ZDF-Live-Reporterin Claudia Neumann kommentierte erstmals das Champions-League-Finale der Männer.
Quelle: ZDF/Torsten Silz
Frauen moderieren Sportsendungen, interviewen Fußballspieler*innen, kommentieren Live-Übertragungen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Claudia Neumann ist eine der Pionierinnen auf dem Gebiet. Die ZDF-Sportreporterin ist die erste Frau, die live im Fernsehen ein Männerspiel im Fußball kommentierte.
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So auch am vergangenen Samstag beim Champions-League-Finale der Männer in Istanbul. Dabei erlebt die Sportjournalistin gerade etwas, das viele Frauen kennen und fürchten: Hass und Beleidigungen in sozialen Medien.
Doch wie ist diese Abneigung zu erklären?
Wenn Claudia Neumann am Mikro sitzt, verliere Kritik oft jede Verhältnismäßigkeit, beschreibt die ehemalige Fußball-Funktionärin und deutsche Nationalspielerin Katja Kraus den sexistisch unterlegten Shitstorm.
"Unqualifizierte Labertante", "Hauptsache die Frauenquote stimmt" - zahlreiche dieser Kommentare strömten am Samstagabend auf Twitter, TikTok und Instagram nur über sie herein. Bereits vor der Partie wurde so viel über sie diskutiert, dass ihr Name sogar in den Twitter-Trends ganz oben stand.
Fußball über Jahrzente männlich dominiert
"Kommentierung ist sicher Geschmackssache, aber bei Frauen beginnt die Ablehnung schon vor dem Anpfiff. Das ist völlig frei von jeder inhaltlichen Bewertung", sagt Kraus. Die 52-Jährige ist Teil des Netzwerks "Fußball kann mehr", das sich unter anderem für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzt. Aus ihrer Erfahrung gebe es "keine Kompetenzzuschreibung bei Frauen."
Das liegt vor allem daran, dass die deutsche "Fußballlandschaft von Männern geschaffen und über Jahrzehnte dominiert" wurde, erklärt das ehemalige Vorstandsmitglied des HSV. "In dieser gibt es klare Regeln, eine habituelle Ordnung, die nicht einladend ist für Frauen."
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Fehler spielen bei Frauen viel größere Rolle
Auf eigene Social-Media-Kanäle verzichtet Neumann. Sie selbst nimmt die Reaktionen mittlerweile gelassen und ignoriert die Hasskommentare weitgehend im Netz. Auch ihre männlichen Kollegen bleiben nicht von ausfallenden Kommentaren verschont, doch bei Neumann richten diese sich oft nur gegen ihr Geschlecht - vor allem, wenn Fehler bei Live-Kommentierung passieren.
Katharina Heger forscht am Weizenbaum-Institut unter anderem zum Thema geschlechterspezifischen Ungleichheiten und ordnet dieses Verhalten als sogenannten Backlash ein.
Hater sind oft eine Minderheit
"Eine Theorie wäre, dass, wenn nicht mehr nur Männer das Spielgeschehen erklären, sondern eine Frau, es sein kann, dass manche Menschen sich in ihrer vermeintlichen Deutungshoheit, in diesem Fall über den Fußball, bedroht oder an den Rand gedrängt fühlen und sich dagegen wehren", sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin zu Hass-Wellen im Netz gegen Claudia Neumann. Deren Mechanismen funktionierten im Sport ähnlich wie in der Politik.
Dabei seien die Hater "eher eine kleine Gruppe, die sich extrem vulgär äußert und dadurch viel rezipiert wird." Zudem gehe es bei den Angriffen oftmals gar nicht so sehr um die jeweilige Zielperson, sondern um eine generelle Botschaft an alle Frauen.
Jede zweite Frau hat Angst vor Meinungsäußerung
Laut einer Studie von HateAid äußern Frauen ihre Meinung im Internet aus Furcht vor Feindseligkeit in 52 Prozent der Fälle weniger offen. "Man sollte es nicht als normal empfinden und sich damit abfinden", sagt Josephine Ballon. Die Rechtsanwältin der Organisation Hate Aid hilft Betroffenen von Hass und Hetze im Internet sowohl durch Beratung als auch mit Gerichtsverfahren.
"Ich kann nur empfehlen die Kommentare zu melden und Beweise zu sichern, um dann damit Anzeige zu erstatten. Auch sexualisierte Anfeindungen können als Beleidigungen strafbar sein." Entscheidend sei es die Personen aus ihrer Anonymität zu ziehen.
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Die Beleidigungen gegen Claudia Neumann haben das ZDF in der Vergangenheit bereits zur Strafanzeige gegen Internet-Trolle veranlasst.
"Claudia Neumann ist eine professionelle und erfahrene Kommentatorin, was sie beim Champions-League-Finale einmal mehr unter Beweis gestellt hat. Konstruktive und sachliche Kritik an ihrer Arbeit ist völlig okay. Völlig inakzeptabel ist jedoch das große Ausmaß an Hass und Beleidigung, das ihr entgegenschlägt", erklärt ZDF-Sportchef Yorck Polus und stellt sich vor seine Kollegin.
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Kommentatorinnen zur Normalität werden lassen
Um diese Dynamiken einzudämmen, würde es helfen, Frauen auch künftig verstärkt Fußballspiele kommentieren zu lassen, so Heger. "Die Hater werden damit konfrontiert, dass es jetzt eine Normalität ist."
Bisher gibt es nur wenige Frauen in Deutschland, die live im TV kommentieren. Der Weg bis zur neuen Normalität ist also noch lang.