Bundes-Klinik-Atlas: Mehr Durchblick dank Krankenhausreform
Behandlungsqualität in Kliniken:Bundes-Klinik-Atlas soll Durchblick bringen
von Karen Grass
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Wenn eine geplante OP oder Behandlung ansteht, fragen sich viele: In welches Krankenhaus gehe ich dafür am besten? Ein neuer Online-Klinik-Atlas soll da jetzt Orientierung bieten.
Seit Mitte Mai soll der neue interaktive “Bundes-Klinik-Atlas" mehr Durchblick geben und die Frage beantworten: Welche Klinik ist für eine Behandlung die beste?27.05.2024 | 6:25 min
Welche Klinik macht welche Behandlung gut? Für Patientinnen und Patienten ist das oft eine Art Blackbox. Um das zu ändern, geht heute ein neues Onlinetool an den Start: der Bundes-Klinik-Atlas. Er ist Teil des Krankenhaustransparenzgesetzes und soll interaktiv zentrale Parameter über Kliniken und ihre Behandlungen anzeigen, etwa wie oft bestimmte Eingriffe stattfinden.
Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner rät, sich insbesondere an der Höhe der Fallzahlen und bestimmten Gütesiegeln oder Zertifikaten zu orientieren. Denn mehr Erfahrung bringe meist auch bessere Behandlungsqualität mit sich.
Wie oft macht ein Krankenhaus bestimmte Eingriffe?
Wie ist die Personalausstattung?
Gibt es Qualitätssiegel oder Zertifizierungen? Beispiele sind etwa Zertifikate der Deutschen Krebsgesellschaft für spezialisierte Brustzentren oder der Deutschen Schlaganfallgesellschaft für spezialisierte Schlaganfalleinheiten.
Wie hoch ist die Komplikationsrate? Hier raten Fachleute allerdings zur Vorsicht, da diese Zahl je nach Höhe der Fallzahlen auch mal statistische Ausreißer enthalten und deshalb im Einzelfall wenig aussagekräftig sein könne.
Einige Parameter, wie eine differenzierte Aufschlüsselung der Fallzahlen nach bestimmten Behandlungen, werden nicht gleich zum Start verfügbar sein, sondern erst nach und nach eingepflegt.
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Klinik-Atlas: Existierende Idee weitergeführt
Die Idee, solche Klinikdaten online bereitzustellen, ist nicht neu. Die "Weisse Liste" der Bertelsmann Stiftung gab etwa bis zuletzt einen Überblick über Arztpraxen, Kliniken und Pflegeheime. "Tatsächlich war die Weisse Liste aber in der breiten Bevölkerung zu wenig bekannt und konnte deshalb nicht wirklich die Patientenströme zur jeweils besten Behandlung lenken", sagt Wolfgang Greiner.
Im März wurde sie nun zugunsten des neuen Tools eingestellt. Ob der Bundes-Klinik-Atlas mehr Strahlkraft hat? Zumindest sei er ein erster richtiger Schritt, meint Greiner.
Kritik von Krankenhausgesellschaft
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die mit dem Deutschen Krankenhausverzeichnis ebenfalls ein Onlineportal betreibt, sieht das ganz anders. Es gebe bereits Transparenz, ihr Portal werde mit monatlich 500.000 Abrufen durchaus angenommen.
Er werde nicht gebraucht, weil er nichts verbessere und darüber hinaus neue Bürokratie für die Kliniken schaffe, so der DKG-Vorsitzende Gerald Gaß weiter.
Einige Parameter sagten zudem wenig über die Behandlungsqualität aus. "Patientinnen und Patienten sollten sich also jetzt nicht nur noch an dem Atlas orientieren, sondern das mit ihrem Arzt besprechen", sagt Gaß. Die niedergelassenen Praxen verwiesen in der Regel an spezialisierte Kliniken, das sei ein eingespieltes System.
In Deutschland gibt es aktuell rund 1.720 Krankenhäuser. Das sind deutlich weniger als in den 90er-Jahren, 1991 gab es noch 2.411 Kliniken.
Die Versorgungsdichte mit Krankenhausbetten ist hier im internationalen Vergleich gemessen an der Einwohnerzahl aber immer noch sehr hoch.
Die deutschen Kliniken versorgen im Jahr rund 16,8 Millionen Patientinnen und Patienten.
Das kostet jährlich bereinigt um Forschungs- und Ausbildungskosten rund 114 Milliarden Euro.
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Interview
Zusätzliche Informationsquelle
Sich allein auf den Atlas zu verlassen, dazu rät auch Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner nicht. Doch es sei gut, dass Patientinnen und Patienten eine zusätzliche Informationsquelle bekommen, denn: "Es werden weiterhin zu viele Behandlungen in Kliniken ohne die nötige Routine und Spezialisierung durchgeführt und das muss sich ändern."
Aus Patientensicht könne das nämlich schnell zum Risiko werden. "Es reicht nicht, einen Facharzt im Haus zu haben, die Personen müssen ihr Wissen auch regelmäßig anwenden, auf dem neuesten Stand bleiben", sagt Greiner. Und das schafften sie bei zu geringen Behandlungsfallzahlen womöglich nicht.
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Doch warum behandeln Kliniken überhaupt in Bereichen, in denen sie nicht gut aufgestellt sind? Ein Grund sind nach Meinung vieler Fachleute Anreize im Finanzierungssystem der Kliniken.
Die Finanzierung basiert auf einem dualen System: Die Bundesländer entscheiden über Klinikbauten, -erweiterungen oder -schließungen und sind deshalb dafür zuständig, Investitionen zu finanzieren.
Viele Bundesländer kommen dieser Pflicht allerdings nur ungenügend nach: 2021 hatten die Kliniken nach eigenen Angaben einen Investitionsbedarf von 6,7 Milliarden Euro, die Länder stellten aber nur 3,3 Milliarden Euro bereit.
Die Krankenkassen finanzieren den regulären Betrieb, also Behandlungskosten und Personalkosten. Die Behandlungskosten werden über 1.200 sogenannte Fallpauschalen vergütet: Kliniken bekommen also für jede Behandlung eine bestimmte Summe, ausschlaggebend sind die Fallzahlen.
Fallzahlen für Finanzierung ausschlaggebend
Es gibt in Deutschland viele kleine Kliniken und etliche davon haben Finanzprobleme.
Deshalb führten einige dann auch links und rechts Behandlungen durch, auf die sie eigentlich nicht spezialisiert seien, erklärt Wolfgang Greiner weiter. Teils kritisieren Fachleute auch eine gewisse Überversorgung: Es werde operiert und abgerechnet, obwohl für die betroffene Person womöglich intensive Physiotherapie sogar bessere Ergebnisse bringen würde.
"In einem Finanzierungssystem, das fast ausschließlich auf Fallzahlen basiert, lässt sich das an der ein oder anderen Stelle kaum vermeiden", sagt auch Gerald Gaß von der DKG. Allerdings erfolge eine OP meist erst nach einer individuellen Leidensgeschichte und nach einer Überweisung aus niedergelassenen Praxen und nicht auf aktives Betreiben der Kliniken. Um Fehlanreize zu vermeiden, plant das Bundesgesundheitsministerium eine Krankenhausreform.
Eckpunkte der geplanten Krankenhausreform
Der Bundes-Klinik-Atlas ist ein kleiner Baustein umfassender Reformen im Klinikbereich. Geplant ist außerdem, die Kliniken in bestimmte Gruppen einzuteilen, nicht mehr alle Kliniken sollen alle Behandlungen machen dürfen und einige könnten womöglich auch geschlossen werden.
Ziel ist ein Abbau von Doppelstrukturen, eine stärkere Spezialisierung und eine bessere finanzielle Ausstattung der Kliniken. Fallpauschalen sollen künftig nur noch 40 Prozent der Finanzierung im laufenden Betrieb ausmachen, 60 Prozent des Geldes sollen Kliniken für die Vorhaltung bestimmter medizinischer Angebote erhalten.
Allerdings löse das die Finanzprobleme und Fehlanreize im System nicht, so Fachleute wie Gerald Gaß und Wolfgang Greiner: Dafür müssten die Kosten der Kliniken für das Vorhalten ihres medizinischen Angebots unabhängig und abgekoppelt von den Fallzahlen vergütet werden.
Karen Grass ist Redakteurin des ZDF-Magazins "WISO".
Deutschland hat zu viele Kliniken, die das gleiche anbieten. Der Bundesgesundheitsminister will das ändern. Ein Bundesland ist Vorbild und dennoch kritisch gegenüber seinen Plänen.