Fossile Energien: Ist die Kohle schon ein Auslaufmodell?

    Fossile Energie und Klimawandel:Ist die Kohle schon ein Auslaufmodell?

    Mark Hugo
    von Mark Hugo
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    Die Briten sind schon raus aus der Kohle, in Deutschland soll in den 30er-Jahren das letzte Kraftwerk vom Netz gehen. Ist die Kohle weltweit ein Auslaufmodell? Noch nicht wirklich.

    Sonnenaufgang am Kohlekraftwerk Mehrum
    Als erste große Industrienation stillt Großbritannien seinen Strombedarf fortan ohne Kohleverstromung (Symbolbild).
    Quelle: dpa

    Die Nachricht ließ aufhorchen: Großbritannien, historisch das Mutterland der Kohleenergie, hat das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet. Wenn die Briten das schaffen, können das auch andere, mögen manche denken. Gibt es wirklich so etwas wie eine weltweite Ausstiegs-Euphorie?
    Der Blick auf die blanken Zahlen der Internationalen Energieagentur IEA ist eher ernüchternd: 2023 kletterte die Kohlenachfrage mit weltweit 8,7 Milliarden Tonnen auf ein Allzeit-Hoch. Gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 2,6 Prozent. Haupttreiber war der Energiehunger aufstrebender Länder Asiens. China legte um sechs, Indien um mehr als neun Prozent zu - vor allem für die Stromerzeugung, aber auch in der Industrie. 2023 wurden laut IEA mehr als 80 Prozent der Kohle in Asien verbraucht.
    Kohlekraftwerk in der Nähe des britischen Nottingham. Im Vordergrund stehen Stromtrassen.
    Als erstes westliches Industrieland steigt Großbritannien aus der Kohle aus. Auch das letzte Kohlekraftwerk in der Nähe von Nottingham wird nun geschlossen.30.09.2024 | 1:47 min

    Indizien für die Trendwende?

    So weit, so schlecht aus Sicht des Klima- und Umweltschutzes. Tatsächlich könnte es jedenfalls nach Einschätzung der IEA bald zur Trendwende kommen. Ein Indiz ist die Entwicklung in vielen Industrieländern. In den USA sank die Nachfrage 2023 gegenüber dem Vorjahr um mehr als 17, in der EU um 22,5 Prozent. Länder wie Belgien, Österreich, Schweden und Portugal sind bereits aus der Kohleverstromung ausgestiegen.

    Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist Deutschland mit einem Anteil von 46 Prozent noch immer der größte Produzent der klimaschädlichen Braunkohle in der EU. Zwar ist die Stromeinspeisung durch Kohleenergie rückläufig und lag im ersten Halbjahr 2024 bei nur noch 20,9 Prozent (26 Prozent im Vorjahrenzeitraum), allerdings ist Kohle noch immer einer der Hauptgründe dafür, dass der Treibhausgasausstoß vergleichsweise hoch ist. Laut Umweltbundesamt war Deutschland im Jahr 2022 allein für 22 Prozent der EU-Emissionen verantwortlich. Nach den aktuellen Plänen soll spätestens 2038, möglichst schon 2030 mit dem Strom aus Kohlekraftwerken Schluss sein.

    Auch ein Beschluss der G7-Staaten im Frühjahr weist in dieselbe Richtung: Die Industriestaaten haben sich zum Ausstieg bis spätestens 2035 verpflichtet, was Dave Jones von der Denkfabrik Ember einen "weiteren Sargnagel" für die Kohle nannte - auch wenn es Kritik an weichen Formulierungen und möglichen Hintertürchen gibt. Laut Ember hat sich die Kohleverstromung auch in den OECD-Staaten - neben den USA und Australien sind das vor allem Länder in Europa und Mittelamerika - seit 2007 mehr als halbiert auf einen Anteil von 17 Prozent.

    Kohle-Rückzug ein "optimistisches Szenario"

    Die IEA rechnet für 2024 und 2025 mit einem allmählichen Abflachen der Kurve bei der weltweiten Kohlenachfrage, ab 2026 sogar mit einem Rückgang. Das sieht nicht jeder so: "Ich halte das für ein sehr optimistisches Szenario", sagt dazu Prof. Jan Steckel vom Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

    China und Indien bauen zurzeit neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 200 Gigawatt, weitere sind in Planung.

    Prof. Jan Steckel, MCC

    Es sei dort nicht geplant, bestehende Kraftwerke "im großen Stil" abzuschalten, so Steckel. Die Kohle sei dagegen überall dort stark eingebrochen, wo Alternativen - wie Gas in den USA - billiger geworden sind oder die Politik eingegriffen hätte - wie in Großbritannien. "Global gesehen kann ich aber nicht sehen, dass die Kohle auf dem Rückzug ist", so der Klimaforscher zu ZDFheute.
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    Ausbau der Erneuerbaren mit aller Wucht

    Tatsächlich ist China nicht wählerisch, seinen gewaltigen Energiebedarf zu decken. Das Land setzt weiter auf Kohle und Kernenergie, immerhin aber zunehmend auch auf Erneuerbare Energien. Und zwar mit aller Wucht. 60 Prozent der im Jahr 2023 neu geschaffenen Kapazitäten an Erneuerbaren entstanden laut IEA in China. Das betrifft Wasser- und Windkraft, aber auch Solarenergie.

    Chinas solare Expansion geht so schnell voran, dass in den frühen 2030ern - in weniger als zehn Jahren - Chinas Stromerzeugung durch Sonnenenergie alleine den kompletten heutigen Energiebedarf der USA übertreffen wird.

    Fatih Birol, Direktor Internationale Energieagentur IEA

    Fakt ist: Weil sie in der Regel günstiger sind als andere Formen der Stromerzeugung, boomen erneuerbare Energien gerade weltweit. "Sie gehen schneller voran denn je und überraschen uns jedes Jahr wieder", so Prof. Niklas Höhne vom NewClimate Institute im ZDFheute-Interview. Allerdings werde wegen des wachsenden Energiehungers auch in fossile Energien wie Öl und Gas, aber eben auch Kohle investiert. "Die beiden Trends heben sich leider gerade auf."

    Politik hat Einfluss auf Energiewende

    Möglicherweise auch in Deutschland. Am deutschen Ausstieg bis Mitte der 30er-Jahre dürfte aber auch eine wie auch immer gefärbte künftige Bundesregierung nichts ändern. Eine entscheidendere Rolle könnte die geplante Reform des Europäischen Emissionshandels ETS spielen, mit dem der Ausstoß von Treibhausgasen bepreist wird.
    Diese habe, glaubt Klimaforscher Steckel das Potenzial, den Kohleausstieg auch in Deutschland zu beschleunigen.

    Wenn der Preis für CO2 hoch ist, werden die Alternativen zur Kohle immer attraktiver.

    Prof. Jan Steckel, MCC

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    Mark Hugo ist Redakteur in der ZDF-Umweltredaktion

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