Wirtschaftsexperte: Firmen sind "Fundament unseres Wohlstands"
Interview
Nach Kritik an ZDF-Beitrag:"Fundament unseres Wohlstands sind Unternehmen"
von Jan Schneider und Oliver Klein
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Ein ZDF-Video über die Steuerprivilegien von "Superreichen" sorgt für Kritik. Ein Wirtschaftsexperte entgegnet: Erfolgreiche Unternehmen seien das "Fundament unseres Wohlstands".
Zwei Kollegen arbeiten in der Fabrik an einer Solarzelle.
Quelle: Westend61
Das "ZDF bringt Christian Lindner auf die Palme" schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". "Lindner sauer über ZDF-Beitrag", steht in großen Buchstaben bei "Bild". Ein Video, das unter anderem auf dem YouTube-Kanal von ZDFheute veröffentlicht wurde, sorgte Anfang der Woche für Aufregung in Sozialen Medien und in der Presse.
Ex-Finanzminister Christian Lindner meldete sich auf X, dem früheren Twitter, zu Wort und griff das verwendete Vorschaubild scharf an: "Wieso taucht mein Bild hier auf, liebes ZDF?", fragte Lindner. Das Video sei "an Einseitigkeit nicht zu übertreffen".
Post von Christian Lindner bei X
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Zwar kommt der FDP-Politiker in dem "Backgroundcheck"-Video vor, das sich mit den "Tricks der Superreichen" beschäftigt, allerdings nur in einem kurzen Ausschnitt. Die Fotoauswahl erschloss sich dadurch nicht, die ZDFheute-Redaktion tauschte das Bild aus.
Auch Inhalt des Videos wird diskutiert
Aber auch der Inhalt des Videos sorgte für heftige Debatten: In den Kommentaren auf YouTube und X finden sich einerseits Zustimmung: "Super Beitrag", schreibt ein User. "Es gibt zu viele Menschen, die auf dem Zahnfleisch gehen, (...) es muss von denen genommen werden, die am meisten profitieren und am meisten geben können."
Das heiß diskutierte Video: Ein ZDFheute-Backgroundcheck über die Steuertricks der Superreichen.23.11.2024 | 18:06 min
Aber es hagelte auch Kritik, etwa an der Auswahl der Experten. "Eine derart einseitige und unfundierte Darstellung komplexer Fragen gehören nicht zum Aufgabenbereich des gebührenfinanzierten ÖRR", schreibt ein Nutzer.
In dem 18-minütigen Video kommt neben anderen Stimmen wie etwa einer Vertreterin des Bundes der Steuerzahler auch der Ökonom Maurice Höfgen zu Wort, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro des Linken-Abgeordneten Christian Görke arbeitet. Diese Funktion wird im Beitrag auch erwähnt.
Gut 100 Jahre gab es in Deutschland eine Vermögensteuer, die dem Staat damals Milliarden in die Haushaltskasse spülte. Doch 1997 wurde sie plötzlich "ausgesetzt". Wie kam es dazu? 14.10.2024 | 35:07 min
Klar ist: Es gibt noch Redebedarf bei diesem Thema. Grund genug für ein Gespräch mit Dr. Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft, Leiter des Bereichs Staat, Steuern und Soziale Sicherung, der von einer Vermögenssteuer wenig hält.
ZDFheute: In dem kritisierten Video wird die Frage gestellt, was Deutschland die Menschen mit großen Vermögen "kosten", wie viel Geld dem Staat durch Steuertricks entgeht. Umgekehrt gefragt: Wie profitiert diese Gesellschaft von "den Reichen"?
Tobias Hentze: Die Gesellschaft profitiert auf verschiedenen Ebenen von Reichen, wobei ich eher sagen würde von Unternehmen.
Hinter erfolgreichen Unternehmen stehen aber natürlich Menschen mit viel Kapital. Daher würde ich gerne den Begriff "Reiche" durch "Unternehmer" ersetzen.
Ein Autozulieferer kürzt ein Viertel der Jobs, der andere meldet Insolvenz an. Stahlkonzerne schreiben rote Zahlen. Kein Tag ohne Hiobsbotschaften. "Made in Germany" am Ende?03.10.2024 | 53:39 min
Dass Unternehmer mehrheitlich mehr Kapital haben, ist in einer Marktwirtschaft tatsächlich normal. Menschen werden reich, indem sie Risiken eingehen und erfolgreiche Unternehmungen starten. Unternehmer und Anteilseigner profitieren dann von den Gewinnen, die durch die Arbeit der Beschäftigten erwirtschaftet werden.
... ist Volkswirt mit Schwerpunkt Finanzwissenschaft. Er ist Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
ZDFheute: Dann anders gefragt: Wie profitiert die Gesellschaft von Unternehmen?
Hentze: Das ist recht einfach. Unternehmen zahlen Steuern, sie schaffen Arbeitsplätze und zahlen dementsprechend Gehälter an Arbeitnehmer, die auch wiederum Steuern abführen. Dadurch kommt Geld in die Kasse des Staates und das kann dann im Sinne der Gesellschaft eingesetzt werden.
Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Ein großes Problem sei der Fachkräftemangel – die künftige "Arbeitskräftelücke" werde "zum größten Wachstumshindernis" werden, so Florian Neuhann.22.11.2024 | 4:19 min
ZDFheute: Sprechen wir über Steuern. Wie gerecht ist die Steuerlast etwa für Milliardäre?
Hentze: Das ist in der Tat eine komplexe Frage. Bei Arbeitseinkommen zahlen Topverdiener bis zu 45 Prozent Steuern und da kommt noch der Soli obendrauf. Bei Kapitaleinkünften liegt die Steuer bei etwa 25 Prozent plus Soli. Ich kann gut verstehen, dass das ein Gefühl von Ungerechtigkeit hinterlässt, aber trotzdem bleibt es ein sehr, sehr komplexes System.
Es sollte auch nicht Ziel sein von Politik, Milliardäre zu schaffen. Das ist eher ein Nebeneffekt unseres Systems, der manchmal nicht zielführend ist und manchmal aber doch ganz gut ist, weil dadurch große Unternehmen entstehen können. Grundsätzlich sollte die Politik Steuerschlupflöcher schließen, um ein gerechtes System zu gewährleisten.
Superreiche werden in Deutschland immer reicher - auch das Steuersystem trägt dazu bei.
von Nils Metzger, Jan Schneider
Faktencheck
ZDFheute: Sie waren in der Vergangenheit eher kritisch gegenüber einer Vermögenssteuer. Warum?
Hentze: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten gab es immer wieder Diskussionen über Zusatzbelastungen für Vermögende. Meine Skepsis basiert auf der Sorge, dass zu hohe Steuern Kapital ins Ausland treiben könnten. Im Vergleich zu anderen Steuern hat die Vermögenssteuer außerdem die höchsten Erhebungskosten. Bei Umsatzsteuer, Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer ist die Erhebung viel einfacher.
Bei der Vermögenssteuer müssten sie jedes Jahr den Wert von allem bewerten - das ist ausgesprochen kompliziert. Mein Hauptargument ist aber, dass rund 60 Prozent des Vermögens der Menschen, die als oberes ein Prozent in der Vermögensverteilung bezeichnet werden, in Betriebsvermögen gebunden sind. Eine Vermögenssteuer würde Unternehmen belasten und ihre Investitionsfähigkeit schwächen. Unternehmer sind nicht da, um Steuern zu sparen, sondern um etwas zu gestalten.
Eine Oxfam-Studie zeigt, dass Superreiche trotz globaler Krisen noch reicher werden. Zudem vergrößert sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter. Valerie Haller an der Börse.15.01.2024 | 1:00 min
ZDFheute: Zahlen Unternehmen in Deutschland denn zu viele Steuern?
Hentze: Es ist einfach so, dass Unternehmen oder dass Kapitalgesellschaften in Deutschland mehr Steuern bezahlen als in den meisten anderen Ländern, mit denen wir uns im Wettbewerb sehen.
Im Vergleich zu den OECD-Staaten ist die Steuerlast für Kapitalgesellschaften sechs Prozentpunkte höher, im Vergleich zu allen EU-Ländern ist sie neun Prozentpunkte höher. Und wir haben auch eine höhere Steuerbelastung als die USA.
Trotzdem ist auch richtig, dass die Steuerbelastung in den vergangenen 25 Jahren deutlich gesunken ist. Nur: In anderen Ländern ist sie noch stärker gesunken. Das ist hier der Punkt, und den Wettbewerb können wir nicht wegdiskutieren aus meiner Sicht.
Arbeit und Kapital werden hierzulande laut Experten unausgewogen besteuert: Während Reiche legale Steuerschlupflöcher finden, holt sich der Staat Geld vor allem von Arbeitnehmern.
von Eva Schmidt
mit Video
ZDFheute: Aber viele Menschen empfinden extreme Vermögen als grundsätzlich ungerecht. Was ist Ihre Perspektive?
Hentze: Wir haben eine starke Vermögensungleichheit, die die Politik im Blick haben muss. Die Lösung ist jedoch nicht so einfach, wie die Superreichen zu besteuern. Nehmen Sie Erb- oder Vermögenssteuern - selbst wenn sie umgesetzt würden, würden sie die Gesamtungleichheit kaum reduzieren, weil wir von der Umverteilung von Milliarden gegen einen Hintergrund von Billionen sprechen.
ZDFheute: Was könnte getan werden, um Ungleichheit zu reduzieren?
Hentze: Steuersysteme sind nicht die Wunderlösung. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, breitere wirtschaftliche Chancen zu schaffen. Das bedeutet, Investitionen zugänglicher zu machen, die Lücke zwischen Brutto- und Nettoeinkommen für untere und mittlere Einkommensgruppen zu verringern und realistische Wege zum Sparen und Vermögensaufbau zu eröffnen.
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Außerdem brauchen wir ein Top-Bildungssystem - von Kita bis Universität. Unser Ziel sollte sein, Menschen so zu unterstützen, dass sie später nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind. Eine abgeschlossene Berufsausbildung reduziert die Wahrscheinlichkeit, Bürgergeld zu beziehen, deutlich. Davon profitieren wir als Gesellschaft am meisten.
Quelle: ZDF
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