Wie stark ist das Autoland Deutschland noch?

    Interview

    Wirtschaftskrise:Wie stark ist das Autoland Deutschland noch?

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    Die deutsche Autoindustrie steckt in der Krise, Deutschlands Autoregionen vor massiven Herausforderungen. Im Interview sieht Wirtschaftsexperte Hanno Kempermann aber auch Chancen.

    Ein Mitarbeiter überwacht im VW Werk an einem Schaltpult eine Fertigungsstrecke mit Autos.
    Mitarbeiter bei Volkswagen: In der Autostadt Wolfsburg arbeitet jeder Zweite in der Autoindustrie.
    Quelle: 24-5342332

    ZDFheute: Fast täglich gibt es Meldungen über geplante Stellenstreichungen. Wo steht die Automobilwirtschaft?
    Hanno Kempermann: Auf dem Weltmarkt werden fast fünf Millionen Fahrzeuge weniger zugelassen als 2018. Der europäische Pkw-Markt liegt immer noch rund ein Fünftel unter den Neuzulassungen vor der Pandemie. Diese Konjunktur-Delle könnte in den nächsten Jahren ausgeglichen werden.
    Strukturell stehen die deutschen Automobilhersteller allerdings vor großen Herausforderungen: Der globale Marktanteil liegt bei rund 21 Prozent, wenn man alle Antriebsarten berücksichtigt. Bei E-Autos werden aber bloß 14 Prozent von deutschen Herstellern bedient.
    Automobilindustrie im Umbruch
    Auch bei Ford droht ein Stellenabbau. Die EU-Kommission will die europäische Autoindustrie stärken und stützen im Wettbewerb mit Hauptkonkurrent China.28.11.2024 | 2:36 min
    Dieser E-Marktanteil muss deutlich wachsen! Hohe Kosten, schlecht funktionierende Software und neue Wettbewerber erschweren das.

    Es gibt aber einen Marktdruck in Richtung E-Mobilität: Vor kurzem wurden in China erstmalig mehr Elektroautos als solche mit Verbrennungsmotor zugelassen.

    Global haben mittlerweile rund 20 Prozent aller neu zugelassenen Autos E-Antrieb.

    Ein mittelalter Mann mit Brille, einem weißen Hemd und Jacket sitzt.
    Quelle: Martin Beume

    ... ist Geschäftsführer der IW Consult, einer Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft für Auftragsforschung und Beratung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen automobile Transformation, regionale Entwicklungsstrategien und Innovationsökosysteme. Derzeit arbeitet er an der Folgestudie einer Untersuchung im Auftrag des Bundeministeriums für Wirtschaft und Energie zu den Automobilstandorten in Deutschland, die 2021 für Aufsehen sorgte, weil sie die starke Abhängigkeit vieler Regionen von der Automobilproduktion, insbesondere auch von der Verbrenner-Technologie deutlich machte. Foto: Martin Beume

    ZDFheute: In Regionen, die stark von der Autoindustrie abhängen, machen sich viele Menschen Sorgen. Sie haben sich diese Gegenden genau angeschaut.
    Kempermann: Stimmt. In Wolfsburg etwa arbeitet jeder zweite Beschäftigte in der Autoindustrie, in Ingolstadt und Dingolfing-Landau fast jeder zweite. Diese Regionen müssen den Wandel schaffen, sonst droht massiver Wohlstandsverlust. Aber auch andere Regionen stehen vor großen Aufgaben, weil dort besonders viele Unternehmen Elemente des traditionellen Verbrennungsmotors herstellen: Wir schätzen, dass etwa in Schweinfurt jeder sechste Beschäftigte vom automobilen Wandel betroffen ist, ebenso in Salzgitter. Auch in Bamberg, dem Saarpfalz-Kreis oder in Baunatal arbeiten viele Beschäftigte am Verbrenner. Und viele Unternehmen haben ja schon Stellenabbau angekündigt.

    Die WISO-Dokumentation zu diesem Thema können sie Sie um 19:25 Uhr im ZDF sehen - und jederzeit hier in der Mediathek.

    Mitarbeiter, Gewerkschaftler stehen auf einer Bühne mit Schildern, dahinter ein Ford Logo
    Bei den Ford-Werken in Köln sollen 2.900 Stellen wegfallen. Der Betriebsrat spricht von einem "brutalen Abbauplan" und fordert eine "Vision für den Standort".27.11.2024 | 2:42 min
    ZDFheute: Werden neue Arbeitsplätze die Verluste abfedern können?
    Kempermann: Wir haben schon 2021 geschätzt, dass rund 260.000 Menschen in Deutschland Komponenten des traditionellen Verbrenners herstellen, 125.000 Menschen aber auch schon in den Chancenfeldern der Elektrifizierung und Digitalisierung arbeiten.

    Wenn die deutschen Hersteller es schaffen, ihren Marktanteil bei E-Autos zu erhöhen, sind wir optimistisch, dass viele Jobs in wegfallenden Bereichen kompensiert werden können.

    Es gibt auch viele Startups, die in neuen Märkten erfolgreich unterwegs sind, etwa im Bereich Batterien. Darüber hinaus können Automotive-Unternehmen auch entlang ihrer Kernkompetenzen neue Wege gehen. Schönes Beispiel: Ein Ölfilter-Hersteller, der seine Kompetenz bei Vliesstoffen dafür jetzt nutzt, Windeln herzustellen.
    Das Logo des Autobauers VW ist auf dem Dach am VW-Stammwerk in Wolfsburg zu sehen.
    Trotz Sparvorschlägen von Belegschaft und Gewerkschaft in Höhe von 1,5 Milliarden Euro will Autobauer Volkswagen Werke schließen. Auch Kündigungen seien nicht auszuschließen.23.11.2024 | 0:22 min
    ZDFheute: Und schaffen wir das?
    Kempermann: Mit leistungsfähigeren Batterien, dichterem Ladenetz und geringeren Preisen für E-Autos und Strom wird sich die E-Mobilität in den nächsten Jahren durchsetzen, davon bin ich überzeugt. Die deutschen Autohersteller genießen international noch immer einen herausragenden Ruf und Deutschlands automobiles Innovations-Ökosystem ist immer noch eins der besten weltweit. Diese Stärken müssen wir in ein neues Zeitalter überführen.
    Zudem hat der weitere Mobilitätsbereich Wachstumsperspektiven: Beispiele sind Luft- und Raumfahrt, Drohnen oder autonomes Fahren. Aber auch Erneuerbare Energien oder Medizintechnik können spannend für Zulieferer sein. Entscheidend ist, dass der Standort Deutschland wieder attraktiver wird.
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    Der Autobauer VW steckt in der Krise, die Mitarbeiter bangen um ihre Jobs. Und wehren sich gegen drohende Standortschließungen und Massenentlassungen. Es drohen Streiks.21.11.2024 | 2:22 min
    ZDFheute: Was muss dafür getan werden?
    Kempermann: Es beginnt in den Regionen mit wirtschaftsfreundlicher Verwaltung und gezielten Innovations-Kooperationen und endet bei der Bundesregierung, die etwa Abläufe verschlankt, Zukunftstechnologien fördert und die Energiewende gut gestaltet. Die Branche selbst muss ebenfalls Bürokratien reduzieren und Autos bauen, die die Kunden auch haben wollen und sich leisten können.
    Das Interview führte Katrin Ohlendorf.
    Die Volkswagen-Werke

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