Handball-Champions-League-Finale:Warum Magdeburg auf den Rückraum pfeift
von Erik Eggers
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Der Rückraum gilt im Handball als spielentscheidende Zone. Magdeburgs Coach Wiegert sieht das anders. Mit seiner revolutionären Idee will er wieder die Champions League gewinnen.
Lieber nah dran als weit weg: Magdeburgs Rückraumspieler beim Torwurf vom Kreis.
Quelle: IMAGO / Eibner
In der Stunde des Triumphes übte sich Bennet Wiegert in Demut. Dieser Erfolg gehöre allein der Mannschaft, sagte der Trainer des SC Magdeburg am Sonntag, bevor die SCM-Handballer die Meisterschale überreicht bekamen. Aber selbstverständlich ist der 42-Jährige die zentrale Figur bei dem wundersamen Aufstieg des SCM, wie Ex-Profi Stefan Kretzschmar sagt, zur "besten Mannschaft der Welt".
Samstag SC Magdeburg - Aalborg Handbold (15 Uhr) FC Barcelona - THW Kiel (18 Uhr)
Sonntag Spiel um Platz 3 (15 Uhr) Finale (18 Uhr)
SC Magdeburg: Vom grauen Mittelfeld zum eifrigen Titelsammler
Als Wiegert im Dezember 2015 das Ruder übernahm, schwamm Magdeburg im grauen Mittelfeld der Liga. Seit 2021 aber hat der Klub acht Titel gewonnen: zwei in der Meisterschaft (2022, 2024), einen im DHB-Pokal (2024), drei bei der Klub-WM (2021-2013), einen in der European League (2021) und - die Krönung - 2023 auch den in der Champions League.
Bennet Wiegert, Trainer des SC Magdeburgs, hat mit seinen Ideen den Handball neu erfunden. Ob sein Team damit die Champions League gewinnt?
Quelle: dpa
Und wenn die Fachwelt heute die Magdeburger als Topfavorit einstuft, liegt das vor allem daran, dass der Trainer Wiegert seine Sportart mit seinem Spielsystem geradezu revolutioniert hat.
Wiegerts Spielidee besteht darin, allein aus der Nahwurfzone werfen zu lassen, weil dort die Erfolgsquoten am höchsten sind. Wie radikal sein Team diese Order manchmal befolgt, zeigte sich im April in Köln, als der SCM im DHB-Pokal-Halbfinale gegen die Füchse Berlin kein einziges Mal aus dem Rückraum warf (und überlegen gewann).
Die Handballer des SC Magdeburg haben zum dritten Mal den DHB-Pokal gewonnen. Das Team setzte sich beim Final Four mit 30:19 (13:11) gegen den Außenseiter MT Melsungen durch.
14.04.2024 | 0:45 min
SCM mit absurd hohen Erfolgsquoten
Wiegerts Philosophie, seine Spieler aus möglichst kurzen Distanzen werfen zu lassen, führte auch in der Bundesliga zu teils absurd hohen Erfolgsquoten. Beim Auswärtssieg bei der SG Flensburg, der dem SCM die Vorentscheidung in der Meisterschaft brachte, kamen die Angreifer in der ersten Halbzeit auf eine Torquote von über 90 Prozent. Das Fachmagazin "Handball inside" nennt Wiegert deshalb einen "Nahwurf-Extremisten".
Die Revolution ist das Ergebnis der früheren finanziellen Unterlegenheit des Klubs gegenüber Branchengrößen; denn die Rückraumstars, die beim THW Kiel spielten, konnte sich der SCM schlicht nicht leisten.
Deshalb vertiefte sich Wiegert in Statistiken wie einst der US-Baseballcoach Billie Beane, dem Hollywood 2001 mit "Moneyball" ein filmisches Denkmal setzte.
Finanzkrisen und neue Investoren rütteln im Klubhandball an gewohnten Strukturen. Dennoch geht Titelverteidiger SC Magdeburg mit guten Chancen in die Champions League-Saison.
von Erik Eggers
Wiegerts Erfolgsrezept: Zweikampfstarke Spieler
Die Basis seines Spielsystems sind wendige, schnelle und vor allem zweikampfstarke Spieler im Rückraum - Profis wie Omar Ingi Magnusson, Gisli Thorgeir Kristjansson und Felix Claar reißen mit ihren brutal schnellen Antritten und rasanten Passfolgen jede Abwehr auseinander.
Dabei können Magnusson und Claar in bedrängter Lage auch aus dem Rückraum treffen, weshalb Wiegert sie als "Hybridspieler" bezeichnet.
Hinzu kommt eine Besessenheit, die an die Substanz geht. Der Claar sagt, er habe noch keinen Trainer erlebt, "der so für seinen Sport brennt. Er ist unglaublich." Wiegert denke und lebe Handball, die ganze Zeit, sagt der schwedische Nationalspieler, der just beim SCM bis 2028 verlängert hat.
Der SC Magdeburg tritt beim Final Four in der Handball-Champions League als Außenseiter an - und will Geschichte schreiben. Dafür setzt der Trainer bewusst auf kleinere Spieler.
von Erik Eggers
Wiegert Bundesliga-Trainer des Jahres
Erfahrene Trainerkollegen wie Kai Wandschneider, der viele Jahre in Wetzlar tätig war, loben außerdem die Empathie und Menschlichkeit Wiegerts. Auch sei die Konstellation in Magdeburg einzigartig, da Wiegert als Sport-Geschäftsführer wie ein Manager in der englischen Premier League arbeiten könne.
Wiegert, der eben zum Bundesliga-Trainer des Jahres gewählt wurde, ist dabei völlig bewusst, dass sein Spielsystem irgendwann mit fruchtbaren Gegenkonzepten konfrontiert sein wird. Weshalb er sich, wie er einräumt, ständig frage: "Wo ist die nächste Innovation? Ist der Kader zu alt? Was ist modern?"
Man darf gespannt sein, welche Antworten das Final-4-Turnier in Köln darauf gibt.