Bilanz der Vierschanzentournee: Deutsche wieder Vize-Flieger

    Bilanz der Vierschanzentournee:Die Vize-Flieger - Gründe für Tournee-Fluch

    von Lars Becker
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    Andreas Wellinger wieder „nur“ Zweiter: Die deutschen Skispringer müssen weiter auf den ersten deutschen Gesamtsieg seit 22 Jahren warten. Das sind die Gründe.

    Andreas Wellinger und Karl Geiger umarmen sich nach dem zweiten Sprung der vierten Etappe der Vierschanzentournee.
    Andreas Wellinger (l.) und Karl Geiger umarmen sich.
    Quelle: AFP

    Sven Hannawald stand mit seinem Handy im Flockenwirbel von Bischofshofen und knipste ein Selfie mit der Siegerehrung im Hintergrund. Ganz oben auf dem Podest: der Japaner Ryoyu Kobayashi. Links neben ihm Andreas Wellinger mit einem gequälten Lächeln.

    Wellinger verliert die Lockerheit

    Zum fünften Mal seit 2016 beendete ein deutscher Skispringer die Vierschanzentournee als Gesamt-Zweiter. Damit konnten die "Vize-Flieger" auch 22 Jahre nach dem letzten deutschen Gesamtsieg von Hannawald den Tournee-Fluch nicht brechen.

    Olympia-Gold, WM-Titel: Wir haben in den letzten zehn Jahren alles gewonnen, was man gewinnen kann. Natürlich haben wir davon geträumt, endlich mal wieder bei der Tournee ganz oben zu stehen. Jetzt müssen wir nochmal ein Jahr kämpfen, weil wieder jemand um die Ecke kam, der besser war. Das ist mühsam.

    Horst Hüttel, DSV-Sportdirektor

    Nach seinem phänomenalen Auftakt-Sieg in Oberstdorf und Platz drei beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen habe Halbzeit-Spitzenreiter Wellinger etwas die "Lockerheit und den Fluss" verloren. Zwei fünfte Plätze in Innsbruck und beim Finale in Bischofshofen reichten nicht aus, um den bei der Tournee mit vier zweiten Plätzen ungemein stabilen Kobayashi zu stoppen.
    Ryoyu Kobayashi triumphiert mit dem Pokal in der Hand am 06.01.24.
    Ryoyu Kobayashi ist der neue Tourneesieger. Der Japaner wurde im letzten Springen Zweiter und verteidigte damit seinen Spitzenplatz. Andreas Wellinger behauptete Rang zwei.06.01.2024 | 0:55 min
    Der Japaner gewann den Skisprung-Grand-Slam als erster Flieger seit 25 Jahren ohne einen einzigen Tagessieg. Wellinger bot laut Bundestrainer Stefan Horngacher zwar eine "Wahnsinns-Show, auf die er verdammt stolz sein kann". Doch beim Griff nach dem Goldenen Adler ging schon beim Tournee-Auftakt einiges schief.

    2023/2024: Ryoyu Kobayashi (Japan), 2. Andreas Wellinger
    2022/2023: Halvor Egner Granerud (Norwegen) … 11. Andreas Wellinger
    2021/2022: Ryoyu Kobayashi (Japan) … 4. Karl Geiger
    2020/2021: Kamil Stoch (Polen), 2. Karl Geiger
    2019/2020: Dawid Kubacki (Polen) … 3. Karl Geiger
    2018/2019: Ryoyu Kobayashi (Japan), 2. Markus Eisenbichler
    2017/2018: Kamil Stoch (Polen), 2. Andreas Wellinger
    2016/2017: Kamil Stoch (Polen) … 7. Markus Eisenbichler
    2015/2016: Peter Prevc (Slowenien), 2. Severin Freund
    2014/2015 Stefan Kraft (Österreich) … 6. Richard Freitag
    2013/2014 Thomas Diethart (Österreich) … 10. Andreas Wellinger

    Geiger und Paschke Druck nicht gewachsen

    Die Mitfavoriten Karl Geiger und Pius Paschke - beide hatten unmittelbar vor der Tournee Weltcups gewonnen - waren dem Druck nicht gewachsen und fielen bereits in Oberstdorf aussichtlos in der Tournee-Wertung zurück. "Andi war halt sehr früh schon allein da vorn aus unserem Team. Und ich weiß aus den letzten Jahren, wie groß dieser Rucksack ist", analysierte Karl Geiger, am Ende enttäuschender 14. bei der Tournee.
    Paschke wurde gar nur 20. Wellinger kam als Einziger aus dem eigentlich stärksten deutschen Team seit Hannawalds Triumph 2002 durch - doch auch bei ihm zeigte die Formkurve leicht nach unten. Den öffentlichen Druck wollte er dafür nicht als Ausrede gelten lassen:

    Den meisten Druck mache ich mir ohnehin selbst - und das Interesse der Öffentlichkeit ist auch ein Privileg. Mir ist die Balance zwischen Anspannung und Entspannung in den letzten zehn Tournee-Tagen eigentlich gut gelungen - bei den beiden Springen in Österreich hat mir vielleicht ein wenig Leichtigkeit und Glück gefehlt. Ich habe nicht viel Fehler gemacht, aber es waren halt ein paar zu viel.

    Pius Paschke

    Hannawald hofft auf Nachfolger

    Man müsse anerkennen, dass Kobayashi einfach ein klein wenig besser gewesen sei. Der japanische Überflieger kassierte neben der Siegprämie von 100.000 Schweizer nach 2019 und 2022 seinen dritten Goldenen Adler ein - nach Markus Eisenbichler und Karl Geiger war diesmal Wellinger sein "deutsches Opfer". Und das Flug-Ausnahmetalent aus Fernost will weitersiegen - schließlich fehlen ihm nur noch zwei Tournee-Gesamtsiege zum ewigen Rekordhalter Janne Ahonen (Finnland): "Ich bin bereit, es zu versuchen."
    Skispringer Andreas Wellinger ist zugeschaltet.
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    Andreas Wellinger ist jedoch nach seinem süßsauren zweiten Platz motivierter denn je, den deutschen Tournee-Fluch zu brechen: "Irgendwann kann man uns nicht mehr aufhalten. Wir müssen hoffentlich nur noch ein Jahr warten." Sven Hannawald wäre es recht und er glaubt daran, dass ähnlich wie Tabellenführer Bayer in der Fußball-Bundesliga auch die deutschen Vize-Flieger den Ruf als "ewige" Tournee-Zweite ablegen werden.

    Ich will meinen Rucksack endlich abgeben und einen Nachfolger bekommen. Die Hoffnung ist nach dieser Tournee größer denn je.

    Sven Hannawald

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