Mikroplastik und Greenwashing: Unsere Sucht nach Plastik

    Kommentar

    Meeresplastik und Greenwashing:Unsere Sucht nach Plastik und ich

    Andreas Stamm
    von Andreas Stamm
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    Kann ein Schuh helfen, die Welt zu retten? Das war die Ausgangsfrage. Oder ist das eine Übertreibung der Marketingabteilung eines Weltkonzerns?

    Turnschuh und Plastikmüll am Strand
    Plastik ist überall, auch in den Ozeanen. adidas bewirbt einen teilweise aus Meeresplastik gefertigten Schuh. Das große Ding in Sachen Nachhaltigkeit oder nur Greenwashing?07.04.2024 | 29:10 min
    Wir sind doch alle irgendwie öko? Oder wer sagt schon: "Hey, die Zerstörung der Umwelt, super, da mache ich gerne mit." Und da stehe ich nun auf Thilafushi, einer aufgeschütteten Insel im irdischen Paradies namens Malediven. Geformt aus Plastikmüll, hunderten Tonnen täglich. Aus den Touristenressorts. Angespült durch die Meeresströmungen aus Indien, Arabien, Afrika. Und dem immer weiter steigenden Plastikverbrauch der Einheimischen.
    Glasflaschen, Reifen und Plastikeimer liegen sortiert auf der Müllinsel Thilafushi am 21.03.2014.
    Glasflaschen, Reifen und Plastikeimer liegen sortiert auf der Müllinsel Thilafushi.
    Quelle: picture alliance / dpa

    Inmitten dieser Umweltkatastrophe im indischen Ozean, sinniere ich darüber, dass der Müllberg mittlerweile die höchste Erhebung der Malediven ist. Alles, was sichtbar bliebe, sollte der Meeresspiegelanstieg das vom Klimawandel bedrohte Paradies eines Tages untergehen lassen. Und was habe ich in der Hand - eine Wasserflasche, aus Plastik. Was auch sonst.
    blick auf die statuen der osterinseln
    Die Osterinsel, ein abgelegener Ort – doch vor einer Plage auch nicht gefeit. Angespültes Plastik bedroht die lokale Tierwelt. Der Kampf einer Insel, nicht zur Müllkippe zu werden.04.04.2024 | 3:02 min

    Mikroplastik im Menschen und der Natur

    Es kritisiert sich vielleicht schlechter damit, zumindest wenn es um "die Anderen" geht. Vor allem aber macht es deutlich - die Welt, wir, ich, du, Sie sind süchtig nach Plastik. Immer mehr wird produziert. 400 Millionen Tonnen weltweit im Jahr - immer mehr landet in der Umwelt. Im Meer.
    Da sind es rund 10 Millionen Tonnen. Große Teile. Mikroplastik unter fünf Millimeter im Durchmesser. Überall, selbst in der Arktis. Im Marianengraben, der tiefsten Stelle der Ozeane. Erklärt eine der führenden Meeresbiologinnen, Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Die Auswirkungen auf das Ökosystem Meer seien furchtbar. Doch da mache es nicht halt.

    Vom Speichel bis zu Stuhlproben haben wir Mikroplastik gefunden. Im Herz, im Blut, in der Leber. Und was ich besonders gruselig finde, sogar in der Plazenta und in der Brustmilch.

    Melanie Bergmann, Alfred-Wegener-Institut

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    Jedes Jahr gelangen mehr als 11 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Ozeane. Es bilden sich riesige Müllstrudel und mit der Zeit entsteht Mikroplastik.04.04.2024 | 0:41 min
    Schon vor der Geburt gibt es also eine "Plastikinjektion". Wie gefährlich das ist, darüber wird noch gestritten und geforscht. "Vielleicht nicht so schlimm?", frage ich. Melanie schüttelt den Kopf. Und erklärt, dass wer sich um die Meere sorge, bloß nicht anschauen sollte, wieviel Plastik mittlerweile in der Luft nachgewiesen werden kann. Nanoplastik, noch kleiner, überall. Galgenhumor einer Wissenschaftlerin, über den ich lachen kann. Bis zum nächsten Atemzug.
    Laura Griestop | Expertin für Kreislaufwirtschaft beim World Wildlife Fund
    "Wenn wir [Mikroplastik] erst rausholen, wenn es schon im Meer ist, dann ist es eigentlich schon zu spät", erklärt Laura Griestop, Expertin für Kreislaufwirtschaft beim World Wildlife Fund. 04.04.2024 | 5:18 min

    Rette die Welt

    Dagegen was tun - das wollte Adidas. Und kooperiert seit 2014 mit der Umwelt-NGO Parley for the Oceans. Meeresplastik sammeln, recyceln und dann Sportartikel draus machen, vor allem Schuhe. Und hier kommen die Malediven wieder ins Spiel. Denn Shaahina Ali ist für Parley verantwortlich, dass Plastikflaschen auf den Malediven gesammelt, verschifft und als recycelte Faser wieder nutzbar werden. Stolz ist die Umweltaktivistin auf 160 Tonnen, die so in wenigen Jahren wiederverwertet werden konnten.
    Ich muss fast weinen, weil sie so strahlt, während ein paar Arbeiter mit der Hand sortieren. Was für ein Tropfen auf den heißen Stein sei das, merke ich an. Shaahinas Antwort. "Ich will, dass noch mehr unser Plastik abnehmen. Das Leute wie Elon Musk auf Ideen kommen, andere Firmen. Ich habe eine 19-jährigen Sohn, für den kämpfe ich." Aufgeben, nein danke.

    Die Welt ist grau

    Es ist der richtige Weg, immerhin, es bewegt sich was. Adidas finanziert das Projekt, nimmt dafür Geld in die Hand. Jede Revolution beginnt klein, denke ich.
    Eine Hoffnung, die auch den Hamburger Investigativ-Journalisten Christian Salewski antreibt. Aber der Schuh aus Meeresplastik sei wie so oft ein Leuchtturmprojekt, das dann mit bombastischem Marketing belegt werde. "Und dahinter wird halt Fast Fashion rausgedroschen im ganz normalen Stil. Dafür ist das Wort erfunden worden: Greenwashing. Wenn man sagt: Hier, schau mal, hier im Schaufenster, achtet bitte darauf. Und da hinten läuft ja die ganze Maschine weiter mit dem Müll." Aber auch Christian stimmt mir zu - der Fall Adidas hat Positives, sei Beleg für ein langsames Umdenken.
    Bayern, Herzogenaurach: Die offiziellen Trikots der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die kommende Fußball-Europameisterschaft 2024 (UEFA EURO 2024) sind am Sitz des Sportartikelherstellers adidas AG zu sehen.
    Die Ausrüstung der Deutschen Nationalmannschaften kommt in Zukunft von Nike. Der DFB hat sich von Adidas getrennt, auch aus finanziellen Gründen. Das führte zu Kritik.22.03.2024 | 1:27 min

    Nachwehen

    Hin und her gerissen wird es Zeit für mein Schlussfazit für die Kamera, nochmal konzentrieren kurz vor Drehschluss. "Ist das Greenwashing? Wenn eine Firma Millionen Schuhe nach dem alten Prinzip produziert und die ins Schaufenster stellt, als gute Tat? Kann man denken. Ist es viel zu wenig angesichts des riesigen Problems? Vielleicht auch. Aber jede große Revolution fängt klein und ich sage: Es ist eine Lösung, wenn auch nur ein ganz kleiner Teil." Besser konnte ich es nicht sagen, die Welt ist eben immer grau, nie schwarz oder weiß.

    Ende gut?

    Und dann schlägt die Bombe ein - Film fertig, und Adidas erklärt, dass die Kooperation mit Parley Ende des Jahres ausläuft. Kein Meeresplastik mehr benutzt werde. Jetzt könnte ich wieder heulen, diesmal sinnbildlich.
    Adidas nutze laut Angaben mittlerweile 99 Prozent recyceltes Plastik, das Meeresplastik-Programm habe sich überlebt. Ohne das Meeresplastikprogramm wäre das nicht so schnell passiert, denken viele, mit denen ich hektisch telefoniere. Die Welt ist eben verdammt grau, und von Shaahina habe ich es ja gelernt: Aufgeben gilt nicht.

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