DTB zu Missbrauchsvorwurf: Nichts, was wir haben möchten

    Interview

    DTB zu Missbrauchsvorwürfen:"Nichts, was wir in der Halle haben möchten"

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    Zahlreiche Leistungsturnerinnen werfen dem Deutschen Turnerbund seelischen und körperlichen Missbrauch vor. DTB-Vorsitzender Zinnkann kündigt nun eine Untersuchungskommission an.

    DTB-Vorstandsvorsitzender Kalle Zinnkann
    DTB-Vorstandsvorsitzender Kalle Zinnkann im ZDFheute-Interview.
    Quelle: ZDF

    Es ist mehr als zwei Wochen her, dass Leistungsturnerinnen öffentlich schwere Vorwürfe gegen den Deutschen Turnerbund und den Schwäbischen Turnerbund erhoben haben. Sie berichten von Demütigungen im Training, Einheiten mit Knochenfrakturen und Essstörungen.
    Darauf reagierten die Verbände zuerst nur mit einem gemeinsamen Statement. Zwei Übungsleiter wurden vorerst freigestellt. Jetzt äußert sich DTB-Vorstandsvorsitzender Kalle Zinnkann, distanziert sich von Demütigungen im Training und kündigt Aufarbeitung an.
    ZDFheute: Waren Sie von den Schilderungen der Turnerinnen überrascht?
    Kalle Zinnkann: Wir müssen erst mal sagen, dass uns diese Schilderungen sehr betroffen machen. Aber es ist richtig und wichtig, dass sie sich äußern. Wir haben als DTB 2021 einen Kultur- und Strukturprozess angestoßen, weil damalige Meldungen Missstände im Turnen-Leistungssportsystem aufgezeigt haben. Und jetzt sehen wir leider: Wir sind noch nicht am Ende mit unseren Bemühungen, diese aufzuarbeiten.
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    ZDFheute: Die Schilderungen der Turnerinnen klingen, als stünde der Erfolg höher als ihre Gesundheit. Wie erklären Sie sich das?
    Zinnkann: Für uns als DTB steht erst mal außer Frage, dass das gesundheitliche Wohl der Athletinnen und Athleten über dem Erfolg steht. Das war auch die Maxime, an der wir unseren Prozess 2021 ausgerichtet haben. Was jetzt in Stuttgart aufgezeigt wird, entspricht dem nicht.

    Jetzt muss ein Aufarbeitungsprozess zeigen: Sind wir auf dem richtigen Weg oder wurden dort vielleicht Vorgaben missachtet?

    Kalle Zinnkann, DTB-Vorstandsvorsitzender

    ZDFheute: Wie kann es sein, dass Kinder beim Turnen mutmaßlich gedemütigt werden oder mit Knochenbrüchen trainieren?
    Zinnkann: Für uns kann das gar nicht sein. Das muss jetzt aber die Aufarbeitung zeigen, was genau davor gefallen ist.
    ZDFheute: Ein Erklärungsansatz ist, dass eine gewaltvolle Form der Motivation, die in den 1970ern im Turnen Medaillen und Preise bescherte, immer noch Praxis sind. Was sagen Sie dazu?
    Zinnkann: Dass das definitiv nichts ist, was wir in der Halle haben möchten.

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    ZDFheute: Wann hat der DTB von den Vorwürfen den Standort Stuttgart betreffend das erste Mal erfahren?
    Zinnkann: Den Brief von Tabea Alt haben wir im April 2021 erhalten. Damals hat der DTB sofort reagiert, ist mit ihr in den Austausch gegangen und hat ihre Anschuldigungen beziehungsweise das Aufzeigen von Missständen in den Prozess mit eingebunden.
    Im Juli 2024 hat uns eine Meldung über "Anlauf gegen Gewalt" erreicht. Das war eine komplett anonyme Meldung. Im Oktober 2024 gab es eine erste Meldung, die wir auch verarbeiten konnten und bei uns einen Interventionsprozess ausgelöst hat.
    ZDFheute: Wie läuft so ein Interventionsprozess ab?
    Zinnkann: Ein Interventionsprozess ist der Prozess, der bei uns losgeht, wenn Anschuldigungen gegen einen Trainer oder gegen auch andere Personen im Verband aufkommen. Das heißt, es werden Gespräche geführt, erstmal natürlich mit der Person, die beschuldigt ist, aber auch mit anderen Personen, die in diesem Prozess vielleicht das mitbekommen haben, was vorgefallen sein könnte, um dann eine Entscheidung zu fällen.
    ZDFheute: Können Sie verstehen, dass den Betroffenen die bisher getroffenen Maßnahmen nicht ausreichen?
    Zinnkann: Wir haben Verständnis dafür, wenn die Athletinnen das sagen, weil augenscheinlich hat es nicht ausgereicht. Und das ist das, was wir jetzt überprüfen müssen.
    Wir haben aber auch gegenteilig schon viele Aussagen bekommen, dass das, was der DTB nach 2021 durch "Leistung mit Respekt" umgesetzt hat, zu sehr positiven Veränderungen geführt hat.
    ZDFheute: Welche Maßnahmen sind denn jetzt geplant oder vielleicht auch schon im Gange, die diese Vorwürfe aufklären sollen?
    Zinnkann:

    Ab nächster Woche wird es voraussichtlich einen extern begleiteten Aufarbeitungsprozess geben.

    Kalle Zinnkann, DTB-Vorstandsvorsitzender

    Wir sind gerade noch dabei, den Arbeitsauftrag und die Kommission zusammenzustellen. Der Prozess soll glaubwürdig sein und von allen akzeptiert werden.
    In der Vergangenheit gab es einige Aufarbeitungen im Sport, die alle mit rechtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Und das wollen wir einfach vermeiden.
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    ZDFheute: Die Sportlerinnen fordern nicht nur Aufarbeitung, sondern auch einen Kulturwandel. Wird es diesen geben?
    Zinnkann: Diesen Kulturwandel haben wir 2021 bereits mit "Leistung mit Respekt" angestoßen. Aber natürlich müssen wir jetzt aufgrund dieser Äußerungen auch schauen: Sind wir damals weit genug gegangen? Wo müssen wir weitere Konsequenzen ziehen? Und was hat vielleicht noch nicht ausgereicht? Da werden wir auch die Athletinnen und Athleten mit einbinden.
    ZDFheute: Was steht für den DTB auf dem Spiel?
    Zinnkann: Natürlich geht es hier auch um den Ruf des DTB. Das ist uns ziemlich bewusst. Und für uns steht jetzt an erster Stelle, dass wir aufarbeiten wollen, was ist genau passiert?

    Daran werden wir uns messen lassen, dass das unabhängig und mit den notwendigen Konsequenzen erfolgt.

    Kalle Zinnkann, Deutscher Turnerbund

    Das Interview führte Luisa Houben, ZDF-Reporterin im Landesstudio Baden-Württemberg.

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    Quelle: Reuters

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