Urban zu Profifußball: "Corpsgeist" verhindert Coming-out

    Homosexualität im Profifußball:Urban: "Corpsgeist" verhindert Coming-out

    |

    Am 17. Mai sollte es sein - ein Gruppen-Coming-out von schwulen Profifußballern war angekündigt. Passiert ist: nichts. Warum, erklärt Marcus Urban von der Organisation "Diversero".

    Marcus Urban
    Spielte in den 1980er und -90er Jahren beim FC Rot-Weiß Erfurt Fußball in der damaligen DDR-Jugendoberliga und war Juniorennationalspieler der DDR: Marcus Urban.

    Der ehemalige Junioren-Nationalspieler Marcus Urban war auf dem Sprung in die Bundesliga, als er sich outete - für den heute 53-Jährigen, der laut eigener Aussage in Kontakt mit etlichen homosexuellen Fußballern steht, auch im Profibereich, "eine Befreiung". Seit 2014 setzt er sich im gemeinnützigen Verein "Diversero" für Vielfalt in Sport und Gesellschaft ein.
    Urban hatte die Initiative "Sports Free" ins Leben gerufen, der 17. Mai war der Startschuss für die Kampagne - es sollte ein erstes Gruppen-Coming-out im Profifußball geben. Aber daraus wurde nichts. Im ZDFheute-Interview spricht er über Widerstände, Corpsgeist und warum sexuelle Orientierung kein Parameter für Leistungsfähigkeit sein darf.
    "Das letzte Tabu": Grafik: Im Titel des Films steht ein anonymisierter Fußballer mit dem Rücken zur Kamera. Hinter dem Titel ist der Ausgang auf ein Fußballfeld.
    Schwer vorstellbar, aber wahr: Nach aktuellen Schätzungen sind von weltweit 500.000 aktiven männlichen Fußballprofis weniger als zehn offen homosexuell.13.06.2024 | 94:41 min
    ZDFheute: Warum ist trotz Ihrer großen Ankündigung eines Gruppen-Coming-outs von queeren Sportlern, darunter sollte auch der erste bekennend homosexuelle deutsche Profifußballer sein, nichts dergleichen passiert?
    Marcus Urban: Ein kleines bisschen ist doch passiert. Einige haben aus dem angekündigten ersten Angebot eines gemeinsamen Coming-outs ein 'Versprechen' gemacht. Jeden 17. eines Monats gibt es die nächste Chance, sich zu outen.

    Ein Anfang ist gemacht mit den Coming-outs von Dirk Elbrächter von der TSG Hoffenheim und Schiedsrichter Luca Schiliró.

    Marcus Urban

    ZDFheute: Sie haben diesen Schritt getan, bevor Sie Profifußballer wurden. Das ist mehr als drei Jahrzehnte her. Die Welt hat sich seitdem rasant weiterentwickelt, aber warum hat im deutschen Profifußball immer noch kein Spieler das angeblich letzte Tabu gebrochen?
    Urban: Das hat viele Gründe. Während viele andere gesellschaftliche Bereiche zumeist offen mit queerem Leben umgehen und es auch in anderen Sportarten Outings gegeben hat, dauert es im deutschen Profi-Männerfußball und anderen Sportarten länger mit der Freiheit und Selbstbestimmung. Das hat aus meiner Sicht mit einem gewissen Team- oder vielleicht sogar Corpsgeist zu tun. Männer haben in dem Bereich vielleicht gelernt, dass sie heterosexuell sein müssen, sie dürfen auch hart und dominant sein, aber bloß nicht schwul.

    Es ist aber wichtig, klarzumachen, dass die sexuelle Orientierung kein Parameter für Leistungsfähigkeit ist.

    Marcus Urban

    ZDFheute: Im Frauenfußball ist es kein Thema, offen homosexuell zu leben, in anderen Sportarten haben sich auch Männer längst schon gezeigt, Thomas Hitzlsperger hat es nach dem Ende seiner aktiven Karriere getan. Es gibt queere Fußball-Fanklubs, und in Alexander Wehrle vom VfB Stuttgart steht auch ein bekannter Funktionär ganz normal dazu, homosexuell zu sein. Also: Wo ist das Problem - oder, im Gegenteil, ist die Zeit dafür eher schwieriger geworden?
    Urban: Da es wenige queere Vorbilder im Profisport gab, denken die meisten, es würde ganz schlimm werden. Ist die Realität eventuell doch besser als die negativen Gedanken? Um Mut zu fassen, daher die Idee des Gruppen-Coming-outs, damit nicht eine Person allein im Fokus steht, da dieses Thema für eine kurze Zeit viel Aufmerksamkeit erzeugen wird. Das muss man durchstehen, zum Beispiel die üblichen negativen Äußerungen ausblenden, ähnlich wie ein Spiel, auf das man sein Konzept und Stärken fokussiert.

    Der Lohn ist das Gefühl von Freiheit, Leichtigkeit und mehr Selbstbestimmung fürs Leben.

    Marcus Urban

    ZDFheute: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie im Stadion 'Was ist das denn für ein schwuler Pass' hören?
    Urban: Das habe ich oft erlebt und denke: Ein Pass ist ein Pass, der kann gut oder schlecht sein, aber nicht schwul oder hetero. Ein Beispiel, das ist schon etwas länger her: Ich war beim Spiel HSV gegen Dortmund, in der Bundesliga. Da hat mein Sitznachbar genau das gerufen: 'Was ist das denn für ein schwuler Pass?' Ich habe ihm dann gesagt: 'Ich bin schwul.' Da ist er rot angelaufen, war total peinlich berührt und hat mich dann umarmt und gesagt: 'Das tut mir leid, ich habe es nicht so gemeint.'
    ZDFheute: Im Stadion sieht man auch die Regenbogenfahne und, nicht zu vergessen, die One-Love-Binde von Manuel Neuer während der WM in Katar. Sind das nur Symbole?
    Urban: Wie sagt man so schön: Du musst das Ding dann auch mal reinmachen. Damit meine ich, sich letztlich von der Last des Versteckens zu befreien und mit mehr Normalität und Leichtigkeit zu leben und Sport zu treiben.
    Die Fragen stellte Heiko Buschmann.

    • Geboren am 4. August 1971 in Weimar
    • Spielte in den 1980er und -90er Jahren beim FC Rot-Weiß Erfurt Fußball in der damaligen DDR-Jugendoberliga und war Juniorennationalspieler der DDR.
    • Studium der Stadt- und Regionalplanung an der Bauhaus-Universität in Weimar mit dem Abschluss Diplom-Ingenieur mit Spezialisierung auf erneuerbare Energien.
    • Heute als Berater, Bildungsreferent und Personal Coach tätig.
    • Geschäftsführer des Vereins für Vielfalt in Sport und Gesellschaft und Mitgründer des Expertennetzwerkes "Fußball für Vielfalt", früher "Fußball gegen Homophobie", einem Projekt der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.

    Mehr zum Thema

    Sport-Dokus und -Stories