DHB - Kroatien: Wiedersehen mit dem Meistercoach

Die stolze Handballnation blickte erneut in den Abgrund. Mit 1:5-Toren lag Kroatien, der Olympiasieger von 2004, im ersten Spiel der Olympia-Qualifikation gegen Österreich zurück und hatte dabei einige haarsträubende technische Fehler produziert. Es drohte eine Wiederholung des Desasters bei der EURO. "Es geht um Olympia, das war immer mein größter Traum, wir waren sehr, sehr nervös", bilanzierte Ivan Martinovic, der kroatische Bundesligaprofi von der MT Melsungen, später diesen Horrorstart.

Doch dann drehte sich plötzlich das Momentum. Bis zur Pause glich das Team aus und gewann am Ende noch souverän mit 35:29-Toren - und hat damit vor der zweiten Partie an diesem Samstag gegen Deutschland (ab 14.20 Uhr live im ZDF) eine komfortable Ausgangslage: Selbst bei einer Fünf-Tore-Niederlage würde ein Sieg im abschließenden Spiel gegen Algerien für das Olympiaticket reichen.

In der Vergangenheit hatten kritische Lagen wie die in Hannover noch große Hektik auf der kroatischen Bank produziert, es wurde dann viel diskutiert und noch mehr gestritten. Doch nun stand da der neue Trainer Dagur Sigurdsson völlig gelassen am Seitenrand und beruhigte die Profis. "Bleibt cool, unsere Zeit wird noch kommen", habe Sigurdsson gesagt, wie Martinovic berichtete. Und so kam es.

Der 50-jährige Isländer genießt in der Branche nicht erst seit dem sensationellen EM-Titel 2016 mit Deutschland einen sagenhaften Ruf. Als Trainer hatte er überall großen Erfolg, auch als Nationaltrainer Österreichs oder als Coach der Füchse Berlin. Zuletzt führte er Japan zur Asienmeisterschaft und zum Olympiaticket. Und nun will er mit Kroatien nach Paris. Als "brutale Erfahrung" bezeichnete Sigurdsson sein Debüt für Kroatien.

Zu den Merkmalen seiner Arbeit gehören Klarheit und Wagemut. Als er 2014 den ersten Kader der DHB-Auswahl nominierte, tauchte ein noch völlig unbekannter Torwart namens Andreas Wolff erstmals auf. Unvergessen ist die Maßnahme Sigurdssons im EM-Vorrundenspiel 2016 gegen Schweden, als er von einer 6:0-Deckung auf 4:2 umstellte und damit die Wende einleitete.

Auch in Hannover überraschte er das Publikum in Kroatien, indem er den größten Star der Mannschaft, Domagoj Duvnjak (THW Kiel), der aufgrund der Geburt seines dritten Kindes erst eine Trainingseinheit absolvieren konnte, nicht eine Minute spielen ließ. "Kein Problem", sagte Duvnjak. "Der Star ist die Mannschaft." Aber im Falle einer Niederlage hätte Sigurdsson schon am vierten Tag seiner Amtszeit die erste Trainerdebatte ausgelöst.

Sigurdsson jedenfalls besitzt großes Charisma und genießt hohen Respekt bei seinen früheren Schützlingen.

Das sagt der Linksaußen des THW Kiel, der wie Kreisläufer Jannik Kohlbacher (Löwen) und Andreas Wolff (Kielce) unter Sigurdsson den EM-Titel gewann. "Wir wissen, dass bei Dagur jederzeit etwas Überraschendes passieren kann."

Für andere deutsche Profis, die ihre Pflichtaufgabe gegen Algerien (41:29) bewältigten, spielt es keine Rolle, wer da beim Gegner auf der Bank sitzt. "Darüber denke ich nicht nach", sagte Kapitän Johannes Golla (Flensburg). Und auch Bundestrainer Alfred Gislason vermittelte den Eindruck, als sei das Duell mit dem Landsmann etwas Alltägliches. Man kenne sich schließlich aus vielen Duellen aus der Bundesliga.

Tatsächlich ist es kein Geheimnis in der Branche, dass die beiden Nordmänner nicht die allerbesten Freunde sind, allerdings sind Freundschaften unter erfolgreichen Trainern auch rar.

Für Gislason, der in Hannover auch um seinen Job spielt, da sein Vertrag bis 2027 nur im Falle einer Olympia-Teilnahme gilt, ist die Partie gegen seinen 14 Jahre jüngeren Kollegen jedenfalls auch eine Frage des Prestiges.