DFB-Kaderbekanntgabe: Nagelsmann renoviert im XXL-Format

Eines hat Julian Nagelsmann ja trotz einer schon recht langen Phase ohne Länderspiel geschafft: dass die Männer-Nationalmannschaft Gesprächsthema bleibt, obwohl sie im Gegensatz zu den Frauen noch gar nicht gespielt hat.

Drei Monate vor dem EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland (14. Juni) erfolgen unter dem Bundestrainer nämlich Renovierungsarbeiten im XXL-Format. Das ist viel mehr als bloß ein Frühjahrsputz.

Der 36-Jährige tauscht so viel Personal, um den Charakter dieser seit Jahren unsteten Mannschaft zu verändern. Er will mehr "Worker" im deutschen Team, um "ein paar mehr Prozent Mentalität" herauszukitzeln. Selten war eine Kaderbekanntgabe daher mit so viel Brisanz behaftet wie jene am Donnerstag (14 Uhr) für die Länderspiel-Klassiker gegen Frankreich in Lyon (23. März) und gegen die Niederlande in Frankfurt (26. März).

Dass mit Manuel Neuer und Toni Kroos zwei reife Weltmeister zurückkehren, ist ein offenes Geheimnis, aber es geht offenbar auch in die andere Altersrichtung: Dass Leon Goretzka rausfliegt, während Aleksandar Pavlovic reinrückt, hat Sportdirektor Christoph Freund vom FC Bayern bereits bestätigt.

Ein 19-jähriger Jungspund mit gerade ein Dutzend Partien in der Bundesliga ersetzt eine 29-jährige Fachkraft mit 57 Länderspielen. Aber war Goretzka nicht viel zu oft seinem selbst ernannten Führungsanspruch schuldig geblieben?

Anders als der Klubkollege Joshua Kimmich kann der bei drei Turnieren mit dem deutschen Misserfolg verknüpfte Goretzka nicht eben schnell rechts hinten einen Mehrwert für die Gemeinschaft generieren.

Vielleicht macht der gebürtige Bochumer eine WhatsApp-Gruppe mit den anderen Verstoßenen aus dem Westen auf: Marco Reus, Emre Can, Julian Brandt, Marius Wolf oder Karim Adeyemi von Borussia Dortmund haben sich innerlich damit abgefunden, die EM 2024 nur als Zuschauer zu verfolgen.

Wenn jetzt allerdings neben dem zu Aussetzern neigenden Nico Schlotterbeck und Niklas Süle auch der Routinier Mats Hummels fehlen sollte, wäre das ein breites schwarz-gelbes Misstrauensvotum.

Nur an Niclas Füllkrug mit seiner famosen Trefferquote kommt Nagelsmann (noch) nicht vorbei, der als Konkurrent den zehn Jahre jüngeren Himmelsstürmer Maximilian Beier (TSG Hoffenheim) nominieren könnte.

Belohnt wird wohl gleich vierfach der Höhenflug des VfB Stuttgart: Abwehrboss Waldemar Anton, Verbindungsmann Maximilian Mittelstädt, Wirbelwind Chris Führich und Torjäger Deniz Undav können in einen Kleinbus steigen, um sich am Montag zum Treffpunkt im Kempinski Gravenbruch vor den Toren Frankfurts chauffieren zu lassen.

Noch kürzer hat es Robin Koch, der als Abwehrchef von Eintracht Frankfurt eigentlich schon im November vergangenen Jahres nominiert hätte werden sollen, dann aber wegen eines Muskelfaserrisses ausfiel.

Bei den Blamagen gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) spielte Frankfurts Keeper Kevin Trapp, der nun dem Vernehmen nach durch Bernd Leno (FC Fulham) ersetzt wird. In der Summe sind das alles Fingerzeige, die fürs (Macht-)Gefüge nicht ohne Folgen bleiben.

Rückendeckung seiner Vorgesetzten gibt es. So sagte kürzlich Sportdirektor Rudi Völler bei der Countdown-Veranstaltung in Berlin vor reichlich Polit-Prominenz:

Sein nur bis Sommer gebundener Bundestrainer hatte zuerst im ZDF-Sportstudio dargelegt, welche Gedanken ihn leiten: "Wir werden mehr Spieler im Kader haben wie Pascal Groß, die sich auch mal für andere reinwerfen und denen es weniger darum geht, mit einem tollen Pass zu glänzen."

Insofern passt sogar die Sperre für Leroy Sané in seinen Plan, der nach einer Roten Karte wegen Tätlichkeit am 21. November vergangenen Jahres in Wien für drei Spiele aussetzen muss.