Druck im Profi-Fußball:Wenn die Psyche nicht mitspielt
von Ralf Lorenzen
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Tore, Jubel, das Bad in der Menge – wenn es gut läuft, sind Fußballprofis die Größten. Innen sieht es oft anders aus, wie die sportstudio-Doku "Erfolgsdruck im Fußball" zeigt.
Ängste im Profi-Fußball. Zu hoher Erfolgs- und Leistungsdruck. Die Konsequenz: Viele Spieler sind mental am Boden. Das stille Leiden in den Kabinen - im Fußball weiterhin ein Tabu.23.06.2024 | 43:41 min
Gerade feiert der Fußball eines seiner größten Feste, die Europameisterschaft in Deutschland. Die Spieler kämpfen um den Titel und um Anerkennung, schlimmstenfalls müssen sie nach der Vorrunde abreisen. Wirklich?
Laut einer Studie leiden ein Drittel aller Profifußballer unter psychischen Belastungen. Extremen Leistungsdruck gibt es auch in anderen Berufen, aber niemand übt diesen so unter den Augen der Öffentlichkeit aus wie Profifußballer. Niemand wird permanent so bewertet. Von Fans, Medien, Trainern, Managern und Sponsoren
Die Übelkeit vor dem Spiel
"Ich würde meinen Job niemals tauschen wollen", sagt Nationalspielerin Carolin Simon in der sportstudio-Doku "Erfolgsdruck im Fußball - wenn die Psyche nicht mitspielt". "Aber viele verstehen nicht, was das für eine Art von Job ist. Du hast jeden Tag, jede Minute Competition, jeden Tag wirst du verglichen mit anderen. Jeden Tag musst du dich beweisen. Du hast wenig Zeitpunkte, wo du dich einfach mal rausnehmen kannst."
Nationalspielerin Carolin Simon
Quelle: imago
Die Schilderungen von Ex-Nationalspieler Per Mertesacker, der schon vor einiger Zeit von seinen Übelkeitsattacken vor Spielen berichtet hatte, sind beileibe kein Einzelfall. "Ich habe viele Spieler erlebt, die Durchfall vorm Spiel haben, die wirklich spucken mussten, die sich den Finger in Hals gesteckt haben, weil sie es nicht anders ausgehalten haben", sagt Schalke 04-Profi Timo Baumgartl. "Bei mir war es nicht so extrem, aber ich hatte auch Schlafstörungen und Ängste zu versagen."
Entlastung durch Kreuzbandriss
Die meisten Spieler und Spielerinnen fressen dieses Unwohlsein lange in sich hinein - bis es irgendwann nicht mehr geht. "Ich bin hingegangen zum DFB und habe gesagt: Ich kann das, ich mache weiter", sagt Ex-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, die nach dem überraschenden Vorrundenaus bei der WM 2023 stark in die Kritik geraten war.
"Und ich bin nach Hause gefahren und bin am nächsten Tag zusammengebrochen. Ich war leer, ich war kaputt. Ich war müde. Wenn mich jemand gefragt hat: Wie geht es dir, habe ich angefangen zu weinen. Ich hatte keine Kraft mehr, ich hatte keine Energie mehr."
Historisches WM-Aus, Krankheit, Fehler - die ehemalige Frauen-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat eine harte Zeit hinter sich. Darüber spricht sie im ZDF-Interview.20.11.2023 | 24:48 min
Mitunter sorgt der Körper auf verschlungen Pfaden für die Entlastung, die der Geist sich nicht zugesteht. "Die Psyche hat auch Möglichkeit, auf den Körper zuzugreifen, hinzugehen und zu sagen: Ich mache dir jetzt zum Beispiel eine Oberschenkelzerrung", sagt der Psychologe Andreas Marlovits. Er habe es am Krankenbett von Fußballprofis mit Kreuzbandriss erlebt, dass diese froh über die Zwangspause waren, die ihnen "mit hocherhobenem Haupt acht Monate Ruhe vergönnt".
Angst vor negativen Konsequenzen
Simon, Voss-Tecklenburg und Baumgartl haben sich psychologische Unterstützung geholt. Auch Union Berlin-Profi Robin Gosens haben die Gespräche mit einem Psychologen geholfen, die Nicht-Nominierung für die Europameisterschaft zu verarbeiten.
"Ich glaube, viele Spieler sind immer noch der Überzeugung, dass es negative Konsequenzen für ihr Karriere hat, wenn sie Schwäche und mentale Probleme äußern", sagt Gosens, der einen Bachelor-Abschluss in Psychologie hat.
Dabei ist psychologische Unterstützung durchaus gewollt. "Die Spieler sagen einheitlich über die Jahre, dass es sehr wichtig ist, ein professionelles sportpsychologisches Angebot im Club und auch eine gute Verzahnung zu einer anonymen Anlaufstelle zu haben", sagt Ulf Baranowsky von der Spielergewerkschaft vdv.
Zu wenig psychologische Unterstützung
Allerdings bieten nur drei Erstliga- und zwei Zweitligaklubs dauerhaft eine therapeutische Hilfe für ihre Spieler an, eine teilweise Unterstützung gibt nur in einem Drittel der Klubs.
"Dass die Psychologie noch so einen geringen Stellenwert im Fußball, aber auch gesamtgesellschaftlich hat, das regt mich so auf und das macht mich so traurig", sagt Robin Gosens.
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