Protest vor DFB-Zentrale: "Kein Fußballfest im Folterstaat"
Vor WM-Vergabe an Saudi-Arabien:Proteste: "Kein Fußballfest im Folterstaat"
von Frank Hellmann, Frankfurt
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Vor der DFB-Zentrale haben Arbeiterwohlfahrt und Fanvertreter gegen die Vergabe der WM 2034 nach Saudi-Arabien protestiert. Präsident Bernd Neuendorf hat Gespräche angeboten.
Vertreter der AWO Westfalen protestieren gegen die Vergabe der WM 2034 nach Saudi-Arabien.
Quelle: ZDF
Es war fünf Minuten nach zwölf, als endlich die große Banderole vor dem Eingang zur Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gespannt war. "Kein Fußballfest im Folterstaat 2034" war in Versalien zu lesen, auf einem anderen Plakat stand: "Sei mutig, DFB: Sag Nein zur WM 2034 in Saudi-Arabien."
Zudem hatte der Osnabrücker Aktionskünstler Volker-Johannes Trieb mehr als 100 Sandsäcke in Fußballoptik mit dem Aufdruck "Weltgewissen, Du bist ein Fleck der Schande" auslegen lassen.
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Große Sorge um Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien
Sodann spielte der Musiker Wilhelm Schulz aus Melle ein selbst komponiertes Requiem auf seinem Cello. Die Trauermusik lockte sogar Bewohner aus den Häusern im Frankfurter Stadtteil Niederrad, womit die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und das Fanbündnis "Fairness United" bei ihrer Protestaktion in Schrift und Ton gegen die bevorstehende Doppelvergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2030 und 2034 gar nicht gerechnet hatten. Michael Scheffler von der AWO Westliches Westfalen stellt klar, worum es geht:
Der Wohlfahrtsverband stehe für Werte wie internationale Solidarität, führte Scheffler aus, der sich speziell um die Situation der für den Bau von Stadien und Hotels benötigten Arbeitsmigranten sorgt, die in dem Königreich fast Leibeigene seien: "Moralisch können wir es nicht verantworten, dorthin ein solches Fußballturnier zu geben." Der 70-Jährige liest insbesondere dem DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf die Leviten:
Der im Fifa-Council mit immerhin 250.000 Dollar jährlich entlohnte Neuendorf hatte argumentiert, dass sich die breite Zustimmung für den umstrittenen Wüstenstaat beim virtuellen Fifa-Kongress am Mittwoch ohnehin nicht wird verhindern lassen.
Kritik am Demokratie-Verständnis von Bernd Neuendorf
An dieser Stelle redete sich insbesondere der Aktivist Trieb in Rage: "Mit dem Demokratieverständnis von Herrn Neuendorf brauchen wir im Februar auch nicht mehr zur Bundestagswahl gehen. Hier wird vorgelebt, dass unsere Stimme eigentlich keinen Wert hat – und wir daher für etwas stimmen, was wir nicht für richtig halten."
Erst kürzlich erhob Human Rights Watch in einem Bericht erneut schwere Vorwürfe gegen Saudi-Arabien. Darin geht es um Zwangsarbeit, grassierenden Lohndiebstahl oder unzureichenden Schutz vor extremer Hitze. Auch nicht untersuchte Todesfälle von Arbeitern werden dokumentiert. Die Situation in dem Land, das den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 beauftragt haben soll, wird teilweise noch kritischer als vor der WM 2022 in Katar beschrieben.
Die FIFA bescheinigt Saudi-Arabien eine "einmalige, innovative und ambitionierte Vision", im jüngsten Prüfbericht wird von einem "mittleren Risiko" beim Blick auf die Menschenrechte ausgegangen. Dabei beruft sich die FIFA auch auf eine Bewertung einer in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad ansässigen Kanzlei, die von Menschenrechtlern als "künstlich eingeschränkt, irreführend und übermäßig positiv" bezeichnet wird.
Dieser "gefälschte Evaluierungsprozess der FIFA" werde "unvorstellbare menschliche Kosten verursachen, einschließlich negativer Auswirkungen auf Wanderarbeiter und ihre Familien", sagte Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch.
Es sei schlimm genug, dass es Kriege gibt, wetterte der 58-Jährige, "aber dass wegen eines Fußballturniers Menschen sterben, ist unerträglich. Herr Neuendorf nimmt das in Kauf!" Dem Künstler hätte eine Enthaltung für eine Gegenposition gereicht.
Fans fürchten ähnliche Missstände wie bei WM in Katar
Auch Sven Kistner von "Fairness United" äußerte große Furcht, dass Menschenrechte wie schon im Emirat Katar mit Füßen getreten werden. "Das Kind liegt schon im Brunnen. Trotz allem müssen wir darauf hinweisen, dass wir absolut nicht einverstanden sind, was der DFB und seine Granden machen. Auch Symbolpolitik ist Politik. Wenn nicht einer anfängt aufzustehen, wird nie einer aufstehen."
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Neuendorf hatte vergangene Woche argumentiert, eine Ablehnung sei "reine Symbolpolitik". Fanvertreter wie Kistner glauben nicht, dass die angekündigten Reformen in der Monarchie umgesetzt werden: "Das halten wir für illusorisch. Das waren schon bei der WM in Russland und Katar reine Schutzbehauptungen."
Fans nehmen Gesprächsangebot des DFB an
Was die in die Mainmetropole gereiste Protestgruppe dem Verbandschef hoch anrechnete: Mediendirektor Steffen Simon kam an die Schwarzwaldstraße mit dem Angebot, dass sich Neuendorf noch am selben Tag für einen Austausch mit drei Kritikern zusammensetzen würde, was diese nach kurzer Bedenkzeit annahmen.
Der 63-Jährige hatte vergangenen Freitag beteuert, er könne trotz aller Bedenken in den Spiegel schauen. Trotz der schweren Menschenrechtsverstöße, die hinlänglich von Human Rights Watch belegt sind: nämlich Zwangsarbeit, Lohndiebstahl oder Todesfälle von Arbeitern.
Die FIFA dürfte bekommen, was sie will: Per Doppelvergabe wird die WM 2030 in sechs Ländern auf drei Kontinenten und die WM 2034 in Saudi-Arabien abgesegnet.
von Frank Hellmann
FAQ
Quelle: Reuters
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