Weichen, Gleise, Großprojekte:Die vier größten Probleme der Deutschen Bahn
von Scarlett Sternberg und Julia Klaus
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Die Bahn bringt neue Zahlen zu einem alten Problem: Sie kommt zu oft zu spät. Ein Grund sind abgebaute Weichen und Schienen. Was wurde noch falsch gemacht?
Winfried Wolf ist ein ausgewiesener Vielfahrer, schon seit Jahren fährt er nur mit dem Zug - jedes Jahr rund 60.000 Kilometer. Doch um nicht zu spät zu kommen, plante er einen immer größeren Zeitpuffer ein:
Zwei Stunden Sicherheitspuffer - statt Risiko und Zeitverlust nehmen viele da wohl lieber das Auto. Am Donnerstag hat die Bahn ihren Geschäftsbericht vorgestellt. Demnach waren nur 65,2 Prozent der Fahrten im Fernverkehr 2022 pünktlich. In den Vorjahren war dieser Wert mit 75,2 beziehungsweise 81,8 Prozent noch deutlich besser.
Die Zahlen dürften Vielfahrer Wolf, der auch Sprecher der Bürgerbahn Denkfabrik ist, nicht überraschen. Er kennt die Misere, in der sich die Bahn befindet. ZDF Frontal hat zu den vier größten Gründen für die Probleme der Deutschen Bahn recherchiert.
Runter von der Straße, rein in die Bahn. Um massiv CO2 einzusparen, brauchen wir klimafreundliche Mobilität. Aber immer noch wird in Deutschland zu wenig in die Schiene investiert.01.03.2023 | 29:32 min
1. Rückbau von Gleisen und Weichen
Die Betriebslänge des Bahnnetzes wurde über die Jahre hinweg immer weiter reduziert, von 1994 bis 2022 um rund 20 Prozent.
Betriebslänge des Bahn-Netzes
ZDFheute Infografik
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Bei den Weichen sieht es noch einmal schlechter aus: Rund die Hälfte wurde seit 1994 rückgebaut. Wo keine Weichen und keine Gleise sind, können Züge nicht ausweichen - etwa, wenn ein vorausfahrender Zug Verspätung hat. Es gibt Stau auf der Schiene.
Anzahl der Weichen
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2. Langsamfahrstellen: Tempo drosseln statt Reparaturen
Weniger Gleise - das bedeutet auch, dass jene, die in Betrieb sind, mehr beansprucht werden. Auch hier sparte die Bahn oft lieber, statt zu reparieren. Das verdeutlichen die "Langsamfahrstellen". Ein Lokführer, der anonym bleiben will, erklärt das Konzept ZDF Frontal so:
Interne Dokumente zeigen: Ganz Deutschland ist ein Flickenteppich mit rund 300 Langsamfahrstellen, die ganz unterschiedliche Mängel als Ursache haben. Darunter sind auch Schäden, die seit mehr als 30 Jahren nicht repariert worden sind.
3. Fragwürdige Investitionen: Megaprojekte wie Stuttgart 21
Die Bahn hat ihr Geld auch in einzelne, vermeintlich prestigeträchtige Neubauten investiert - wie Stuttgart 21. Bahn-Aktivist Wolf sagt zu den steigenden Kosten:
Auch die Verlegung des Bahnhofs Hamburg-Altona ist so ein Megaprojekt, das bis 2027 fertig sein soll. Ob es im Norden kostenbewusster und pünktlicher klappt als im Süden - unklar.
4. Die Art der Sanierung: Vollsperrung statt Sanierung unter rollendem Rad
Bis 2030 sollen mehr als 40 wichtige Strecken-Korridore in Deutschland komplett gesperrt werden, um sie zu sanieren. Das soll zwar nicht überall gleichzeitig geschehen. Während aber im Rest Europas üblicherweise unter rollendem Rad saniert wird, also bei laufendem Betrieb, setzt Deutschland auf Vollsperrungen. Doch die müssten nicht sein, kritisieren Experten. Der ehemalige Bahn-Chef der Schweizer Bahn, Benedikt Weibel, sagt ZDF Frontal:
Durch die Großbaustellen werden viele Züge auf Nebenstrecken ausweichen müssen - ein Lokführer zeigt sich gegenüber ZDF Frontal skeptisch, dass das reibungslos klappen kann:
Bundesrechnungshofs-Chef kritisiert: "Jahrelang auf Verschleiß gefahren"
Der Bundesrechnungshof hat die Bahn in einem Sonderbericht gerade zu einem Sanierungsfall erklärt. Rechnungshof-Präsident Kay Scheller sagt ZDF Frontal:
Die Bahn hat das Problem erkannt, teilt ZDF Frontal mit, immer mehr Menschen würden Zug fahren - und weiter:
Das 49-Euro-Ticket ist beschlossene Sache. Aber ein klares Konzept der Bahn fehlt und bremst damit die Verkehrswende für eine klimafreundliche Mobilität aus.01.03.2023 | 2:04 min
Fehlanreiz: Auf Ersatz spekulieren statt reparieren
Ein Grund für die Probleme bei der Bahn ist ein Fehlanreiz im Finanzierungssystem: Die Instandhaltung der Gleise muss die Bahn selbst zahlen. Werden dieselben Gleise ersetzt, zahlt dagegen der Bund. Für die Bahn lohnt es sich also, auf Ersatz zu spekulieren, statt zu reparieren.
Immerhin hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die Bahn zu reformieren und das Profitinteresse dabei hintenanzustellen. Doch bis jetzt ist unklar, wie sich Bahn und Bund in Zukunft die Finanzierung teilen.
Für Winfried Wolf, den Vielfahrer und Aktivisten, dürfte das vorerst heißen: bei Bahnfahrten zu wichtigen Terminen weiterhin zwei Stunden Zeitpuffer einzuplanen.
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