Missbrauchsvorwürfe im Turnen: Berger fordert Konsequenzen
Aufarbeitung im Turnskandal:Turnerin fordert Rücktritt der DTB-Spitze
von Luisa Houben
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Wie kann eine Aufarbeitung gelingen? Nach Missbrauchsvorwürfen im Leistungsturnen sucht die Politik Antworten. Der Schwäbische Turner Bund schlägt derweil ein neues Kapitel auf.
Janine Berger, ehemalige Leistungsturnerin, im baden-württembergischen Landtag.
Quelle: ZDF/Luisa Houben
Es geht um nicht weniger als die Unversehrtheit junger Athletinnen. "Es kostet viel Mut und Kraft einen Teil der verletzten Seele der Öffentlichkeit zu zeigen," sagt Janine Berger.
Anhörung im Landtag von Baden-Württemberg
Sie ist eine von zahlreichen ehemaligen und aktiven Turnerinnen, die sich in den vergangenen Monaten zu Missbrauchsvorwürfen am Bundesstützpunkt Stuttgart geäußert hatten. Öffentlich berichteten sie von Erfahrungen von körperlichen und mentalem Missbrauch. Dafür machen sie den Schwäbischen Turnerbund (STB) und den Deutschen Turnerbund (DTB) verantwortlich.
Mit einer Anhörung im Sportausschuss des Landtags von Baden-Württemberg will die Politik ihren Beitrag zur Aufklärung leisten. Man hat Wissenschaftlerinnen, Verbands-Funktionäre und mit Janine Berger auch eine Betroffene geladen.
Körperlicher und mentaler Missbrauch, das soll den Alltag der Leistungsturnerinnen im Kunst-Turn-Forum Stuttgart geprägt haben. Für die Betroffenen ist es ein systemisches Problem.08.01.2025 | 2:33 min
Turnerin Berger fordert personelle Konsequenzen
Bergers Kritik ist unmissverständlich: Dass der DTB selbst eine Kanzlei mit der Aufarbeitung beauftragt habe, sei inakzeptabel. Außerdem fordert sie DTB-Präsident Alfons Hölzl, sowie die DTB-Vorstände Thomas Gutekunst und Kalle Zinnkann auf, ihre Posten zu räumen, "um einen echten Neuanfang zu ermöglichen."
Die schweren Vorwürfe gegen den Deutschen Turner Bund häufen sich. Immer mehr Turnerinnen und Turner berichten von Machtmissbrauch, Essstörungen und psychischem Druck.04.02.2025 | 1:42 min
DTB-Präsident Hölzl schweigt dazu. Er betont: Die Kanzlei sei beauftragt, einen Bericht zu erstellen dazu, was passiert sei. Was daraus folge solle im Anschluss eine Expertenkommission ermitteln. Wie diese besetzt werde, wolle man nicht selbst aussuchen. Kritik, die vom DTB ausgesuchte Kanzlei sei ungeeignet, weist er zurück. Sie habe in der Vergangenheit Fachexpertise und Verschwiegenheit bewiesen.
Offen hingegen zeigt sich Hölzl dafür, dass die Aufarbeitung extern und nicht vom DTB selbst beauftragt werde: "Wenn die öffentliche Hand dazu bereit ist, jederzeit gerne."
19 Meldungen zum Stützpunkt Stuttgart
Laut STB-Präsident Markus Frank gingen bislang 19 Meldungen den Stützpunkt Stuttgart betreffend ein. Drei davon bezögen sich auf die Zeit nach April 2021. Seitdem habe es bereits Veränderungen in der Struktur des Verbandes gegeben.
"Aktuell geht es um verbale Gewalt", so Frank. Derartige Entgleisungen dürften in der Halle keinen Platz haben. Die Wirksamkeit und den Erfolg der bereits ergriffenen Maßnahmen prüfe der STB "sehr kritisch".
Mir tut es einfach nur leid, was da passiert ist.
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Markus Frank, STB-Präsident
Der STB werde den Betroffenen persönlich Entschuldigungen anbieten. Es ist das erste Mal, dass sich Frank öffentlich zu den Vorwürfen äußert.
Zahlreiche Leistungsturnerinnen werfen dem Deutschen Turnerbund seelischen und körperlichen Missbrauch vor. DTB-Vorsitzender Zinnkann kündigt nun eine Untersuchungskommission an.
Interview
Expertin: Kritik an Förderung von Spitzensport
"Strukturen müssen im Kern verändert werden", erklärt Prof. Dr. Carmen Borggrefe. Sie ist Abteilungsleiterin für Sport- und Bewegungswissenschaft am Institut für Sport der Universität Stuttgart. Personelle Veränderungen reichten nicht aus. Es brauche einen Kulturwandel.
Und es müsse im Spitzensport ein Fördersystem etabliert werden, dass Trainerinnen und Trainern, Sportlerinnen und Sportler erlaube, ohne zeitlichen und finanziellen Druck miteinander zu arbeiten.
Aktuell entschieden Medaillen und Medaillenpotenzial über finanzielle Mittel, Vertragslaufzeiten und Stückpunkt-Status.
Da muss auch Politik ihre Rolle reflektieren.
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Prof. Dr. Carmen Borggrefe, Universität Stuttgart
Auch der Turnsport in Baden-Württemberg wird mit Landesmitteln gefördert. Diese werden über den Landessportverband an die einzelnen Sportorganisationen ausgezahlt. Allein der STB soll in diesem Jahr eine Gesamtförderung von 1,6 Millionen Euro erhalten. Die sind laut Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) eingefroren worden.
Nur mit Härte zum Erfolg? Im aktuellen sportstudio sprechen Ex-Turnerin Kim Bui und Sportpsychologin Jeannine Ohlert über Missstände im Turnen. Und wie es besser gehen kann.09.03.2025 | 23:03 min
Neue Trainerin in Stuttgart gestartet
Während im Stuttgarter Landtag die Vergangenheit aufgearbeitet wird, schaut im Stuttgarter Kunst-Turn-Forum Aimee Boorman nur nach vorne: "Ich weiß nicht, was hier passiert ist", sagt die Amerikanerin. Sie ist die neue Trainerin. Der STB hat sie angeheuert. Eine Maßnahme, um Vertrauen zurück zu gewinnen. Eine mit Strahlkraft.
Aimee Boorman: Neue Trainerin im Kunst-Turn-Foum Stuttgart
Quelle: ZDF
Aimee Boorman ist ein Star der Turnszene. Zwölf Jahre lang trainierte sie Außnahme-Athletin Simone Biles. Jetzt ist sie für vier deutsche Athletinnen zuständig, darunter Toptalent Helen Kevric. Die bereitet sie auf die Heim-EM Ende Mai in Leipzig vor. Ihr Ziel: Das Beste aus ihnen rausholen, ihr Selbstvertrauen stärken und dabei Spaß haben.
Sie sollen sich gut fühlen, egal, wer ihre Trainer sind.
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Aimee Boormann, Trainerin
Für vorest fünf Monate ist Boorman engagiert. Das sei genug Zeit um einen Unterschied zu machen, sagt sie. Schon nach zwei Wochen stelle sie fest, dass die Stimmung besser geworden sei.
Nachdem die Missbrauchsvorwürfe öffentlich geworden waren, waren zwei Trainer suspendiert worden. Das Landeskriminalamt ermittelt mittlerweile wegen Nötigung in mehreren Fällen.
Im Landtag betont STB-Präsident Frank: "Wir schlagen ein neues Kapitel auf." Das Engagement von Boorman setze den neuen Standard.
Luisa Houben ist Reporterin im ZDF-Studio Stuttgart.