"Post-Concert-Depression": Traurig nach dem Konzert
Down nach dem Konzertbesuch?:Das hilft gegen "Post-Concert-Depression"
von Karen Grass
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Taylor Swift, Adele, Coldplay: Ein Sommer mit Stars. Doch nach dem Giga-Gig haben einige eine Art Kater: Post-Concert-Depression, so das Buzzword im Netz. Was dagegen hilft.
Das Tief nach dem Hoch, wenn die Konzert-Euphorie nachlässt: Was steckt hinter dem Phänomen der Post-Concert-Sadness, auch Post-Concert-Depression genannt?
Quelle: dpa
Konzerte, auf die Fans wochenlang hinfiebern, Outfits und Schmuck zusammenstellen und akribisch die Anreise planen: Dieser Sommer hält in Deutschland einige Mega-Events bereit.
Doch was die Fans vor und während des Konzerts in höchste Glücksgefühle versetzen kann, schlägt danach teils in tiefe Traurigkeit um. Auf TikTok und Co. sprechen einige sogar - wenn auch nicht immer ernsthaft - von #postconcertdepression. Was steckt dahinter und wie kann man sich helfen?
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Post-Concert-Gefühle: Vergleichbar mit Depression?
Tatsächlich können Fans nach einem Konzert das Gefühl erleben, ein geliebtes Objekt zu verlieren, sagt der Berliner Psychoanalytiker Tarek Hildebrandt. Denn einige projizierten in einen Star eine bessere Version ihrer Selbst, eine*n Traumpartner*in oder eine Elternfigur. Von der müssen sie allerdings mit Konzertende nach einer kurzen gemeinsamen Zeit abrupt Abschied nehmen. Das könne sich wie ein Verlust anfühlen und der sei auch ein zentrales Moment vieler Depressionserkrankungen. Das beschriebene Phänomen habe also einen wahren Kern.
Andererseits sei der Begriff auch problematisch: "Er trivialisiert die Depression, die neben der Trauer oft auch lähmende Selbstwertprobleme und Schuldgefühle mit sich bringt, die im schlimmsten Fall in die Suizidalität führen", so Hildebrandt. "Post-Concert-Sadness" oder "Post-Concert-Down" seien da passendere Begriffe.
Ein Faktor kann oft körperliche Erschöpfung durch das Event, die An- und die Abreise sein.
Ein weiterer Faktor kann das Abfallen des Hormonspiegels nach einem Konzert sein: Hören wir Musik, die wir mögen, kann das zur Ausschüttung von Endorphinen und Dopamin führen. Lässt dieses "High" nach, kann sich das negativ anfühlen.
Zentral scheint zudem, dass Fans von einem kurzen Ausflug in eine fiktive, vielleicht utopische Sphäre in ihren realen Alltag zurückkehren müssen. Das kann Anpassungsschwierigkeiten mit sich bringen.
Ähnliche Gefühle wie nach einem Konzert werden von Fans übrigens auch nach anderen prägenden Erlebnissen beschrieben, beispielsweise nach dem Ende einer geliebten Serie.
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Traurigkeit nach Events durch Sehnsucht nach Harmonie?
Womöglich deuten die großen Erfolge der genannten Gigs, aber auch jüngste Streamingrekorde und rege Anteilnahme von Fans um Serien wie "Bridgerton" auf eine Sehnsucht vieler Menschen nach heiler Welt und Harmonie hin. Zum Verlustgefühl beitragen kann neben dem Abschied von Idolen noch etwas: Der Kontrast zwischen der erlebten Verbundenheit mit tausenden anderen Fans einerseits und den Krisen und der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft andererseits, sagt Sophie Einwächter, Medienwissenschaftlerin an Philipps-Universität Marburg.
"Nehmen wir Harry Styles und Taylor Swift und die von ihnen verkörperten Werte, so finden sich da viel Toleranz, Solidarität, demonstrative Selbstliebe", so die Medienwissenschaftlerin. "In Konsequenz heißt das auch, dass hier Massen an Menschen zusammenkommen, die sich auf diese Werte verständigen können, die sie gesellschaftlich anderswo selten als Grundstimmung in einem öffentlichen Raum finden." Das könne für kurze Zeit ein starkes Gefühl des geteilten Glücks verbreiten, was danach umso mehr vermisst wird, "weil es eben in unseren heutigen polarisierenden Zeiten leider keine soziale Alltagsrealität ist", so Einwächter.
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Schon vor dem Konzert auf das Gefühl danach vorbereiten
Irgendwann ist jedes Konzert zu Ende, jede Serie ausgeschaut. Was also tun, gegen die aufziehende Leere?
Es lohnt nachzuschauen: Wie gehen andere mit dem Gefühl der Traurigkeit um?
Isolation sollte vermieden werden: Verabreden Sie sich zum Beispiel gezielt nach dem Event mit Freund*innen - vielleicht ja sogar Mitfans - mit denen Sie das Erlebte Revue passieren lassen können.
Helfen kann nach dem Ende eines Konzerts oder einer Lieblingsserie, sich durch Videos oder Fotos noch einmal die Highlights ins Gedächtnis zu rufen und sich online an Fandiskussionen zu beteiligen. So muss der Abschied vom Erlebten nicht ganz so abrupt erfolgen.
Für den Blick nach vorn, überlegen Sie sich möglichst schon vor dem Event etwas Neues, das Vorfreude bringt: ein neues Konzert, eine Reise, ein Hobby, ein neues Buch. Vielleicht wartet beim Event ja neue Inspiration dafür, etwa durch die Vorband oder andere Fans?
Schlafen Sie sich nach der körperlichen Anstrengung nach Möglichkeit gut aus, trinken Sie genügend Flüssigkeit, gönnen Sie sich ein leckeres Gericht oder anderes, das Ihre Kraftreserven wieder aufbaut.
Es deute sich übrigens an, dass Traurigkeit nach einem Konzert oder sonstigen Event auch von der eigenen Lebenssituation abhänge, so Einwächter: "Gibt es andere Dinge, auf die ich mich freue? Oder ist etwa meine Schule oder das Studium gerade furchtbar zäh und generell wartet nur langweiliger Alltag auf mich?" Dann könne die Rückkehr ins eigene Leben schwerer fallen.
Dass man auf einem Konzert starke Emotionen erleben könne, sei erstmal ein gutes Zeichen und ein Geschenk, so Psychoanalytiker Tarek Hildebrandt. Wichtig sei nur, dass die positiven Gefühle im Alltag nicht ausschließlich auf den Star beschränkt blieben.
Karen Grass ist Redakteurin des ZDF-Magazins WISO.
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Quelle: ZDF
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