Mit einem 5:0-Sieg über Werder Bremen ist Bayer 04 Leverkusen vorzeitig Deutscher Fußballmeister geworden.14.04.2024 | 3:11 min
Als Fan von Bayer Leverkusen hatte man es in der Vergangenheit oft nicht leicht. Oft wurde ich gefragt, wie es zu meiner Liebe zu diesem Verein kam, wie das passieren konnte. Warum ich einem Werksklub zujubele, der angeblich keine Tradition hat (seit 1979 aber ununterbrochen in der Bundesliga spielt und in der Ewigen Tabelle auf Platz 10 rangiert). Es waren keine Fragen, sondern eher die Aufforderung zur Rechtfertigung.
Als kleiner Knirps wurde ich aber nicht Fan von einem Konzern. Ich saß Anfang der 2000er Jahre mit leuchtenden Augen vor dem Fernseher und sah Zé Roberto, Michael Ballack und mein absolutes Idol Bernd "Schnix" Schneider Fußball spielen. Da war es um mich geschehen.
Das "Vizekusen"-Trauma
Die Mannschaft um diese Spieler hat Anfang der 2000er Jahre eine Ära geprägt, ist durch Europa bis ins Champions-League-Finale vorgeprescht, hat ein Feuer in mir und der Fußballwelt entfacht, hätte jeden Titel verdient gehabt und ist am Ende aber vor allem eins: immer wieder gescheitert. 2000 verspielte das Team die Meisterschaft am letzten Spieltag in Unterhaching.
Florian Wirtz erlöst die Bayer-Fans: Leverkusen ist Deutscher Fußballmeister.
Quelle: dpa
Zwei Jahre später titelte der "Kölner Stadt-Anzeiger" nach Platz zwei in der Bundesliga und zwei verlorenen Finals in Anlehnung an einen berühmten Queen-Song: "Wieder singt Mercury nicht für Bayer." Die Schlagzeile des "Stadt-Anzeigers" ziert als Teil der Klubgeschichte immer eine Wand im Stadion wie ein Mahnmal. Nach dieser Saison war der Begriff "Vizekusen" geboren.
"Die Geschichte schuldet Leverkusen noch eine Meisterschaft", brachte Bayers Sport-Boss Fernando Carro unlängst den Frust über diese Jahre auf den Punkt.
Den Titel fast schon in der Tasche, legt Bayer Leverkusen gegen Werder Bremen noch ein Spektakel drauf und macht's besonders schön. Beim 5:0 trifft Florian Wirtz drei Mal.15.04.2024 | 9:59 min
Ein gewisser Xabi Alonso übernimmt
Von Schuld und Sühne wollte ich damals nichts wissen. Ich trauerte mit diesem Team und entwickelte aus kindlichem Fan-Trotz eine "Jetzt-erst-recht-Mentalität". Um den Verein zu supporten, den ich zum ersten Mal auf Papas Schultern in einem Stadion beklatschen durfte und dessen heiligen Rasen ich als Einlaufkind mit den Spielern in der BayArena tagelang danach unter den Zehen spürte.
Oft begeisterte mich dieser Verein, oft brachte er mich aber auch zur Weißglut. Zum Beispiel im Herbst 2022 als ich unglücklicherweise auf die Idee kam, Tickets für ein Auswärtsspiel beim FC Bayern München zu ergattern. Auf vagen Optimismus folgte ein 0:4-Debakel und Häme und Spott, dass dieses Team - immer wenn es darauf ankam - versagte. Ein paar Tage später übernahm ein gewisser Xabi Alonso als Cheftrainer in Leverkusen.
Bayer Leverkusen ist ein Verein mit Geschichte und Geschichten. Auf "Vizekusen" hat man keine Lust mehr im Verein, die Ambitionen sind größere.06.03.2022 | 7:58 min
Bayer hat die richtigen Schlüsse aus Rückschlägen gezogen
Jetzt kann man sagen, man wusste es sofort, dass da ein großer unters Bayer-Kreuz kommt. Dass man damals schon erkannte, welches Potenzial in diesem Team steckt. Wer das so prognostiziert hat: Respekt. Ich habe es nicht. Auch in der ersten Saison unter Alonso - seinem Debüt als Cheftrainer bei einem Erstligisten - gab es viele Rückschläge. Natürlich hatte er die Mannschaft stabilisiert, aber begeisternden folgten auch immer wieder holprige Auftritte. Nur wurden daraus die richtigen Schlüsse gezogen.
Sportgeschäftsführer Simon Rolfes hat mit seinem Team und Alonso den eigenen Kader in der Analyse perfekt seziert und exakt die Spieler verpflichtet, die dieser Mannschaft gefehlt haben. Einen international erfahrenen Sechser mit Granit Xhaka, einen torgefährlichen Linksverteidiger mit Alejandro Grimaldo und einen wuchtigen Stürmer mit Victor Boniface. Dazu kam Florian Wirtz nach seiner Verletzung immer besser in Fahrt und zeigte, dass er für den gesamten deutschen Fußball eines der größten Versprechen der letzten Jahrzehnte ist, und Alonso schaffte es, einen oftmals wankelmütigen Jonathan Tah zu einem konstanten Innenverteidiger auf internationalem Top-Niveau zu formen.
Die Highlights des DFB-Pokal-Halbfinals zwischen Bayer Leverkusen und Fortuna Düsseldorf.03.04.2024 | 5:53 min
Leverkusen und das Sieger-Gen
Das erste Mal daran geglaubt, dass diese Mannschaft etwas Großes erreichen kann, habe ich am ersten Spieltag der aktuellen Saison gegen RB Leipzig. Auf und ab, 3:2, ein Spiel wie ein Rausch. Nach außen blieb mein Optimismus zaghaft, zu früh war es in der Saison, um höhere Ambitionen zu melden. Doch die Idee davon, dieses Jahr mehr erreichen zu können, wuchs von Spiel zu Spiel, wuchs mit der Stabilität und Konstanz, die dieses Team auszeichnete.
Und dann wurden auch noch entscheidende Spiele
wie in Augsburg und
Leipzig auf den letzten Drücker gewonnen. Es sollten zahlreiche weitere folgen. Die Mannschaft zeichnete ein regelrechtes Sieger-Gen aus, ein Umstand, der bei mir gleichzeitig für Ekstase und Verwunderung sorgte, waren das doch genau die Spiele, die in den letzten Jahren immer wieder verloren gingen.
Schönes Ostergeschenk von Xabi Alonso an Bayer Leverkusen: Der Spanier verkündet, dass er auch nächste Saison Trainer des Fußball-Bundesligisten sein wird.29.03.2024 | 0:36 min
Meisterschaft durch nichts zu überbieten
Ja, es geht in dieser Saison auch noch um zwei andere Titel, die für den Verein eine herausragende Rolle spielen. Aber Deutscher Meister zu sein, zum allerersten Mal in der Historie, nach den ganzen Traumata der vergangenen Jahrzehnte, mit der
Entthronung des FC Bayern zu einem so frühen Zeitpunkt der Saison, ist durch nichts zu überbieten. Ein gewisser Queen-Song wird in Leverkusen mindestens noch für ein paar Tage auf Dauerschleife laufen.
Nur Fernando Carro würde ich widersprechen. Die Geschichte hat Leverkusen keine Schuld eingelöst. Dieses Team hat seine eigene geschrieben.
Xabi Alonso hat sein Meisterwerk vollendet und Leverkusen zum ersten Bundesliga-Titel geführt. Mit einem Sieg gegen Bremen sicherte sich die Werkself vorzeitig die Meisterschaft.
von Peter Mayer