Polio: Impfung, Symptome und Übertragung von Kinderlähmung
Polioviren im Abwasser:Kommt die Kinderlähmung zurück?
von Thomas Bleich
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Im Abwasser mehrerer deutscher Städte wurden Polioviren gefunden. Experten befürchten, dass Menschen hierzulande wieder an Polio erkranken könnten. Was man dazu wissen muss.
Gerade für ungeimpfte Kinder und Personen mit geschwächtem Immunsystem können Polioviren ein Risiko bedeuten. Versäumte Impfungen sollten sie schnell nachholen.18.12.2024 | 2:26 min
Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) sind potenziell krankmachende Polioviren in Abwasserproben in Deutschland gefunden worden. Es handelt sich um sogenannte vakzine-abgeleitete Polioviren (VDPVs), also Erreger, die aus lebenden Impfviren hervorgegangen sind.
Die Funde betreffen Abwasserproben aus Kläranlagen in Dresden, Düsseldorf und Mainz. Bereits zuvor waren Experten auf genetisch ähnliche Viren in Proben aus München, Bonn, Köln und Hamburg gestoßen.
Was über die gefunden Viren bekannt ist
Die gefundenen Viren können durch eine Veränderung (Mutation) aus den abgeschwächten, lebenden Polioviren der Schluckimpfung entstehen. Unter bestimmten Umständen können sie zwischen Menschen zirkulieren. Ungeimpfte oder nicht vollständig geimpfte Personen können in sehr seltenen Fällen an Poliomyelitis erkranken.
Die Poliomyelitis ist den meisten Menschen unter dem Begriff Kinderlähmung bekannt. Es handelt es sich um eine hochansteckende, durch Viren übertragene Infektionskrankheit, die vor allem Kinder unter fünf Jahren betrifft. Das hochansteckende Virus kann zu dauerhaften Lähmungen führen und auch Erwachsene infizieren, die nicht ausreichend immunisiert sind. Eine Behandlung gegen das Virus gibt es nicht.
Polioviren werden hauptsächlich über direkten Kontakt als Schmierinfektion (fäkal-oral) übertragen. In Ländern mit hohen Hygienestandards spielt vermutlich auch eine Übertragung durch Tröpfchen eine Rolle, da sich die Viren in der Regel zuerst im Rachen vermehren.
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Wie die Viren ins Abwasser gelangt sind
Die jetzt entdeckten Viren wurden vermutlich über Personen nach Deutschland gebracht, die im Ausland eine Schluckimpfung erhalten haben. Sie können die Impfviren bis zu sechs Wochen lang ausscheiden und weiterverbreiten. Prof. Dr. Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen, bestätigt die vermutliche Herkunft. Denn in Deutschland werde seit 1998 nur noch der inaktivierte Polio-Impfstoff eingesetzt.
Die Impfung habe dabei entweder noch in ihren ursprünglichen Herkunftsländern oder in Flüchtlingsunterkünften stattgefunden, konkretisiert der Mikrobiologe.
Schluckimpfungen mit abgeschwächten Lebendimpfstoff sind vor allem in Asien und Afrika noch weit verbreitet. Sie werden eingesetzt, wenn viele Menschen in schlechten hygienischen Verhältnissen schnell geschützt werden müssen. Auch im Gazastreifen wurde 2024 im Rahmen einer großen Kampagne mit dieser Methode geimpft.
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Warum die Lebendimpfung in Deutschland abgeschafft wurde
In Deutschland finden Schluckimpfungen gegen Polio seit 1998 nicht mehr statt. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hatte sie gestoppt, nachdem bekannt wurde, dass sie in seltenen Fällen Lähmungen hervorrufen können. Auch für ungeimpfte Kontaktpersonen besteht ein geringes Risiko, wenn sie sich über den Stuhl oder andere Ausscheidungen mit den Impfviren infizieren.
Die Impfung gegen Polio zählt in Deutschland zu den Standardimpfungen. Dafür wird ausschließlich ein Totimpfstoff aus inaktivierten Viren verwendet, der in den Muskel gespritzt wird. Die STIKO empfiehlt eine Grundimmunisierung von Säuglingen mit drei Dosen Totimpfstoff im Alter von zwei, vier und elf Monaten.
Dafür soll ein Sechsfach-Impfstoff verwendet werden, der neben Polio auch vor Tetanus, Diphtherie, Haemophilus influenzae Typ b, Keuchhusten und Hepatitis B schützt. Im Alter von neun bis sechzehn Jahren wird eine einmalige Auffrischimpfung empfohlen, damit der Polioschutz abgeschlossen ist. Erwachsene, die zu einem späteren Zeitpunkt grundimmunisiert wurden, sollten zehn Jahre nach Abschluss der Grundimmunisierung eine Auffrischimpfung erhalten.
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von Anja Braunwarth
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Impflücken machen Polioviren wieder gefährlich
Dem RKI zufolge gibt es in Deutschland wesentliche Impflücken bei Säuglingen, Kleinkindern und Vorschulkindern. Demnach besaßen im Alter von zwölf Monaten fast vier Fünftel aller Kinder noch keinen vollständigen Polioimpfschutz. Bis zum Alter von zwei Jahren seien bundesweit nur 77 Prozent der Kinder vollständig gegen Polio geimpft.
Laut Klaus Überla, Direktor des virologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen, haben sich die vom Schluckimpfstoff-abgeleiteten Polioviren gegenüber dem ursprünglichen Schluckimpfstoff verändert und können auch Kinderlähmung verursachen.
Der Experte rät Eltern dazu, umgehend den Polio-Impfstatus ihrer Kinder überprüfen zu lassen, um gegebenenfalls Impfungen nachzuholen. Kinder im Alter zwischen zwölf Monaten und acht Jahren sollten laut RKI mindestens dreimal gegen Poliomyelitis geimpft worden sein. Der Abstand zwischen der letzten und der vorletzten Impfung sollte dabei mindestens sechs Monate betragen. Dann könne eine dreimalige Impfung einen Schutz von fast 100 Prozent vor der Erkrankung bieten.
Dr. Thomas Bleich ist Arzt und Redakteur der ZDF-Sendung "Volle Kanne - Service täglich".
Standardimpfungen für Kleinkinder würden häufig zu spät wahrgenommen, warnen Experten. Viele hätten im entsprechenden Alter nicht den vollständigen Impfschutz.
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Quelle: ZDF
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