Absagen für Nations League: Länderspiele - Lust oder Last?

Wenn sich Sandro Wagner auf dem Trainingsplatz am Anstoßkreis postiert und eine Übung erklärt, ist die fast schon idyllische Ruhe in Herzogenaurach für einen kurzen Moment gestört. Die laute Stimme des Co-Trainers der deutschen Nationalmannschaft dröhnt rüber bis zu den Parkplätzen an der Horst-Dassler-Straße.

Vielleicht braucht es ja dringend deutlichere Ansagen als sonst, eingedenk der vielen Neulinge im aktuellen Kader.

Für die Aufgaben in der Nations League gegen Bosnien und Herzegowina in Zenica (Freitag, 20.45 Uhr / RTL) und gegen die Niederlande in München (20.45 Uhr/ live im ZDF) werden zwangsläufig die nächsten Debütanten unter Julian Nagelsmann dazukommen. Der Bundestrainer muss ein neues Team basteln.

Mit Oliver Baumann, Alexander Nübel und Janis Blaswich stehen drei Torhüter ohne jedes Länderspiel im Kader. "Es ist echt verrückt. Gefühlt ist die halbe Mannschaft weg und sind zehn Neue dabei", konstatierte Kapitän Joshua Kimmich mit Erstaunen.

Nach den Absagen von Marc-André ter Stegen (Patellasehnenriss), Niclas Füllkrug (Achillessehnenprobleme), Jamal Musial, Robin Koch (beide Hüftgelenkprobleme), Kai Havertz (Knieprobleme) und David Raum (Sprunggelenksverletzung) ist am Mittwoch Benjamin Henrichs wegen Rückenbeschwerden aus Herzogenaurach abgereist.

Dazu die Rücktritte von Toni Kroos, Ilkay Gündogan, Manuel Neuer und Thomas Müller - plötzlich ist der im Sommer für seine Harmonie gefeierte EM-Kader gesprengt.

Die Abläufe müssen erst neu erarbeitet werden, was eigentlich in der Kürze kaum gelingen kann, wie Kimmich mit durchaus besorgter Miene festhielt: "Es ist echt schwierig, das aufzufangen, weil wir uns den Kern nicht über Jahre, sondern in den letzten Monaten erarbeitet haben."

Der Kapitän glaubt aber, dass niemand eine Verletzung vorschiebt: "In der Vergangenheit war es schon so, dass der eine oder andere die Länderspielpause als Pause genutzt hat. Ich hoffe, dass wir viele Spieler haben, die das nicht tun."

Der ehrgeizige Vielspieler findet eine Englische Woche generell prickelnder als eine Trainingswoche - weiß aber auch, dass er nicht für jeden Kollegen spricht. Kimmich: "Man darf die Nationalmannschaft nicht als Auszeit sehen, als Erholung. Wir wollen die Nations League sehr ernst nehmen."

Und am besten als Gruppenerster oder -zweiter das Viertelfinale im März 2025 erreichen, zumal diese acht Teams bei der Auslosung der WM-Qualifikationsgruppen dann auch gesetzt sind. Daher kann sich die DFB-Auswahl einen Schlendrian eigentlich nicht mehr leisten.

Früher kam die Absagenflut regelmäßig, wenn die ungeliebten Freundschaftsspiele insbesondere im Herbst oder Frühjahr anstanden. Bastian Schweinsteiger, Torsten Frings oder Michael Ballack erzählten nach der Karriere offen davon, dass man dann durchaus mal geschont habe.

Grotesk war es einmal bei einem Freundschaftsspiel in Rumänien noch unter Rudi Völler, dem heutigen Sportdirektor. Vor jenem 28. April 2004 meldeten sich aus dem ohnehin ausgedünnten Aufgebot Michael Ballack und Frank Baumann nach dem Abschlusstraining ab, am Spieltag wollten dann auch Jens Nowotny und Jens Lehmann nicht mehr.

Das Ende vom Lied: eine krachende 1:5-Niederlage in Bukarest. Das Wehklagen der deutschen Funktionäre war groß.

Es dauerte nicht lange, dann strich der Weltverband FIFA die April-Abstellungsperiode - der Zeitraum, in dem die Vereine Spieler abstellen müssen - ganz aus dem Terminkalender, weil es in dieser Phase immer wieder Absagen von Nationalspielern gab. Für die hatten die Aufgaben in den Vereinen mit der Champions League absolute Priorität.