Notenbankchef zu Krisenlage: "Brauchen Europa mehr denn je"
Interview
Wirtschaft und globale Krisen:Notenbankchef: "Brauchen Europa mehr denn je"
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Die globalen Krisen verunsichern die Märkte. Frankreichs Notenbankchef Villeroy de Galhau und Bundesbank-Präsident Nagel zu den Herausforderungen und Zukunftsaufgaben für Europa.
Wie kann sich Europa angesichts diverser Krisen auf der Welt erfolgreich wirtschaftlich positionieren?
Quelle: AP
ZDFheute: Die geopolitische Lage ist angespannt. Was bedeutet das für die Märkte in Europa?
Joachim Nagel (Präsident der Deutschen Bundesbank): Die letzten zwei Jahre haben gezeigt, spätestens nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, wie wichtig es ist, dass wir in Europa noch enger zusammenstehen. Dass wir Zukunftsaufgaben gemeinsam angehen. In der Geldpolitik haben wir gezeigt, dass es uns gelungen ist, Preisstabilität aller Voraussicht nach herzustellen, die Inflationsrate von zwei Prozent zu erreichen. Jetzt geht es um andere Themen, die in Europa angegangen werden müssen. Da bedarf es einer starken europäischen Antwort.
François Villeroy de Galhau (Chef der französischen Notenbank, Banque de France): Es gibt eine fragmentierte Welt. Leider mit weniger Wachstum, mit mehr Protektionismus, auch mit unterschiedlichen Währungen. Dollar, Euro, die chinesische Währung. Es gibt eine Art Wettbewerb - das hatten wir vorher nicht. Das bedeutet, dass die Finanzpolitik und die Notenbanker immer versuchen müssen zusammenzuarbeiten. Wir haben untereinander Vertrauen - das hat sehr geholfen.
Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau und Bundesbank-Präsident Joachim Nagel zu globalen Krisen, Herausforderungen für Finanzmärkte und Zusammenarbeit in Europa.22.03.2024 | 4:18 min
ZDFheute: Auf politischer Ebene waren die deutsch-französischen Beziehungen zuletzt angespannt. Wie sieht es im Finanzsektor aus?
Villeroy de Galhau: Es war wahrscheinlich in den letzten Zeiten schwieriger, weil es diese Krisen gibt, weil die politische Lage in beiden Ländern schwieriger geworden ist. (…) Wir haben zwei wichtige gemeinsame Kompromisse erzielt: Energiepolitik und Energiemarkt in Europa, und zweitens Haushaltsregeln, den Stabilitätspakt. Diese zwei Fragen waren sehr schwer. Die deutsch-französischen Kompromisse sind eine Vorbedingung für die europäischen Fortschritte.
Die anderen Länder, die schauen auf uns beide und sagen manchmal: 'Wir sind auch sehr wichtig' und das stimmt - Italien, Spanien, Polen.
Aber wenn Deutschland und Frankreich nicht zum Kompromiss kommen, kann Europa gar nichts schaffen, und das wäre wirklich sehr schade in dieser gefährlichen Welt.
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François Villeroy de Galhau, Chef der französischen Notenbank
Wir brauchen Europa mehr denn je. Es ist schwerer als vorher, aber wer ernsthaft denkt, dass Deutschland es allein schaffen wird, oder dass Frankreich es allein schaffen wird - Nein!
ZDFheute:Scholz und Macron wollen gemeinsam die Kapitalmarktunion vorantreiben. Was heißt das?
Villreoy de Galhau: Kapitalmarktunion - das Wort ist vielleicht ein wenig kompliziert, aber die Idee ist sehr einfach und ich glaube sehr wichtig. Wir haben sehr hohe Investitionsbedürfnisse für Klimawandel, grüne Transformation und digitale Transformation. Die Zahlen sind beeindruckend. Vielleicht mehr als 700 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen jedes Jahr. Aber wir haben Ressourcen. Wir haben Ersparnisse in Europa, einen Überschuss von 400 Milliarden Euro pro Jahr.
Kapitalmarktunion, das ist die einfache Idee, diese Ressourcen für unsere Bedürfnisse zu benutzen. Wie ist die jetzige Lage? Diese 400 Milliarden, die gehen im Moment heraus aus Europa. In die USA oder nach Lateinamerika oder nach China. Aber wir brauchen diese Milliarden, und wir haben sie (…). Das politische Ziel und der politische Wille muss viel größer werden.
Nagel: Europa ist für viele unübersichtlich, beispielsweise bei aufsichtlichen Themen, bei regulatorischen Themen, manchmal auch bei den steuerlichen Fragen, die eine Rolle spielen könnten. Das ist für einen ausländischen Investor, der Europa nicht so gut kennt, der hier Geschäfte machen möchte, schwierig. Hier können wir einiges tun.
Kapitalmarktunion, Bankenunion könnte ein Thema sein. Insgesamt geht es einfach darum, deutlich einladender auf die zu wirken, die bei uns gerne ein Geschäft machen möchten, die hier ihr Geld investieren möchten. Das muss Europa wichtig sein, deswegen müssen wir diese Themen lösen.
ZDFheute: Die populistischen Tendenzen nehmen weltweit zu, etwa in den USA und vielen europäischen Ländern. Was bedeutet das für die Märkte?
Nagel: Als Notenbanker ist es meine Aufgabe, mich an meinem Mandat zu orientieren. Das ist die Preisstabilität. Da haben wir einiges getan, da sind wir auf gutem Wege.
Aber natürlich treibt mich das um, wenn ich sehe, dass es rechtsextreme Kreise und Kräfte gibt, die Europa woanders sehen möchten. Wo ich sagen muss, das kann ich auch als Notenbank in keiner Form annähernd gutheißen.
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Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank
Denn letztendlich führt es zu Verunsicherung, schwächt Europa, und deswegen ist es wichtig, hier Haltung zu zeigen, deutlich zu machen, dass wir als Demokraten auf ein demokratisches Grundverständnis setzen müssen. Insofern ist es eine europäische Frage, wie wir hier diesen Strömungen begegnen.
Villeroy de Galhau: Ich glaube an Europa. Als eine Idee, als ein Begriff. Ich bin wirklich ein überzeugter Europäer. Aber viele unserer Mitbürger sagen: 'Ok, als Idee - warum nicht? Aber was sind die konkreten Projekte?'. Ich glaube, da liegt der Sinn der nächsten Europawahl. Die Lösungen finden wir nur zusammen. Getrennt werden wir sicher scheitern.
ZDFheute: Wenn Sie einen Traum entwerfen könnten - wie sähe der aus?
Nagel: Vielleicht sollte man als Notenbanker kein Träumer sein, sondern eher Realist sein.
Beim Thema Digitalisierung heißt es, in Europa stärker zusammenzurücken, Fragmentierungen zu vermeiden. Ähnlich bei dem Thema Dekarbonisierung - auch das ein Bereich, wo Europa über gemeinsame Finanzierungsmöglichkeiten die Zukunftsthemen angehen kann. Wir haben die Möglichkeiten bereits dazu geschaffen, jetzt müssen wir sie noch nutzen. Vielleicht können wir in der Umsetzung noch eine Schippe draufsetzen.
Das Interview führte Susanne Freitag-Carteron, Leiterin des ZDF-Landesstudios Saarland.
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