Klimaschutz in China: Milliardenbetrug in der Ölbranche?

    Exklusiv

    Klimaschutzprojekte in China:Milliardenbetrug in Ölbranche? Darum geht's

    von H. Koberstein, M. Orosz, N. Niedermeier
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    Ölkonzerne haben ihre Klimaschutzpflichten offenbar mit vorgetäuschten Projekten erfüllt - das zeigen ZDF-frontal-Recherchen. Das Umweltbundesamt spricht jetzt von Betrugsverdacht.

    Zapfpistole in der Tanköffnung
    Mit Klimaschutzprojekten in China können Mineralöl-Konzerne in Deutschland ihre gesetzlich vorgegebenen Klimaziele erreichen. Doch viele davon existieren nur auf dem Papier.28.05.2024 | 10:36 min
    Für die deutsche Mineralölwirtschaft könnte sich der Skandal um Klimaschutzprojekte in China zu einem der größten Betrugsfälle entwickeln. Nach Recherchen von ZDF frontal hätten mindestens ein Viertel sogenannter UER-Projekte vom Umweltbundesamt (UBA) nicht genehmigt werden dürfen, weil sie offenbar auf falschen Angaben beruhen.
    Das Umweltbundesamt hat nach Informationen von ZDF frontal jetzt Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingereicht gegen Unbekannt.

    UBA-Präsident: "Dann gibt es einen Betrug im Klimaschutzsystem"

    Der Präsident des UBA, Dirk Messner, räumte im Interview mit ZDF frontal ein:

    Es kann sein, dass wir es mit Einzelfällen zu tun haben, die da schlecht bearbeitet worden sind, vielleicht mit einzelnen Betrugsfällen. (…) Es könnte sein, dass ein System dahintersteckt.

    Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes

    Sollte sich der Verdacht erhärten, wäre das auch ein Problem für Deutschlands Klimabilanz.
    "Nehmen wir mal an, wir hätten es mit einem umfassenden Betrugssystem hier zu tun, da hätten wir einen Klimaschutzschaden ganz realer Art", sagt Messner. "Dann gibt es einen Betrug im Klimaschutzsystem."

    Mit der Idee von sogenannten Upstream Emission Reduction Projekten gab der Gesetzgeber in Deutschland 2020 Mineralölkonzernen eine zusätzliche Möglichkeit, die gesetzlichen Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erfüllen. Bei den meisten Projekten sollen CO2-Emissionen bei der Ölförderung reduziert werden. In der Regel soll das Begleitgas, das bei der Förderung anfällt, nicht mehr abgefackelt, sondern genutzt werden.

    Für jedes Kilogramm CO2, das so eingespart wird, gibt es ein UER-Zertifikat. Diese Zertifikate können Mineralölkonzerne nutzen, um ihre gesetzliche Treibhausgasminderungsquote zu erfüllen. Außerdem können sie die Zertifikate an andere Mineralölunternehmen verkaufen. Anfangs war ein UER-Zertifikat mehr als 400 Euro wert. Der Preis ist mittlerweile stark gefallen.

    Wer hierzulande tankt, der zahlt mit jedem Liter auch für Klimaschutzprojekte, auch in China. Doch wie ZDF-Recherchen zeigen, wird bei diesen Projekten mutmaßlich getrickst.
    Wer hierzulande tankt, der zahlt mit jedem Liter auch für Klimaschutzprojekte, auch in China. Doch wie ZDF-Recherchen zeigen, wird bei diesen Projekten mutmaßlich getrickst.01.05.2024 | 2:42 min

    Recherchen: Mehrere Projekte wahrscheinlich unzulässig

    ZDF frontal hat zahlreiche Satellitenbilder der Anbieter Google Earth, ESRI, OvitalMap und der Firma Vertical52 ausgewertet sowie Dokumente und Drohnenaufnahmen gesichtet und konnte Angaben auch vor Ort überprüfen.
    Demnach wurden viele bereits bestehende Anlagen in China als angeblich neu gebaute UER-Projekte in Deutschland eingereicht, andere ohne das Wissen und die Genehmigung der chinesischen Besitzer.
     Die Anlage eines der offenbar vorgetäuschten Klimaschutzprojekte in China, mit dem amtlichen Kürzel BZIA .
    Die Anlage eines der offenbar vorgetäuschten Klimaschutzprojekte in China, mit dem amtlichen Kürzel BZIA.
    Quelle: ZDF

    Insgesamt 17 UER-Projekte wären nach den Recherchen unzulässig. Deren angebliche CO2-Einsparungen wurden aber der Klimabilanz des deutschen Verkehrssektors gutgeschrieben.
    Nach überschlägigen Berechnungen von ZDF frontal sind die Projekte unter Betrugsverdacht insgesamt mehr als 600 Millionen Euro Wert.
    Bildmontage: Schornsteine stoßen Emissionen aus, darüber Wischer mit Regenwald
    Praktisch jeder internationale Großkonzern will klimaneutral werden – zumindest offiziell. Recherchen zeigen: Ambitionierte Klimaversprechen sind häufig wenig mehr als heiße Luft.23.11.2023 | 35:48 min

    Experte: Alle Projekte müssen überprüft werden

    Der Forscher Axel Michaelowa, langjähriger Experte im Bereich der internationaler Kohlenstoffmärkte, spricht von äußerst schwerwiegenden Betrugsfällen und fordert Konsequenzen:

    Das Umweltbundesamt muss alle Projekte dieser Art prüfen, muss die Ausgabe der Emissionsgutschriften aus Projekten, die eindeutig den Regeln widersprechen rückgängig machen und muss die Firmen zur Rechenschaft ziehen, die sich klar ordnungswidrig oder sogar betrügerisch verhalten haben.

    Axel Michaelowa, Universität Zürich

    Verbraucher zahlten für Klimaschutz, den es offenbar nicht gab

    Die Kosten der UER-Zertifikate tragen die Verbraucher, wenn sie tanken. Denn die Kosten für die CO2-Zertifikate aus diesen Projekten schlagen Ölkonzerne auf den Spritpreis drauf. Geschätzter Gesamtwert der Projekte: 1,7 Milliarden Euro.
    Insgesamt 65 solcher Klimaschutzprojekte entstanden seit 2020 in China. Nach Berechnungen von frontal sollen diese Projekte angeblich rund 7,7 Millionen Tonnen CO2 eingespart haben. Projektträger sind Ölmultis wie Shell, Rosneft und TotalEnergies. Sie erklären, dass ihre Projekte von unabhängigen Prüfinstituten testiert worden seien.

    frontal
    Quelle: ZDF

    Mehr zur Recherche zu vorgetäuschten Klimaschutzprojekten der Mineralölindustrie sehen Sie bei frontal am 28. Mai um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.

    Auf Anfrage von ZDF frontal teilte Shell mit, die Projekte in China seien von unabhängigen Prüfstellen validiert und verifiziert worden. Hinweise auf Unstimmigkeiten habe es bisher nicht gegeben. Dennoch nehme Shell die Recherchen zum Anlass, "den beschriebenen Punkten (…) noch einmal nachzugehen".
    Der Geschäftsführer der Organisation Transport & Environment, Sebastian Bock, fordert die Bundesregierung auf, Konsequenzen zu ziehen.

    Wenn sich herausstellt, dass diese Zertifikate nicht das erfüllt haben, was sie erfüllen sollten, dann müssen Unternehmen wie Shell und andere diese Zertifikate neu kaufen und ersetzen.

    Sebastian Bock, Transport & Environment

    Auch Österreich überprüft UER-Projekte

    Inzwischen überprüft auch das Österreichische Umweltbundesamt chinesische UER-Projekte, die in Österreich angerechnet wurden.
    Anlass dafür waren laut Auskunft der Behörde auch die ZDF frontal Recherchen. Bei der Überprüfung gehe man gemeinsam mit dem deutschen Umweltbundesamt dem Verdacht nach, ob es bei den Projekten zu "betrügerischen Handlungen gekommen ist". Dies könne derzeitig nicht ausgeschlossen werden, teilte die Behörde auf Anfrage von ZDF frontal mit.

    Ölkonzerne im Ausland
    :Aus für fragwürdige Klimaschutzprojekte

    Die Bundesregierung verbietet umstrittene Klimaschutzprojekte der Mineralölkonzerne im Ausland. Zuvor hatte ZDF frontal über Betrugsverdacht in Milliardenhöhe berichtet.
    von Hans Koberstein, Nathan Niedermeier, Marta Orosz
    Ein Mann betankt an einer Tankstelle sein Auto.
    mit Video

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