Bilanzpressekonferenz: Die Bayer AG erfindet sich neu

    Bilanzpressekonferenz in London:Die Bayer AG erfindet sich neu

    Ralph Goldmann
    von Ralph Goldmann
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    Der neue Vorstandsvorsitzende Bill Anderson will den Konzern umkrempeln. Heißt: Das Glyphosat-Problem neu anpacken, Schulden abbauen und mehr neue Produkte auf den Markt bringen.

    Archiv: Hochhaus auf dem Gelände der Bayer Pharma AG
    Der Leverkusener Pharma- und Agrarkonzern Bayer AG ist das große Sorgenkind im deutschen Aktienindex Dax. (Archivbild)
    Quelle: imago

    Es war April 2023, als sich Bill Anderson in lockerer Runde in Leverkusen einigen Journalisten vorstellte. Der neue Vorstandschef kam vom Bayer-Konkurrenten Roche nach Leverkusen und gab sich betont locker, mit Prada-Turnschuhen und Sakko über einem dünnen Pulli.
    "Ich werde mich auf alles konzentrieren, was den Fortschritt vorantreiben könnte und welche Optionen es gibt. Ich werde alles in Betracht ziehen", so der 57-jährige Texaner damals vielsagend.

    Konzern auf Talfahrt

    Denn der Konzern ist auf einer beispiellosen Talfahrt und seit Jahren das große Sorgenkind im deutschen Aktienindex Dax. Vor neun Jahren noch, bei einem Aktienkurs von mehr als 146 Euro, war das Unternehmen noch 120 Milliarden Euro wert.
    Als Andersons Vorgänger Werner Baumann 2016 für 60 Milliarden den Agrarchemieproduzenten Monsanto mit dem Unkrautvernichter Roundup und dem Wirkstoff Glyphosat übernahm, ging es bergab. Viele Klagen und Schadenersatzforderungen in den USA belasten den Konzern.
    Fotomontage: Fallende Aktienkurve. Und das Bayer-Kreuz.
    Der Jahrhundert-Deal: 2016 kauft Bayer-Konzern den US-Saatguthersteller Monsanto und damit den Unkrautvernichter Glyphosat. 60 Milliarden zahlte Bayer. Eine teure Fehlentscheidung?22.12.2022 | 44:06 min
    Inzwischen ist Bayer nur noch 30 Milliarden Euro wert, bei einem Schuldenberg von 36 Milliarden Euro. Der Aktienkurs hat sich auf einem 20-Jahres-Tief eingependelt. Das vergangene Jahr beendete das Unternehmen mit einem operativen Gewinn in Höhe von 11,7 Milliarden Euro und erreichte damit die selbst gesteckten, aber bereits reduzierten Ziele. Die Umsatz-Prognose für das laufende Jahr wird leicht angehoben.

    Vorstandschef Anderson krempelt Konzern um

    Bayer stehe "vor wesentlichen Herausforderungen, die unser Unternehmen belasten. Es ist an der Zeit, dass sich das ändert", sagte Anderson auf der Bilanzpressekonferenz. Die erste Änderung war nicht zu übersehen: Statt vor Dutzenden Journalisten und TV-Kameras im Leverkusener Bayer-Hauptquartier saßen sieben Vorstandsmitglieder Schulter an Schulter vor blauen Neonröhren auf Barhockern in einem Londoner Co-Working-Office, der Boden ausgelegt mit zwei orientalischen Teppichen.
    Bilanzpressekonferenz in einem Londoner Co-Working-Office: Die sieben Vorstandsmitglieder der Bayer AG. (Screenshot)
    Bilanzpressekonferenz in einem Londoner Co-Working-Office: Die sieben Vorstandsmitglieder der Bayer AG. (Screenshot)

    Fast ein Jahr nach seinem ersten Auftritt in Leverkusen ist klar: Anderson dreht den Konzern auf Links. Ein sogenanntes "Dynamic Shared Ownership"-Modell soll interne Strukturen verschlanken, Hierarchien und Bürokratie abbauen. Wie viele Arbeitsplätze dabei auf der Strecke bleiben, ist noch offen. Jedenfalls sollen damit ab 2026 jedes Jahr zwei Milliarden Euro eingespart werden.
    Ingo Speich von der Deka-Gruppe, die selbst ein Prozent der Bayer-Aktien hält, sagt dazu:

    Die Restrukturierung ist nachvollziehbar, doch der Wegfall womöglich Tausender Stellen bringt auch viel Unruhe in die Belegschaft. Das macht es nicht leichter, Bayer aus der Krise zu führen.

    Ingo Speich, Deka-Gruppe

    Klageflut in den USA eindämmen

    Ebenfalls zwei Milliarden Euro jährlich soll die Kürzung der Dividende bringen - von 2,40 Euro auf nur noch 11 Cent je Aktie. "Das ist natürlich ein harter Schritt, aber leider auch der richtige", sagt Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).
    Wichtig sei aber, die Klageflut in den USA einzudämmen: "Neue Ideen sind gefragt, aber die sind nicht in Sicht. Aussitzen wie bisher ist aber auch keine Lösung." Anderson will auch das mit einer neuen Anwaltskanzlei anpacken: "Jedes negative Urteil werden wir anfechten."

    Aufspaltung oder Verkauf nicht ausgeschlossen

    An eine Aufspaltung des Unternehmens oder einen Verkauf einer der drei Standbeine Agrarchemie, dem Pharmageschäft mit rezeptpflichtigen Medikamenten und dem Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten, denkt Anderson derzeit offenbar nicht. "Nicht jetzt", so Anderson. "Aber das sollte nicht als 'nie' missverstanden werden. Natürlich werden wir für alles offenbleiben. Das werden wir immer tun."
    Er muss und will den Schuldenberg abbauen und die Entwicklung neuer Medikamente vorantreiben, denn die Produkt-Pipeline ist nicht wirklich gut gefüllt. "Ich sehe dies als unseren größten Hebel, um den Wert des Unternehmens zu steigern", so Anderson.

    Traditionsunternehmen am Scheideweg

    Und so steht das Traditionsunternehmen, dessen Blockbuster Aspirin in diesen Tagen 125 Jahre alt wird, am Scheideweg. Ob Bill Anderson das Vertrauen der Aktionäre zurückgewinnen kann und Bayer wieder in die Spur kommt, werden die nächsten Monate zeigen. 
    Die Börse reagierte zunächst sehr zurückhaltend: die Aktie büßte bis zum Mittag mehr als zwei Prozent ein und bleibt damit weiterhin eines der größten Sorgenkinder im Dax.

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