Woran die Spitzensport-Förderung krankt

    Ein System auf dem Prüfstand:Woran die Spitzensport-Förderung krankt

    von Susanne Rohlfing
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    Die Olympischen Spiele in Paris waren ein fröhliches, friedliches und begeisterndes Fest. Sie haben aber auch die Probleme im deutschen Sport ins Scheinwerferlicht gerückt.

    Olympische Sommerspiele Paris 2024, Hockey-Finale Deutschland - Niederlande am 8. August: Bundeskanzler Olaf Scholz neben DOSB-Chef Thomas Weikert auf der Tribüne
    Olympiagast Bundeskanzler Olaf Scholz - hier neben DOSB-Chef Thomas Weikert (rechts) - musste sich in Paris Kritik von den Kanuten anhören.
    Quelle: Imago / Nordphoto

    Was bleibt an Erkenntnissen für den deutschen Sport nach den Sommerspielen in Paris? Diese wurden von deutschen Sportlern, Trainern und Funktionären auch als Bühne genutzt, um deutliche Kritik am hiesigen System zu äußern. Wo hakt es im System und was könnte helfen? Ein Überblick.

    Die Athletenförderung

    Die Rennkanuten wollten ihre Medaillen in Paris nicht mit Bundeskanzler Olaf Scholz feiern, sondern forderten mehr Aufmerksamkeit das ganze Jahr über und eine bessere Förderung. Die ist in Deutschland ein Flickenteppich.
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    Gut versorgt ist als Spitzensportler, wer sich beruflich an die Bundeswehr oder die Polizei bindet und dort in eine Sportfördergruppe eintritt. Für alle anderen Athleten gibt es keine einheitliche finanzielle Förderung.
    Wer es in den Olympiakader schafft (Platz eins bis acht bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen), bekommt von der Deutschen Sporthilfe (aus der privaten Wirtschaft und mit einem Zuschuss aus Bundesmitteln finanziert) 800 Euro monatlich plus je nach sportlicher Perspektive und Ausbildungssituation variierende Zulagen. Für viele reicht das Geld nicht oder gerade nur so, um davon zu leben.
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    Große Städte wie Düsseldorf, Hamburg oder Berlin schütten für ihre Athletinnen und Athleten eine Extra-Förderung aus. Einige Vereine bezahlen ihre Spitzenkräfte. Und einige Athleten haben private Sponsoren.
    Insgesamt ist die Förderung unübersichtlich und oft nicht ausreichend. Maximilian Klein vom Verein Athleten Deutschland betont daher:

    Spitzensport ist kein alimentiertes Hobby, sondern ein Berufsfeld mit enormen Risiken, Kosten und Entbehrungen.

    Maximilian Klein, Athleten Deutschland

    Die Trainer

    Den Coaches geht es oft ähnlich wie ihren Athletinnen und Athleten - sie können nur so gerade von ihrem Einkommen leben. Es gibt für sie kein Tarifsystem und kaum Aufstiegschancen. Der Kölner Box-Trainer Lukas Wilaschek, der Nelvie Tiafack zur Bronzemedaille im Superschwergewicht geführt hatte, verkündete in Paris, dass er künftig als Lehrer arbeiten werde.
    Der deutsche Boxer Nelvie Tiafack während dem Halfinale gegen Uzbekistan.
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    Mangelnde Anerkennung für seinen Beruf und ein System, in dem er keine Veränderungsbereitschaft wahrnimmt, haben ihn offenbar zermürbt. "Ich weiß, was das für den Boxsport in der Region bedeutet, Lukas wird fehlen", sagt Michael Scharf, Direktor Leistungssport beim Landessportbund NRW: "Aber ich kann ihn absolut verstehen."
    Nach Ansicht Scharfs müssten Trainer zumindest wie Lehrer bezahlt werden. Er sagt:

    Wenn ich Qualität haben will, dann muss ich auch bereit sein, für Qualität zu bezahlen.

    NRW-Leistungssport-Direktor Scharf

    Das System

    Jörg Bügner, Vorstand Leistungssport im Deutschen Leichtathletik-Verband, fasste die Situation in Deutschland in Paris in diesem viel zitierten Satz zusammen: "Wir schreiben Excel-Tabellen, die anderen trainieren."
    Sport und Politik werkeln seit bald zehn Jahren an einer Spitzensportreform. Gerade wird diese wieder reformiert, mit der Gründung einer Leistungssportagentur soll endlich Besserung eintreten.
    Nach Ansicht von Maximilian Klein ist man auf einem guten Weg: "Bund, Länder und Sport gehen bestehende Ineffizienzen und Fehlentwicklungen systematisch und nach unserem Eindruck entschlossen an", sagte er.
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    Top-Athleten profitieren von professionellen Strukturen - doch ihr Weg in den Spitzensport beginnt viel früher. Zunächst müssen Talente gefunden und gefördert werden, auch das wird in Deutschland zu einem immer größeren Problem.
    Der Sportunterricht in der Schule wird immer weniger wichtig genommen, Leistungskriterien werden zurückgefahren. Und den Sportvereinen fehlt es wahlweise an ehrenamtlichen Übungsleitern, Hallenzeiten oder überhaupt nutzbaren Sport- und vor allem Schwimmhallen.
    Der Kölner Sportwissenschaftler Ingo Froböse plädierte im WDR ganz unabhängig vom olympischen Medaillenspiegel für eine tägliche Sportstunde in den Schulen: "Unsere Gesellschaft wird nicht gesünder, sie wird ja eher kranker, und ein ganz wesentliches Momentum ist das das Bewegen, der Sport."

    Als Bilderbuchbeispiel für gelingende Spitzensportarbeit wird immer wieder das College-System der USA herangezogen. Dort wird alles gebündelt, was für Top-Leistungen nötig ist: Top Trainingsstätten, top ausgebildete Trainer, ein professionelles Umfeld mit Physiotherapie, sportpsychologischer Betreuung, Ernährungsberatung, Laufbahnbegleitung (Sport und Studium gehen Hand in Hand) und leistungsstarken Trainingsgruppen.

    An den Hochschulen in Deutschland wird man Ähnliches kaum etablieren können, dazu hat der Universitäts-Sport hier gesellschaftlich eine zu geringe Bedeutung - und es fehlen die Einnahmen, die in den USA allein der College-Football generiert.

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