Kurzarbeit in der Strukturkrise: Fluch oder Segen?
Strukturkrise:Kurzarbeit: Fluch oder Segen?
von Valerie Haller und Dennis Berger
|
Kurzarbeit hat in der Corona-Pandemie viele Arbeitsplätze gerettet. Doch in der aktuellen Strukturkrise sehen Experten das Erfolgsmodell plötzlich kritisch.
Die Kurzarbeit war in der Corona-Krise ein Segen für viele - mittlerweile sehen Experten sie aber kritisch.28.03.2025 | 2:14 min
Deutschland stecke in einer massiven Konjunktur- und Strukturkrise, rufen Stimmen aus der Wirtschaft. Die Daten und Fakten geben ihnen recht. In dieser Situation könne die steigende Kurzarbeit die notwendige Transformation verschleppen, sagen Arbeitsmarktforscher. Ein Blick auf das zweischneidige Schwert der Kurzarbeit.
Erfolgsmodell Kurzarbeit
Die Welt wird immer vernetzter und hungriger nach Strom. Der Mittelständler Lapp aus Stuttgart profitiert davon seit Jahrzehnten. E-Autos, Computer, Lokomotiven brauchen Spezialkabel. Lapp stellt sie her und ist damit Weltmarktführer. Ein typischer "Hidden Champion". Doch dann kam Corona. Die Nachfrage brach praktisch über Nacht weg. Die Kurzarbeit war damals ein Segen.
Wir haben in der ganzen Corona-Pandemie keinen einzigen Arbeitsplatz verloren, keinen einzigen Mitarbeiter entlassen müssen.
„
Wilma Kauke, Personalchefin bei Lapp
Man habe keine Fachkräfte verloren und konnte, als es schlagartig wieder losging, den Aufschwung mitnehmen, sagt Personalchefin Wilma Kauke.
Nun steckt Deutschland wieder in der Krise - und das zeigt sich auch bei der Kurzarbeit. Das Instrument wird wieder deutlich häufiger genutzt. Laut Münchener Ifo-Institut könnte bald jedes vierte Industrieunternehmen Kurzarbeit anmelden. Im Februar war es noch knapp jedes fünfte.
Corona stürzte viele Firmen in finanzielle Nöte. Durch Kurzarbeit sollte deren Überleben gesichert werden.02.04.2020 | 2:42 min
Kurzarbeit nicht mehr geeignet?
Doch diese Krise ist anders. Kein externer Schock wie Corona. Dies ist eine Strukturkrise. Fünf Jahre kein Wachstum. Alte Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr. Die Auslastung in der Industrie auf historischem Tiefstand. Gleichzeitig fehlen Fachkräfte. Doch sie sind auf dem Arbeitsmarkt nicht verfügbar, wenn sie in Kurzarbeit festsitzen. Wirtschaftsverbände sehen das Instrument in der aktuellen Krise deshalb kritisch. Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA, sagt:
Es ist kein geeignetes Mittel, wenn ein Unternehmen in der Struktur nicht wettbewerbsfähig ist.
„
Thilo Brodtmann, VDMA-Hauptgeschäftsführer
Es gebe sehr erfolgreiche Unternehmen, die Fachkräfte suchen und auch noch wachsen, meint Brodtmann. "Da ist das Kurzarbeitergeld ein bisschen strukturkonservierend und verzögert eigentlich den Anpassungsprozess, den wir dringend brauchen."
Doch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes gerade auf zwei Jahre verlängert. Es gehe um das "Brückenbauen über ein konjunkturelles Tal", sagte der Minister. Brodtmann hält die Verlängerung für ein Wahlgeschenk. Die Kurzarbeit sei ja eigentlich dafür gedacht, kurzfristige Schwankungen auszugleichen, meint der VDMA-Geschäftsführer.
Der Fachkräftemangel belastet die deutsche Wirtschaft zunehmend. Besonders betroffen sind Pflege, Handwerk und Elektronik.20.02.2025 | 1:35 min
Finanzielle Belastung durch Kurzarbeit
Ob Kurzarbeit als Brücke für Krisenzeiten taugt, daran hat auch der Arbeitsökonom an der Elite-Uni Princeton, Simon Jäger, seine Zweifel. Mit seinem Team hat er die Effekte der Kurzarbeit anhand von Daten der Bundesagentur für Arbeit von 2009 bis 2023 untersucht.
Seine Erkenntnis: Beim Kurzarbeitergeld gibt es massive Mitnahmeeffekte. Arbeitgeber schickten oft gerade die Mitarbeiter in Kurzarbeit, die sie ohnehin behalten hätten. Zudem fließe Kurzarbeitergeld überproportional an Firmen, die schon vor dem Kurzarbeitergeldbezug Stellen abgebaut haben.
Hinzukommt, dass der Etat der Bundesagentur für Arbeit durch geringere Beschäftigung und höhere Arbeitslosigkeit ohnehin schon belastet ist. Das Kurzarbeitergeld nagt zusätzlich am Budget. Sollten die Rücklagen nicht reichen, übernimmt der Bund den Rest und damit der Steuerzahler.
Deutschland nimmt so viele Schulden auf wie nie zuvor, um die Wirtschaft anzukurbeln. "Ein milliardenschweres Finanzpaket mit Nebenwirkungen", sagt ZDF-Börsenexpertin Valerie Haller.21.03.2025 | 1:01 min
Kurzarbeit kann den Wandel verschleppen
In der aktuellen Krise sei die Kurzarbeit kontraproduktiv. "Unternehmen, die tendenziell gerade in Schwierigkeiten sind, die gerade also keine großen Wachstumsperspektiven haben, werden subventioniert, wenn sie Arbeitskräfte in Beschäftigung halten. Insofern sorgt das Kurzarbeitergeld dafür, dass Beschäftigte teilweise nicht wechseln", so Jäger.
Bei Lapp läuft das Geschäft wieder. Nach der Durststrecke startete der Mittelständler mit voller Belegschaft durch. Bei Wirtschaftsschocks sei die Kurzarbeit ein internationaler Wettbewerbsvorteil, meint Kauke. Bei einer Dauerkrise wie dieser aber scheint sie eher Fluch als Segen.
Quelle: dpa
Sie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.
Um dir eine optimale Website der ZDFmediathek, ZDFheute und ZDFtivi präsentieren zu können, setzen wir Cookies und vergleichbare Techniken ein. Einige der eingesetzten Techniken sind unbedingt erforderlich für unser Angebot. Mit deiner Zustimmung dürfen wir und unsere Dienstleister darüber hinaus Informationen auf deinem Gerät speichern und/oder abrufen. Dabei geben wir deine Daten ohne deine Einwilligung nicht an Dritte weiter, die nicht unsere direkten Dienstleister sind. Wir verwenden deine Daten auch nicht zu kommerziellen Zwecken.
Zustimmungspflichtige Datenverarbeitung • Personalisierung: Die Speicherung von bestimmten Interaktionen ermöglicht uns, dein Erlebnis im Angebot des ZDF an dich anzupassen und Personalisierungsfunktionen anzubieten. Dabei personalisieren wir ausschließlich auf Basis deiner Nutzung der ZDFmediathek, der ZDFheute und ZDFtivi. Daten von Dritten werden von uns nicht verwendet. • Social Media und externe Drittsysteme: Wir nutzen Social-Media-Tools und Dienste von anderen Anbietern. Unter anderem um das Teilen von Inhalten zu ermöglichen.
Du kannst entscheiden, für welche Zwecke wir deine Daten speichern und verarbeiten dürfen. Dies betrifft nur dein aktuell genutztes Gerät. Mit "Zustimmen" erklärst du deine Zustimmung zu unserer Datenverarbeitung, für die wir deine Einwilligung benötigen. Oder du legst unter "Einstellungen/Ablehnen" fest, welchen Zwecken du deine Zustimmung gibst und welchen nicht. Deine Datenschutzeinstellungen kannst du jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in deinen Einstellungen widerrufen oder ändern.