ME/CFS: Was das Erschöpfungssyndrom für Kinder bedeutet
ME/CFS bei Kindern:Mehr als erschöpft, nicht einfach nur müde
von Olaf Schwabe
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Immer wieder muss sich die 18-jährige Pia hinlegen. Ihre Erschöpfungszustände sind teils so schlimm, dass sie im Bett bleiben muss. Was ME/CFS für Kinder und Jugendliche bedeutet.
Hier erzählt Pia ihre Geschichte. Auf die Dreharbeiten hat sie sich gefreut. Sie will, dass ME/CFS insgesamt bekannter wird. Doch im Vorfeld war nicht klar, ob sie den Dreh durchhalten würde.12.05.2023 | 5:35 min
Wenn Kinder und Jugendliche durch leichte Alltagstätigkeiten wie Zähneputzen oder das Lesen einer Zeitschrift so stark erschöpft sind, dass sie sich hinlegen und ausruhen müssen, kann dahinter ein ernsthaftes Krankheitsbild stehen. Es verbirgt sich hinter der Abkürzung ME/CFS.
Experten nennen es Myalgische Enzephalomyelitis oder auch Chronisches Fatigue-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine schwere neuroimmunologische Systemerkrankung mit Erschöpfungszuständen, der so genannten Fatigue. Nach Schätzungen sind in Deutschland über 250.000 Menschen betroffen. Mindestens 40.000 davon sind Kinder und Jugendliche.
Was ist das Chronische Fatigue-Syndrom?
Pia leidet seit zweieinhalb Jahren am ME/CFS. Seit ihrem 15. Lebensjahr erlebt sie, wie ihre Erschöpfung sie immer mehr einschränkt. "Es ist ja so, dass alles anstrengend ist. Es ist nicht nur anstrengend, wenn man mit seinen Nerven am Ende ist oder traurige Emotionen oder negative Emotionen hat", erzählt Pia.
Für Pia ist es bereits anstrengend Freunde zu sehen, Besuch zu haben oder auch nur draußen zu sitzen, sagt sie.
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Eine Erkrankung, die oft übersehen wird
ME/CFS ist noch wenig erforscht und selbst vielen Ärzten unbekannt. Deswegen wird die neurologische Erkrankung in vielen Fällen erst spät oder gar nicht diagnostiziert.
Zum Teil werde die Erkrankung in den Bereich der psychischen Erkrankungen eingeordnet, was zu einer Falschversorgung führe und die Patienten dann überlaste, erklärt Uta Behrends, Leiterin des "MRI Chronische Fatigue Centrum für junge Menschen" (MCFC) am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.
Auch Pia musste immer wieder erleben, dass Ärzte kein Verständnis für ihre Symptome zeigten.
Zur Verdachtsdiagnose ME/CFS werden die "Kanadischen Konsensuskriterien" herangezogen. Dabei sollten fünf Hauptsymptome sowie zwei von drei Nebensymptomen vorliegen. Die Krankheitsdauer sollte bei Kindern mindestens bei drei Monaten und bei Erwachsenen bei sechs Monaten liegen.
Hauptsymptome:
Fatigue
Zustandsverschlechterung nach Belastung
Schlafstörungen
Schmerzen
Neurologische/kognitive Dysfunktion
Nebensymptome:
Autonome Dysfunktion
Neuroendokrine Dysfunktion
Immundysregulation
Quelle: Kanadische und ICC-Kriterien zur Diagnose von ME/CFS
Was hilft gegen Chronisches Fatigue-Syndrom?
Die Beschwerden bei ME/CFS sind vielfältig und von Patient zu Patient verschieden. Typisch ist, dass Ruhephasen oder Schlaf nicht zu einer Verbesserung der Erschöpfung führen. Viele Symptome treten auch bei anderen Erkrankungen wie Krebs oder Multipler Sklerose auf. Daher müssen sie im Rahmen einer Differentialdiagnostik ausgeschlossen werden.
Eine frühzeitige Diagnose der ME/CFS ist wichtig, da sie Klarheit schafft und Betroffenen ermöglicht, besser mit der Erkrankung umzugehen. Außerdem können bewährte Therapien in Anspruch genommen und Symptome so eher gelindert werden.
Leichter Schweregrad: Die Patienten haben ein um ca. 50 Prozent geringeres Aktivitätsniveau im Vergleich zu der Zeit vor der Erkrankung. Sie sind prinzipiell in der Lage, zu arbeiten oder zur Schule zu gehen. Dies ist aber nur möglich, wenn die Stundenzahl an ihre Erschöpfungszustände angepasst wird. Patienten mit leichtem Schweregrad machen ca. 25 Prozent aller Fälle aus.
Mittlerer Schweregrad: Die Patienten haben eine eingeschränkte Mobilität und können den Alltag nur eingeschränkt und nur mit Unterstützung bewältigen. Sie sind nicht mehr arbeits- oder schulfähig. Patienten mit moderatem Schweregrad machen ca. 50 Prozent aller Fälle aus.
Schwerer bis sehr schwerer Schweregrad: Die Patienten sind sehr eingeschränkt in der Lage, sich zu bewegen, selbstständig zu essen oder auf die Toilette zu gehen. Sie haben schwere und oft anhaltende Schmerzen und deutliche Beeinträchtigungen ihrer kognitiven Fähigkeiten. In diesem Stadium sind sie auf Pflege und Unterstützung angewiesen. Die betroffenen Patienten machen ca. 25 Prozent aller Fälle aus.
Eine weitere Eigenschaft ist die "Post-Exertional Malaise" (PEM). Hierbei kommt es zu einer Verschlechterung des Erschöpfungszustands nach Überschreiten der individuellen Belastungsgrenze.
"Auch bei Kindern und Jugendlichen gibt es sehr schwere Verläufe, tatsächlich auch solche, wo die Betroffenen bettlägerig sind", sagt Uta Behrends, Expertin für EM/CFS bei Kindern und Jugendlichen.
Es seien "ganz dringend Forschungsmittel" nötig, um "die Grundlagen dieser Erkrankung" im Detail zu erforschen, so Prof. Bernhard Schieffer, Klinikdirektor der Kardiologie am Universitätsklinikum Marburg.
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ME/CFS-Ursache wenig erforscht
Die genauen Ursachen sind noch wenig erforscht. Nach aktuellem Kenntnistand ist ME/CFS vermutlich auf eine Fehlregulation des Immunsystems zurückzuführen, bei der sich Antikörper gegen körpereigene Zellen richten.
Die Erkrankung tritt bei Kindern in 80 Prozent aller Fälle nach einer Infektion auf, allen voran nach dem Pfeifferschen Drüsenfieber. Ebenfalls möglich sind Infektionen mit SARS-CoV-2 , Enteroviren sowie Influenzaviren, aber auch bakterielle Infektionen.
"Prinzipiell können diese Immunreaktionen alle Teile des Körpers angreifen", erklärt Behrends. "Deswegen wäre es auch eben eine sehr gute Erklärung dafür, dass wir eine Multisystemerkrankung haben. Antikörper beispielsweise können an Gefäße oder an Nerven andocken und dann deren Funktion verändern."
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Wie "Pacing" bei ME/CFS helfen kann
Die Erschöpfungszustände können weder durch Schlaf, Erholungspausen oder Sport gebessert werden. Allerdings kann eine medikamentöse Behandlung zu einer Linderung einiger Symptome führen.
Zudem hat sich das "Pacing" bewährt. Bei diesem Verfahren versuchen die Patienten unter ihrer Belastungsgrenze zu bleiben, so dass es zu keiner Verschlechterung der Symptomatik kommt. Diese Technik kann erlernt werden und wird von Experten in den ME/CFS-Zentren vermittelt.
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Was es bedeutet, mit ME/CFS leben zu müssen
Die bisherige Erfahrung zeigt, dass ganz unterschiedliche Verläufe möglich sind. Sie reichen von einer totalen Pflegebedürftigkeit bis hin zu einer vollkommenen Genesung. Besonders Kinder haben dabei eine gute Prognose.
Pias Zustand wurde im Verlauf der Jahre immer schlimmer. Aber:
MRI Chronische Fatigue Centrum (MCFC) für junge Menschen Kinderpoliklinik (KIP) des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) im Klinikum München Schwabing Prof. Dr. Uta Behrends Mail: mcfc.kinderklinik@mri.tum.de
Charité Fatigue Centrum Charité - Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Immunologie z.Hd. Frau Silvia Thiel Mail: fatigue-centrum@charite.de