Betrug bei Klimaschutz? Autofahrer zahlen Milliarde für Fake

    Betrugsverdacht bei Klimaschutz:Autofahrer zahlten eine Milliarde für Fake

    von H. Koberstein, N. Niedermeier, M. Orosz
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    Klimaschutzprojekte der Mineralölindustrie sind nach ZDF frontal-Recherchen offenbar Fake. Eine DIW-Analyse zeigt: Autofahrer haben dafür wohl rund eine Milliarde Euro gezahlt.

    Ölförderpumpe mit chineschen Schriftzeichen im Hintergrund
    Ölkonzerne wie Shell, OMV und Rosneft Deutschland nutzten offenbar Fake-Projekte in China, um ihre gesetzlichen Klimaschutzziele zu erreichen. Wer profitiert vom Klimaschutz-Fake?10.12.2024 | 35:21 min
    An deutschen Tankstellen haben Verbraucher insgesamt rund eine Milliarde Euro für Klimaschutzprojekte der Mineralölindustrie gezahlt, die möglichweise nie zum Klimaschutz beigetragen haben. Zu diesem Ergebnis kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das den Wert von unter Betrugsverdacht stehenden Klimaschutzprojekten untersucht hat.
    Die chinesischen Fake-Projekte haben nach den DIW-Berechnungen einen Marktwert von rund einer Milliarde Euro. Die Analyse basiert auf Recherchen und Datenauswertungen von ZDF frontal und Preisdaten des unabhängigen Preisinformationsdienstes Argus Media.
    Ein Auto fährt am frühen Morgen an der Zapfsäule einer Tankstelle vorbei.
    Ölkonzerne kauften Klimazertifikate, um ihre CO2-Auflagen zu erfüllen. Eine Reportage von ZDF frontal deckte auf, dass viele davon gefälscht sind.10.12.2024 | 1:29 min

    ADAC: "Autofahrer haben dann für Betrug bezahlt"

    Stefan Gerwens vom ADAC fordert im Interview mit ZDF frontal Aufklärung:

    Wenn sich der Betrugsverdacht bestätigt, dann wüssten wir gerne, wohin das Geld geflossen ist. Jeder Autofahrer hat dann für Betrug bezahlt und das möchte niemand.

    Stefan Gerwens, Leiter des Ressorts Verkehr im ADAC

    Bei dem Skandal geht es um Klimaschutzprojekte bei der Erdölförderung in China, sogenannte Upstream Emission Reduction (UER)-Projekte. Ölkonzerne nutzten diese, um ihre gesetzlichen Klimaziele in Deutschland zu erreichen.

    Mit der Idee von sogenannten Upstream Emission Reduction Projekten gab der Gesetzgeber in Deutschland 2020 Mineralölkonzernen eine zusätzliche Möglichkeit, die gesetzlichen Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erfüllen. Bei den meisten Projekten sollen CO2-Emissionen bei der Ölförderung reduziert werden. In der Regel soll das Begleitgas, das bei der Förderung anfällt, nicht mehr abgefackelt, sondern genutzt werden.

    Für jedes Kilogramm CO2, das so eingespart wird, gibt es ein UER-Zertifikat. Diese Zertifikate können Mineralölkonzerne nutzen, um ihre gesetzliche Treibhausgasminderungsquote zu erfüllen. Außerdem können sie die Zertifikate an andere Mineralölunternehmen verkaufen. Anfangs war ein UER-Zertifikat mehr als 400 Euro wert. Der Preis ist mittlerweile stark gefallen.

    Die Ölmultis wie Shell, ExxonMobil und TotalEnergies erklären, dass ihre Projekte von unabhängigen Prüfinstituten zertifiziert worden seien. Shell teilt mit, das Unternehmen unterstütze die Untersuchungen der zuständigen Behörden bezüglich der Vorwürfe und wolle den Ergebnissen nicht vorgreifen.
    ZDF frontal hatte im Mai aufgedeckt, dass 17 dieser Projekte nur vorgetäuscht waren. Daraufhin hatte das Umweltbundesamt (UBA) eine Anwaltskanzlei mit Ermittlungen in China beauftragt. Die Behörde hatte die Klimaschutzprojekte zuvor genehmigt.
    Inzwischen stehen beim UBA 45 von insgesamt 66 Klimaschutzprojekten in China unter Betrugsverdacht. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen 17 Personen wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges.
     Die Anlage eines der offenbar vorgetäuschten Klimaschutzprojekte in China, mit dem amtlichen Kürzel BZIA .
    Frontal deckte auf, dass Klimaschutzprojekte in China nur vorgetäuscht waren. Alle Projekte wurden von deutschen Prüfstellen verifiziert und vom Umweltbundesamt genehmigt.16.07.2024 | 1:34 min

    Kritik an Bundesumweltministerin Lemke

    Die Opposition wirft Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vor, zu spät tätig geworden zu sein. "Sie hat die Kontrolle und Aufklärung nicht von Anfang an zur Chefsache gemacht", kritisierte Anja Weisgerber (CSU), umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag. "Sie trägt die politische Verantwortung, denn sie hat die Rechts- und Fachaufsicht."
    Ministerin Lemke sieht die Verantwortung bei der Vorgängerregierung: Diese habe ein System etabliert, bei dem die Projekte in China nicht vernünftig kontrollierbar seien.

    Dieses System hat sich als komplett fehleranfällig erwiesen. Deshalb war die wichtigste Konsequenz, dieses System zu beenden.

    Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesumweltministerin

    frontal
    Quelle: ZDF

    Mehr zur Recherche zu vorgetäuschten Klimaschutzprojekten der Mineralölindustrie sehen Sie bei frontal am 10. Dezember um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.

    Projekte im Wert von rund einer Milliarde unter Betrugsverdacht

    Für Projekte, die nach Recherchen von ZDF frontal unter Betrugsverdacht stehen, kommt die Analyse des DIW auf einen Marktwert von 900 Millionen. Werden auch die Projekte berücksichtig, die das UBA derzeitig für betrugsverdächtig hält, ergibt sich ein Marktwert von 1,2 Milliarden Euro für Projekte, die unter Betrugsverdacht stehen.
    Marktwert der UER-Projekte in China

    ZDFheute Infografik

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    Das sind Kosten, die die Mineralölindustrie auf den Spritpreis umgelegt hat und somit von Autofahrern an der Tankstelle bezahlt wurden.

    Die Zahlungen sind ja schon geflossen, deswegen können zwar die Behörden noch nachträglich Sanktionen verhängen und möglicherweise eben auch Straftäter dann mit Strafen belegen, aber das hilft dem Autofahrer nicht.

    Stefan Gerwens, Leiter des Ressorts Verkehr im ADAC

    Die Bundesumweltministerin sieht das anders: "Diese betrügerischen Projekte waren letzten Endes an der Tankstelle eher billiger zu haben als gute Klimaschutzprojekte, die auch wirklich eine Klimawirkung gehabt hätten," sagte Ministerin Lemke im Interview mit ZDF frontal.
    Für den ADAC eine verblüffende Erklärung: "Kein Autofahrer möchte gern für Betrug bezahlen," sagt Stefan Gerwens. Zudem koste das langfristig ohnehin den Autofahrern mehr, wenn Klimaschutz nachgeholt werden muss. Die Projekte, die unter besonderem Betrugsverdacht stehen, hätten eigentlich über sechs Millionen Tonnen CO2-Emissionen einsparen sollen. Klimaschutz, der aber offenbar nur auf dem Papier und nicht in der Realität stattgefunden hat.
    Bildmontage: Schornsteine stoßen Emissionen aus, darüber Wischer mit Regenwald
    Praktisch jeder internationale Großkonzern will klimaneutral werden – zumindest offiziell. Recherchen zeigen: Ambitionierte Klimaversprechen sind häufig wenig mehr als heiße Luft.23.11.2023 | 35:48 min

    Einzelne Klimaschutzprojekte werden rückabgewickelt

    Inzwischen hat das Umweltbundesamt damit begonnen einzelne Klimaschutzprojekte rückabzuwickeln. Bei drei Projekten sei dieser Prozess bereits abgeschlossen, bei sechs weiteren stehe dies noch an und weitere werden folgen, teile das UBA auf Nachfrage ZDF frontal mit
    Wird ein Projekt rückabgewickelt, heißt das die dazugehörigen Zertifikate werden gelöscht. Der Projektträger, also das betroffene Mineralölunternehmen, muss dann für Ersatz sorgen. Woher dieser Ersatz kommt, ist aber noch unklar.

    Die Analyse zum Marktwert der Klimaschutzprojekte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) basiert auf Recherchen und Datenauswertungen von ZDF frontal und Preisdaten des unabhängigen Preisinformationsdienstes Argus Media.

    Jedem Projekt, das vom Umweltbundesamt genehmigt wurde, haben deutsche Prüfstellen eine konkrete Menge an geminderten Emissionen attestiert, für die dann Zertifikate ausgestellt wurden. Diese Zertifikate konnten Mineralölunternehmen entweder selbst nutzen, um gesetzliche Klimaschutzvorgaben einzuhalten oder an andere Unternehmen verkaufen. Preisdaten von Argus Media zeigen zu welchem Preis diese Zertifikate gehandelt wurden.

    Für den Marktwert der Klimaschutzprojekte wurden die von den Prüfstellen attestierten Emissionsminderungen multipliziert mit dem jeweiligen Preis, zu dem diese gehandelt wurden. Berücksichtigt wurden dabei Daten für die Jahre 2020 bis 2023.

    Mehr zum Betrugsverdacht bei Klimaschutz-Projekten