Nachfolger für Unternehmen: Genossenschaft als Lösung?

    Interview

    Nachfolge in Unternehmen:Wenn die Genossenschaft die Lösung ist

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    Jährlich stehen 125.000 Betriebe in Deutschland vor einer Übergabe, doch die Nachfolge ist oft nicht einfach. Genossenschaften könnten helfen - auch gegen Monopole wie von Amazon.

    Schlüsselübergabe
    Wer soll übernehmen? Etwa 125.000 mittelständische Unternehmen stehen in Deutschland pro Jahr vor der Übergabe. Bei fast einem Viertel droht die Nachfolge nicht rechtzeitig zu gelingen.13.06.2024 | 29:44 min
    Wenn Unternehmer in den Ruhestand gehen wollen, ihre Geschäfte übergeben wollen, kann das schwierig werden. Laut der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) droht bei einem Viertel der Firmen die Nachfolge nicht rechtzeitig zu gelingen. Eine Lösung bietet die Unternehmensform der Genossenschaft. Welches Potential darin liegt, erklärt die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin Claudia Henke.
    ZDFheute: Das Unternehmensmodell der Genossenschaft (kurz: eG) wurde in Deutschland schon um 1850 von Raiffeisen und Schulze-Delitzsch etabliert. Was unterscheidet diese "alten" Genossenschaften vom "neuen" Typ, den Sie voranbringen wollen?
    Claudia Henke: Genossenschaften stehen für Selbsthilfe und demokratische Organisation. Sie sind aber immer nur so gut, wie sie von ihren Mitgliedern ausgestaltet werden. In der Vergangenheit wurden die genossenschaftlichen Werte nicht überall gelebt.
    Die neue Generation setzt auch in der Praxis auf die international anerkannten Werte wie Fairness, Kooperation und wirtschaftliche Teilhabe, so dass Gewinne dafür eingesetzt werden, die Mitglieder zu fördern. Es geht um geteilte Verantwortung, also flache Hierarchien und Bildung, um die Verantwortung auch übernehmen zu können. Neu ist vor allem die Vernetzung von Genossenschaften untereinander und ihre Digitalisierung.

    Das Bild ist ein Porträt von Claudia Henke
    Quelle: Thomas Zydatiß

    .... ist Mitbegründerin und Vorstandsmitglied der "Platform Coops Germany eG". Sie ist spezialisiert auf genossenschaftliche Unternehmensnachfolge und begleitet dazu erste Praxisfälle. Henke setzt sich für eine neue Generation genossenschaftlicher Unternehmen ein, die sich an den internationalen Werten der ICA, dem Weltverband der Genossenschaften, orientieren.

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    ZDFheute: In Italien gibt es fast 60.000 Genossenschaften, in Deutschland "nur" knapp 8.000. Warum?
    Henke: Italien hat ein starkes, gesetzlich verankertes Unterstützungssystem für Genossenschaften, zum Beispiel guten Zugang zu Finanzierungen und Knowhow. In Deutschland sind Genossenschaften zwar bekannt, aber nicht im Detail. In Studiengängen der BWL wird die eG kaum behandelt. Auch von vielen Finanzierungen war sie bis vor Kurzem ausgeschlossen.

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    ZDFheute: Was müsste getan werden, um eGs in Deutschland mehr zu fördern und zu verankern?
    Henke: Die nationale Strategie für soziale Innovationen und gemeinwohlorientierte Unternehmen ist sicher ein erster Aufschlag. Verantwortungsvolles Unternehmertum - demokratisch und nachhaltig - ist gerade in unseren Zeiten interessant und sollte bereits im Bildungssystem Thema sein.
    ZDFheute: Auch bei ungeklärter Unternehmensnachfolge kann die Gründung einer eG eine Lösung sein - durch einen sogenannten "Workers' Buyout"! Wie funktioniert das?
    Henke: Workers' beziehungsweise Employees' Buyout wird seit Jahrzehnten erfolgreich zum Beispiel in Italien eingesetzt, um Krisenbetriebe zu retten. Mitarbeitende kaufen das Unternehmen oder Teile davon und führen es gemeinsam weiter. Dafür gründen sie eine Genossenschaft, kaufen Anteile und werden so zu Mitgliedern und Miteigentümern.
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    Aktuell kommt auf vier Firmen, die eine Nachfolge anstreben, nur ein Bewerber. Im schlimmsten Fall müssen gesunde Unternehmen schließen. Deshalb haben wir 2019 gemeinsam mit Partnern aus Italien das Modell Workers' Buyout für die Nachfolge weiterentwickelt.
    Die Mitarbeitenden sichern damit ihre Arbeitsplätze, das Knowhow. Sie tragen dazu bei, dass Unternehmen in der Region bleiben. Sie entscheiden gemeinsam über die Gewinnverteilung, können neue, passendere Arbeitsformen einführen und ihr Unternehmen weiterentwickeln.
    ZDFheute: Für welche anderen Probleme könnte die eG eine Lösung sein?
    Henke: Zum Beispiel in der Plattformökonomie mit Unternehmen wie Amazon oder Airbnb. Als Monopole haben sie enormen Einfluss auf unsere Gesellschaft, ohne dass wir als Nutzer Einfluss nehmen könnten. Die Alternative sind Platform Coops, also Plattformen, die genossenschaftlich organisiert sind. Nutzer können Mitglied werden, entscheiden mit, etwa über Angebote und Datenverwendung. Dazu gibt es Pioniervorhaben wie "haqoo", eine Plattform für lebenslanges Lernen.
    Das Interview führte Cordula Stadter.

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