Arbeitskosten im EU-Vergleich: Verdienen wir zu viel?
Arbeitskosten im EU-Vergleich:Verdienen wir in Deutschland zu viel?
von Jeffrey Möller
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Sind die deutschen Arbeitskosten ein Wettbewerbsnachteil? Ein europäischer Vergleich zeigt, wo Deutschland tatsächlich steht.
Verdienen wir in Deutschland zu viel? (Symbolbild)
Quelle: dpa
Die Debatte um die Löhne und Gehälter bei VW zeigte es exemplarisch. Wenn es um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit geht, stehen auch immer unmittelbar die angeblich zu hohen Arbeitskosten im Mittelpunkt.
Dazu gehören eben Löhne und Gehälter, sowie die Lohnnebenkosten. Diese setzen sich vor allem aus den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung, wie Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zusammen. Kritiker bemängeln in dieser zum Teil hoch emotional geführten Debatte, dass Deutschland von diesen hohen Kosten runter muss, weil es sonst immer mehr an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verliert.
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Standort Deutschland unter Druck?
Rein faktisch ist es so: Gemessen am europäischen Durchschnitt von 31,80 Euro zahlten Arbeitgeber in Deutschland 2023 mit 41,30 Euro rund 30 Prozent mehr für eine Stunde Arbeit. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) schlägt deswegen Alarm:
Dem Statistischen Bundesamt zufolge zahlten Unternehmen des produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungsbereichs hierzulande im Jahr 2023 durchschnittlich 41,30 Euro für eine geleistete Arbeitsstunde. Damit hatte Deutschland in der Europäischen Union (EU) die sechsthöchsten Arbeitskosten.
Höhere Lohnkosten als in der Bundesrepublik wurden 2023 in Luxemburg (53,90 Euro), Dänemark (48,10 Euro) und Belgien (47,10 Euro) gezahlt. Auch die Niederlande (43,30 Euro) und Frankreich (42,20 Euro) lagen bei der durchschnittlichen Höhe der Arbeitskosten vor Deutschland. Im EU-Vergleich am wenigsten kostete eine Arbeitsstunde in Bulgarien (9,30 Euro), Rumänien (11 Euro) und Ungarn (12,80 Euro).
Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung bewertet die Lage hingegen anders. IMK-Arbeitsmarktexperte Alexander Herzog-Stein argumentiert:
Viel wichtiger in diesem Zusammenhang seien daher die sogenannten Lohnstückkosten. Diese setzen sich aus dem Verhältnis der Arbeitskosten zur Arbeitsproduktivität zusammen. Das IMK hat sich auf Basis von Daten des Statistikamts Eurostat den Anstieg ebenjener Lohnstückkosten in den Jahren 2020 bis einschließlich 2023 angeschaut. Hier lag Deutschland mit 3,5 Prozent pro Jahr im europäischen Durchschnitt, ragt also keinesfalls heraus.
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Lohnnebenkosten: Ein unterschätzter Faktor?
Vor allem die Lohnnebenkosten stehen in der Diskussion über die deutschen Arbeitskosten im Zentrum der Kritik. Der Arbeitgeberverband BDA betont dabei, dass hohe Steuer- und Sozialabgaben Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen belasteten.
Doch stimmt diese Aussage des BDA wirklich? Nein, sagt zumindest das gewerkschaftsnahe IMK. Auch beim Anteil der Lohnnebenkosten an den Gesamtarbeitskosten sieht das Institut Deutschland im europäischen Mittel. 2023 lag der hiesige Lohnnebenkostenanteil bei gut 22 Prozent. Damit war er laut IMK-Forscher Herzog-Stein sogar etwas niedriger als der EU-Durchschnitt, der rund 24 Prozent betrug.
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Das als arbeitgebernah geltende Institut der deutschen Wirtschaft (IW) weist jedoch drauf hin, dass die Sozialversicherungsbeiträge 2025 für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gestiegen sind. "Somit verteuern sie den Faktor Arbeit in Deutschland im internationalen Wettbewerb. Deutschlands Produktivitätsentwicklung glich das zuletzt nicht vollständig aus", sagt IW-Arbeitsmarktexpertin Stefanie Seele.
Die Debatte über Arbeitskosten zeigt, dass nicht allein ihre Höhe, sondern auch das Verhältnis von Kosten zu Produktivität entscheidend ist. Deutschland sticht hier im europäischen Vergleich nicht heraus, steht jedoch unter Druck, strukturelle Schwächen, wie etwa steigende Sozialabgaben anzugehen, um die Attraktivität als Standort zu sichern.
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