Gleichberechtigung bei Olympia:Die Spiele 1924: Der lange Kampf der Frauen
von Erik Eggers
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Bis Paris 1924 waren die Olympischen Spiele weitgehend Männern vorbehalten. Doch nun brach die Front auf, durch eine Frauen-Lobby und spektakuläre Leistungen.
Ein Foto, das Geschichte machte: Aileen Riggin (li.) und Gertrude Ederle posieren für die damalige Zeit höchst freizügig.
Quelle: Imago
Die Fotografie vom 20. Juli 1924 im Stade de Nautique, Ort der olympischen Schwimmwettkämpfe, zeigt zwei US-Girls in knappen Badeanzügen am Beckenrand. Aileen Riggin, Olympiasiegerin von 1920 im Wasserspringen, und Freistil-Weltrekordlerin Gertrude Ederle, beide 18 Jahre jung, schauen selbstbewusst in die Kamera.
Sie denken nicht daran, ihre Körper zu verstecken, wie es die männlich dominierte Gesellschaft damals noch verlangt. Was 100 Jahre später demnächst bei den Olympsichen Spielen in Paris selbstverständlich sein wird, grenzt damals noch an ein Tabu.
Eine olympische Zeitreise von 1924-2024. Die Doku zeigt frühe Stars wie Paavo Nurmi oder Johnny Weissmüller und beleuchtet, wie sich Training und Technik im Sport entwickelt haben.19.07.2024 | 29:14 min
Olympia-Teilnahme von Frauen "falsch"
Der Auftritt der Pionierinnen von damals liefert ein Bild, dass Pierre de Coubertin, dem Schöpfer der modernen Olympischen Spiele und Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), nicht gefallen haben dürfte.
Auch in der Antike sei ihnen die Teilnahme in Olympia schließlich verboten gewesen.
Aber auch der Baron, der 1925 als IOC-Präsident abgelöst wurde, dürfte geahnt haben, dass eine umfassendere Beteiligung von Frauen bei den Spielen - neben Schwimmen waren Frauen nur im Tennis zugelassen - nicht mehr aufzuhalten war. Denn er kannte selbstverständlich die Ansprüche der Frauenbewegung im Sport, die von seiner Landsfrau Alice Millat angeführt wurden.
1921 fanden erste reine Frauenspiele statt
Millat, 1884 in Nantes geboren, war selbst eine erfolgreiche Ruderin und Schwimmerin gewesen, bevor sie 1915 die Leitung des Pariser Frauensportverein (Femina Sport) übernahm. 1919, ein Jahr nach dem Ersten Weltkrieg, hatte sie in einem Brief an das IOC und ihren Präsidenten Coubertin verlangt, die Frauen bei den Spielen mit den Männern gleichzusetzen. Das war eine zeitgemäße Forderung. In Deutschland war just das Frauenwahlrecht eingeführt worden.
1924 hat Paris zuletzt die Olympischen Spiele ausgetragen. Vieles sollte sich danach für immer ändern. Über den Beginn eines weltweiten Großereignisses.
Luis Jachmann, Paris
Das IOC, dessen Kreis bis 1981 (!) nur aus Männern bestehen sollte, indes hatte abgelehnt. Woraufhin Millat im März 1921 mit 300 Teilnehmerinnen die "Ersten Olympischen Frauenspiele" in Monaco durchführte und am 31. Oktober 1921 die "Fédération Sportive Féminine Internationale" (FSFI) gründete, der die Interessen aller Sportlerinnen vertreten sollte.
IAAF ab 1926 bereit für einen Kompromiss
Erster Star der Konkurrenzveranstaltung war die Britin Mary Lines, eine Arbeiterin aus einer Getränkefabrik, die 1922 auch den ersten Weltrekord über 100 Meter (12,8 Sekunden) aufstellte. "Die Frauen-Olympiade war erfolgreich", schreibt der Publizist Martin Krauss in seinem neuen Buch "Dabei sein wäre alles", in dem er vom langen Kampf vieler Athletinnen und Athleten gegen Ausgrenzung berichtet. "Nicht nur stieß sie auf großen Zuspruch bei Besuchern, auch immer mehr Städte bemühten sich darum, die Spiele ausrichten zu dürfen."
So gerieten die Frauenspiele 1926 in Göteborg zu einem Triumph. Daraufhin war der Weltleichtathletikverband IAAF, stärkster olympischer Fachverband, bereit für einen Kompromiss. Der Deal: Wenn die FSFI die Bezeichnung Olympiade nicht mehr verwende und die IAAF-Regeln akzeptiere, werde die IAAF sich für leichtathletische Frauen-Wettkämpfe einsetzen.
Erste Leichtathletinnen in Amsterdam am Start
1928 in Amsterdam starteten tatsächlich erstmals Leichtathletinnen. Wie weit aber die Gleichberechtigung noch entfernt war, bewies der 800-Meter-Lauf, den die Deutsche Lina Ratke gewann. Als nach dem Endlauf einige Leichtathletinnen völlig erschöpft zu Boden sanken, nahm das IOC diese Disziplin, weil es die Bilder als "unweiblich" einstufte, wieder aus dem Programm. Erst 1960 wurden die 800 Meter wieder gelaufen.
Schwamm schneller durch den Ärmelkanal als jeder Mann zuvor: Gertrude Ederle
Quelle: Imago
Tatsächlich dauerte es noch viele Jahrzehnte, bis die olympische Gleichberechtigung der Frau vollendet war. Einen Meilenstein auf dem Weg dahin setzte am 6. August 1926 jene Teenagerin, die 1924 in Paris mit der Kamera gespielt hatte. Bekleidet nur mit einem praktischen Bikini, schwamm Gertrude Ederle an diesem Tag nicht nur als erste Frau durch den Ärmelkanal, sie war dabei auch schneller als jeder Mann zuvor. Ein Schock für die Männerwelt. Und ein Leuchtturm für alle Sportlerinnen.