Zudem muss eine tarifvertragliche Friedenspflicht beachtet werden, wenn sie vereinbart wurde. Abschließend gilt der Spruch des Bundesarbeitsgerichts aus 1971, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist.
    Ein Streik sollte also das letzte Mittel zur Durchsetzung der Interessen einer Belegschaft sein, wenn alle anderen Mittel erfolglos waren. Sollte ein Streik diese Grenzen überschreiten, also rechtswidrig sein, kann er auch gerichtlich verboten werden.
    Streikendes Personal mit GDL-Fahne (l), Tafel mit Zugausfällen (r), GDL-Chef Claus Weselsky (m)
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    Welche Rechtsmittel gibt es, Streiks zu stoppen?

    Sieht sich der Arbeitgeber einem rechtswidrigen Streik gegenüber, kann er gerichtlich Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen die Gewerkschaft geltend machen, die zum Streik aufgerufen hat.
    Möchte er rasch einen bevorstehenden Streik verhindern, kann er beim Arbeitsgericht einen Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geltend machen.
    Streikende Arbeitnehmer, deren Streik nicht von einer Gewerkschaft getragen wird, können auch einzeln vom Arbeitgeber sanktioniert werden: Abmahnungen und Kündigungen können bei einem sogenannten "wilden Streik" erfolgen.

    Unter welchen Voraussetzungen könnte das Streikrecht verschärft werden?

    Aus Wirtschaft und Politik erklingen immer wieder Forderungen nach einer Verschärfung des Streikrechts.
    Die Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann (CDU) will Einschränkungen des Arbeitskampfes in Bereichen kritischer Infrastruktur wie Krankenhäuser oder der Bahn . Streiks bei müssten mindestens vier Tage vorher angekündigt werden und sollen auch nur dann möglich sein, wenn es vorher einen Schlichtungsversuch gegeben habe. Der Arbeitsrechtler Clemens Höpfner schlägt zum Schlichtungsversuch ein entsprechendes Schlichtungsgesetz auf Bundesebene vor.
    Möglich ist eine Verschärfung des Streikrechts - und damit eine Einschränkung des Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes. Bisher bestand aber an einer gesetzgeberisches Normierung des Streikrechts kein größeres politisches Interesse.

    In anderen europäischen Ländern wurden die Streikgesetze bereits verschärft, so in Italien und Frankreich. Auch Großbritannien hat ein solches für kritische Bereiche ("Essential Services") erlassen.  

    Lara Leidig, Rebekka Solomon und Christoph Schneider arbeiten in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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