Faktencheck
Kanzler vs. BDI-Präsident:Ist Deutschlands Wirtschaft in Gefahr?
von Stephanie Barrett und Jan Schneider
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BDI-Präsident Russwurm kritisiert die Wirtschaftspolitik der Regierung scharf, Kanzler Scholz versucht zu kontern und glaubt an Innovationen. Wer sieht die Lage realistischer?
Welche Strategien gibt es, damit Europa bei der Entwicklung von KI wettbewerbsfähig bleibt? Antworten darauf gibt es vielleicht in den nächsten Tagen auf der Hannover Messe.22.04.2024 | 1:30 min
"Deutschland ist eine der größten Wirtschaftsnationen der Welt", verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, bei seiner kurzen Rede zur Eröffnung der Hannover Messe. Nach "gegenwärtigen Rechnungen" sei man Platz Drei in der Welt hinter China und den USA.
Die Herausforderungen der Zukunft wolle Deutschland nun mit "Wachstum, Wohlstand und mit technologischen Innovation" angehen und sei dafür auch gut aufgestellt.
Bundeskanzler Scholz spricht auf der Hannover-Messe unter anderem über Künstliche Intelligenz und Digitalisierung, sowie über den Wirtschaftsstandort Deutschland allgemein.22.04.2024 | 2:37 min
Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sprach Anfang April dagegen mit Blick auf die bisherige Regierungszeit der Ampel-Koalition von "zwei verlorenen Jahren - auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden." Scholz griff diese Kritik in Hannover auf und mahnte, man solle den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht schlechtreden. Wer hat Recht: Scholz oder Russwurm? Wie geht es dem Wirtschaftsstandort Deutschland wirklich?
Die Stärken
Forschung und Entwicklung: Deutschland ist das Land der Tüftler und verfügt über eine breite Landschaft an Top-Universitäten und Forschungseinrichtungen, die Innovationen entwickeln.
Hohes Ansehen: Unter den Top 100 Marken der Welt finden sich neun deutsche, wie SAP, Siemens und die Deutsche Telekom. BMW zählt zu den am meisten bewunderten Unternehmen der Welt - Mercedes liegt beim Autonomen Fahren vor Tesla.
Hidden Champions: Hunderte von deutschen Unternehmen, meist mittelständische Betriebe, sind in globalen Märkten führend und bieten Spitzenleistungen.
Der deutsche Maschinenbau meldete 2023 einen Rekordexport von Plus 5,9 Prozent.
Die Brennkammern der Space-X-Raketen werden auf den Systemen des Mittelständlers MK Technology gefertigt.
Schlüsselkomponenten für Hightech-Chips von ASML stammen von Lasern der Firma Trumpf, die Optik liefert die Carl Zeiss AG aus Jena.
Die Schwächen
Teure Energie: Eine garantierte und bezahlbare Energieversorgung ist für eine funktionierende Wirtschaft essenziell. Zwar sind die Strom- und Gaspreise bereits kräftig gefallen, teils sogar schon auf Vorkrisenniveau. Ursache dafür ist aber die gedrosselte Industrieproduktion. Entscheidender noch: Die Energiepreise liegen auch jetzt drei- bis viermal so hoch wie in den USA.
Tendenziell wird Energie in Deutschland auch in Zukunft eher teuer bleiben. Der Aufbau von neuer Infrastruktur für die deutsche Energiewende verschlingt viel Geld: Tausende von Kilometern neuer Stromnetze und -trassen müssen gebaut, Backup-Gaskraftwerke errichtet und bezahlt werden, für die Zeiten, in denen weder Wind- noch Sonnenenergie zur Verfügung stehen.
Tendenziell wird Energie in Deutschland auch in Zukunft eher teuer bleiben. Der Aufbau von neuer Infrastruktur für die deutsche Energiewende verschlingt viel Geld: Tausende von Kilometern neuer Stromnetze und -trassen müssen gebaut, Backup-Gaskraftwerke errichtet und bezahlt werden, für die Zeiten, in denen weder Wind- noch Sonnenenergie zur Verfügung stehen.
Mit Blick auf die deutsche Wirtschaft erklärt Siegfried Russwurm, Präsident vom Bundesverband der Deutschen Industrie: "Wir werden nie die Billigsten sein, wir müssen die Innovativsten sein".31.10.2023 | 5:49 min
Hoher Industrie-Anteil: Jahrzehntelang war der hohe Industrieanteil am heimischen BIP Standortvorteil und Wachstumsmotor. Mit 24 Prozent liegt der Industrieanteil in Deutschland am BIP etwa doppelt so hoch wie in anderen entwickelten Ländern. Jetzt, da Energie nicht mehr so günstig ist, leidet der einstige Exportweltmeister darunter. Eine mäßige Deindustrialisierung wäre also vielleicht angemessen. Energieintensive und stark umweltbelastende Industrien werden wohl in der neuen Globalisierung anderswo bessere Standortbedingungen finden.
Hohe Steuern und Abgabe: Unternehmenssteuern liegen in Deutschland mit rund 30 Prozent deutlich höher als in den meisten Staaten. Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland auf Platz Sechs. Für Investitionsentscheidungen sind Steuern ein wichtiger Indikator.
Körperschaftsteuersätze in ausgewählten Ländern weltweit im Jahr 2023
ZDFheute Infografik
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Demografie: Deutschlands Bevölkerung altert rapide, was in den kommenden Jahrzehnten zu einer deutlichen Belastung der Sozialversicherungen führen wird. Schon jetzt fließen 50 Prozent der Steuereinnahmen in die Sozialkassen. Aufgrund des Zuzugs wächst die Bevölkerung zwar, der Mangel an qualifizierten Fachkräften wird aber nicht verringert. Finanzielle Anreize zu Mehrarbeit könnten das Problem lindern.
Innerhalb Deutschlands fehlt es vielen Unternehmen an Fachkräften. Auffällig hoch ist der Fachkräftemangel in Grenzgebieten zu Ländern mit besseren Arbeitsbedingungen.19.03.2024 | 1:26 min
Niedriges Wirtschaftswachstum: Alternde Bevölkerung und niedrige Geburtenraten führen in fast allen westlichen Staaten zu niedrigen Wachstumsraten. Doch wenn die Wirtschaft schrumpft, sinken auch die Staatseinnahmen. Der Staat kann nur das verteilen, was Unternehmen und Steuerzahler erwirtschaften. Wird der Kuchen kleiner, gibt es weniger zu verteilen. Verteilungskämpfe dürften deshalb in den kommenden Jahren wachsen, zumal künftig auch viel Kapital für die Verteidigung aufgebracht werden muss. Das bedeutet, Soziales muss auf ein Maß zurückgeführt werden, das im Verhältnis zu unserer Leistungsfähigkeit steht.
Prognostiziertes Wirtschaftswachstum 2024
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Wie schätzt das Ausland den Standort Deutschland ein?
Wichtiger Indikator für die Attraktivität eines Wirtschaftsstandortes sind Direktinvestitionen. Dazu zählen nicht nur Investitionen in Fabriken oder neue Ausrüstung sondern auch Kapitalzuflüsse und Kredite. Hier zeigen neue Daten des IW Köln: es wird weniger investiert in Deutschland. Seit 2020 gehen die Zuflüsse aus dem Ausland zurück - im vergangenen Jahr waren sie so niedrig wie zuletzt 2014.
Bei schwerfälliger Bürokratie, veralteter Infrastruktur und hohen Kosten überlegen sich Investoren gut, ob sie ihr Geld in Deutschland investieren. Umgekehrt bauen deutsche Unternehmen ihr bestehendes Geschäft vor allem im Ausland weiter aus. Viele Firmen halten ihren Stammsitz in Deutschland, schauen, mit welchen Sektoren man in Europa gut fährt und konzentrieren sich auf dynamische Märkte.
Fazit: Im Augenblick scheinen die Schwächen zu überwiegen, doch man sollte die Fähigkeiten der deutschen Wirtschaft auch nicht unterschätzen, sie ist bisher aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen. Dennoch steht sie vor einer schwierigen Dekade. Sie braucht keine Betriebsanleitung für Unternehmen, sondern klare Zukunftsziele und gute Rahmenbedingungen bei Energiepreisen und Genehmigungsverfahren .
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