Para-Schwimmerin Semechin: Krebs besiegt - Titel gewonnen
Interview
Para-Schwimmerin feiert Comeback:Semechin: Krebs besiegt - Titel gewonnen
von Susanne Rohlfing
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Para-Schwimmerin Elena Semechin hat gerade eine langwierige Chemotherapie wegen eines Gehirntumors hinter sich. National mischt sie in ihrem Sport aber schon wieder ganz oben mit.
Para-Schwimmerin Elena Semechin
Quelle: IMAGO (Archivbild)
ZDFheute: Frau Semechin, seit Februar haben Sie den Krebs besiegt, heißt es, und am Donnerstag sind Sie schon wieder Deutsche Meisterin über 100 Meter Brust geworden. Wahnsinn!
Elena Semechin: Ich freue mich sehr über dieses Ergebnis, das war völlig unerwartet. Ich bin immer gut für Überraschungen, und das hat sich mal wieder gezeigt bei der Deutschen Meisterschaft. Leider hatte ich schon am Donnerstag leichte Erkältungssymptome, deshalb habe ich meine Rennen für Samstag und Sonntag abgesagt, ich wollte kein Risiko eingehen. Dass ich den Krebs besiegt habe, würde ich aber so nicht sagen.
ZDFheute: Sondern?
Semechin: Im Februar habe ich nach 13 Zyklen die Chemotherapie beendet, das hat etwas mehr als ein Jahr gedauert. Ich habe den Krebs eingedämmt. Er wird zurückkommen, das ist Fakt. Ich möchte mich in dieser Hinsicht nicht selbst anlügen. Ich weiß, dass man diese Zellart nicht ganz vernichten kann. Aber ich hoffe, dass ich die nächsten Jahre erstmal Ruhe habe.
ZDFheute: Wie gehen Sie mit dem Wissen um, dass dieser lebensbedrohliche Tumor in ihrem Kopf jederzeit wieder wachsen kann?
Semechin: Direkt nach der Chemo hatte ich das Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben. Ich dachte, jetzt hemmt nichts mehr den Krebs, jetzt kann er morgen wiederkommen. Dadurch, dass ich früh an die Öffentlichkeit gegangen bin mit der Diagnose, habe ich eine große Community. Da schreiben mir auch schon mal Menschen mit derselben Diagnose, dass es bei ihnen keine zwei Jahre gedauert hat, bis es wieder los ging. Natürlich mache ich mir da Sorgen. Aber der Sport ist für mich eine krasse Ablenkung.
Und nach der Krebsdiagnose ist mein Leben bunter und intensiver geworden. Vielleicht, weil mir jetzt bewusst geworden ist, dass mein Leben nicht unendlich dauern wird. Wenn ich dann doch irgendwann im Sterbebett liege, früher als gedacht, dann möchte ich sagen können: Ja, ich habe alles erlebt, es ist okay, wenn ich jetzt gehe.
Quelle: ZDF
...Elena Semechin, geborene Krawzow, 29 Jahre alt, Para-Schwimmerin, Paralympicssiegerin 2021 über 100 Meter Brust, Weltmeisterin 2013 und 2019 über diese Distanz, mehrfache Europameisterin.
Semechin kam im Alter von zwölf Jahren mit ihren Eltern aus Kasachstan über Russland nach Deutschland, mit sieben Jahren war bei ihr die Erbkrankheit Morbus Stargardt ausgebrochen, die ihre Sehfähigkeit heute stark beeinträchtigt.
Kurz nach ihrem Paralympicssieg 2021 wurde bei Semechin ein bösartiger Hirntumor diagnostiziert. Zwei Tage vor der Operation heiratete sie noch ihren Trainer Philip Semechin.
Adrenalinschübe halfen Semechin bei Wettkampf
ZDFheute: Sie sagen, der Sport sei Ablenkung für Sie. Sport ist aber auch eine körperliche Belastung. Und das zusätzlich zu den Strapazen einer Chemotherapie. Mittendrin sind sie im vergangenen Jahr WM-Zweite geworden. Wie machen Sie das?
Semechin: Das frage ich mich selber auch. Das mit der WM hatte ich natürlich mit meinem Arzt besprochen, wir haben die Chemozyklen dann so geplant, dass ich zu den Wettkämpfen am erholtesten Punkt war. Es war ein sehr schweres Rennen, zum ersten Mal haben mein Geist und mein Körper gegeneinander gekämpft. Nach der Wende war ich einfach nur fertig, aber mein Geist hat weiter Terror gemacht. Für manche Dinge sind wir nicht gemacht, aber dann bekommen wir so extreme Adrenalinschübe, dass es eben doch geht. Das war bei mir so.
ZDFheute: Sie hatten den Löwen im Nacken im Schwimmbecken.
Semechin: Wahrscheinlich, ja. Ich wollte das Zeichen geben, dass ich noch da bin. Ich wollte nicht, dass man denkt ich sei todkrank und zu nichts fähig. Das wollte ich auf jeden Fall vermeiden.
Quelle: Reuters
Bei den 37. Internationalen Deutschen Meisterschaften (IDM) im Para-Schwimmen haben Gina Böttcher und Josia Topf (Foto) mit ihren Bestmarken für ein gelungenes Ende der Titelkämpfe in Berlin gesorgt. Weltrekorde schwammen Böttcher (SC Potsdam) im Finale über die nicht-paralympischen 200 Meter Lagen (4:04,24 Minuten) und Topf (Schwimmverein Erlangen) über 50 Meter Schmetterling (46,99 Sekunden). Elena Semechin gewann ihren ersten Wettkampf nach überstandener Chemotherapie über 100 Meter Brust. Mit 1:14,02 Minuten lag sie nur knapp über ihrer Weltrekordzeit.
Semechin möchte bei Paralympics in Paris Titel verteidigen
ZDFheute: Über Chemotherapien hört man viel Schlimmes. Hat der Sport Ihnen geholfen, die Behandlung besser auszuhalten als andere?
Semechin: Mir haben Leute geschrieben, sie wüssten nicht, wie ich das mache, sie bekämen höchstens mal einen Spaziergang hin. Einige meinten auch, ich würde die Behandlung ins Lächerliche ziehen. Aber das war nie mein Ziel. Das war ein krasse, sehr, sehr schwere Zeit. Mir ging es auch schlecht. Ich hatte Schmerzen und Übelkeit, all das, was man so hört. Ich habe einfach versucht, mich von diesem Zustand nicht aufhalten zu lassen. Die Belastungen im Training waren oft nicht so hoch, wie ich das vorher gewohnt war. Aber einfach dabei zu sein, hat mir schon geholfen und Kraft gegeben.
ZDFheute: Und jetzt können die Paralympics im nächsten Jahr in Paris kommen.
Semechin: Das ist mein Ziel, ich möchte da unbedingt meinen Titel verteidigen.