EZB senkt Leitzins: Zwischen Inflation und mauer Wirtschaft

    Analyse

    Risikofaktor Inflation:EZB senkt Leitzins - eine Gratwanderung

    von Mischa Ehrhardt
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    Die EZB senkt den Leitzins weiter. Dabei ist sie vorsichtig. Denn sie wandelt auf schmalem Grat zwischen mauer Wirtschaft und einer noch zu hohen Inflation. Eine Analyse.

    SGS Neuhann
    Die EZB hat den Leitzins um 0,25 Prozent weiter gesenkt. Ob dieser Schritt der Wirtschaft den erhofften Antrieb gibt, beurteilt ZDF-Wirtschaftsexperte Florian Neuhann.12.09.2024 | 1:07 min
    Der Gipfel der Inflation im Euroraum ist seit einiger Zeit überschritten. Doch auch wenn der Berg hinter der EZB liegt, wandelt die Notenbank auf einem schmalen Grat. Zwar trafen die Währungshüter des Euroraumes ihre Entscheidung einstimmig. Das unterstrich EZB-Präsidentin Christine Lagarde nach der Ratssitzung auf der Pressekonferenz in Frankfurt. Doch auch wenn dem formal so ist - einig dürfte man sich im obersten Entscheidungsgremium der EZB nicht sein.

    Unter Leitzinsen versteht man die von der zuständigen Zentralbank festgelegten Zinssätze, zu denen sich Geschäftsbanken bei einer Zentral- oder Notenbank Geld beschaffen oder anlegen können. In der Eurozone ist die Europäische Zentralbank (EZB) zuständig für die Festlegung der Leitzinsen. Davon setzt die EZB drei fest: Einlagenzins, Hauptrefinanzierungssatz und Spitzenrefinanzierungssatz

    Für Sparer ist der Einlagenzins wichtig. Zum Hauptrefinanzierungssatz können sich Geschäftsbanken Geld bei der EZB leihen. Der Spitzenrefinanzierungssatz dient Geschäftsbanken zur kurzfristigen Beschaffung von Geld. Vorrangiges Ziel der Zentralbanken ist es, ein stabiles Preisniveau mit einer niedrigen Inflationsrate sicherzustellen.

    Die EZB strebt dafür ein Inflationsziel von zwei Prozent in der mittleren Frist an. Um die Inflationsrate bei einer vorgegebenen Zielgröße zu halten, kann die Zentralbank die Leitzinsen anheben ("restriktive Geldpolitik") oder auch senken ("expansive Geldpolitik"). 

    Quelle: Glossar des Bundesfinanzministeriums, AFP

    Kerninflation weiter zu hoch

    So ist etwa bekannt, dass Bundesbankpräsident Joachim Nagel zu der Fraktion gehört, die lieber auf Nummer sichergehen will, dass die Inflation auch wirklich und endgültig auf dem Rückzug ist. In anderen Ländern wie in Italien oder Portugal plädieren die Notenbankchefs dagegen bereits seit Längerem für Zinssenkungen - in ihren Ländern ist die Inflation allerdings auch weniger hoch als beispielsweise noch in Deutschland.
    nahaufnahme: Christine Lagarde
    Die Europäische Zentralbank steht vor der zweiten Zinssenkung in diesem Jahr. Was wird EZB-Präsidentin Lagarde gegen die Inflation unternehmen? Ein Blick hinter die Kulissen.12.09.2024 | 9:37 min
    Was im Euro-Turm in Frankfurt auf jeden Fall und nach wie vor für Zweifel sorgt, ist der Blick auf die Kerninflation und den zugrundeliegenden Inflationsdruck. Für den sorgen beispielsweise steigende Löhne. Aus der Kerninflationsrate sind die stark schwankenden Preise wie etwa die für Energie und Nahrungsmittel heraus gerechnet. Beide diese Faktoren liegen noch deutlich zu hoch und unterminieren das 2-Prozent-Ziel der Notenbank.
    Inflationsrate
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    Lohnerhöhungen wirken - noch - als Inflationstreiber

    Das dürfte ein Grund dafür sein, dass die Notenbank die entscheidenden Zinsen nur in kleinen Schritten reduziert. Und es ist auch der Grund, warum Christine Lagarde seit einigen Monaten gebetmühlenartig wiederholt, dass die EZB ihre Entscheidungen auf Grundlage der jeweils zum Zeitpunkt der Sitzungen vorliegenden ökonomischen Daten trifft. Eine Festlegung, was in der nächsten Sitzung in sechs Wochen beschlossen werden könnte, umschifft die Zentralbank auf diese Weise.
    Der Grund dafür ist zum einen die Entwicklung der Inflation, die in einigen Bereichen zu hoch ist und sich zudem als zäh erweist. So etwa im Dienstleistungsbereich. Hier spielt die Entwicklung von Löhnen und Gehältern eine prominente Rolle. Denn bei Dienstleistungen fallen Löhne und Gehälter ungleich stärker ins Gewicht als im produzierenden Gewerbe.
    Zwar weise die Tendenz bei der Lohnentwicklung langsam wieder nach unten. Das bremst tendenziell auch die Inflation. Allerdings würden Lohnsteigerungen in diesem und in der ersten Hälfte des kommenden Jahres noch Inflationstreibend wirken. Lagarde verwies als Beispiel auf die Tarifrunde, die zwischen IG Metall und Arbeitgebern in Deutschland in dieser Woche begonnen hat.
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    Zinssenkung für schwächelnde Wirtschaft?

    Andererseits - und das ist der zweite größere Block der Betrachtung - schwächelt die Wirtschaft im Euroraum. Und auch hier spielt die deutsche Wirtschaft als größte im Euroraum eine entscheidende Rolle. Denn sie zeigt rezessive Tendenzen und ist europäisches Schlusslicht beim Wachstum. Als größte Wirtschaft im Euroraum hinterlässt das auch andernorts Bremsspuren.
    Um die Wirtschaft in Schwung zu bekommen, bräuchte es eigentlich deutlich sinkende Zinsen. Denn so können Unternehmen und Konsumentinnen und Konsumenten sich leichter Geld leihen. Das wiederum kann zu höheren Konsumausgaben bei Verbrauchern und höheren Investitionen bei den Unternehmen führen.
    Allerdings auch zu steigenden Preisen. So ist die kleine Senkung des Leitzinses um 0,25 Prozent ein Kompromiss. Geschuldet der aktuellen Gratwanderung, die die EZB vollzieht: zwischen zu hoher Inflation auf der einen - und einer sich abkühlenden Wirtschaft auf der anderen Seite.
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    Quelle: ZDF

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