Natürliche Medikamente: Antibiotika und Co. aus der Natur
Biodiversität und Medikamente:Heilende Schätze der Natur in Gefahr
von Mark Hugo
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Natur kann heilen. Viele Wirkstoffe stecken bereits in Arzneien, weit mehr warten noch auf ihre Entdeckung. Oder sie gehen verloren - durch den Schwund der biologischen Vielfalt.
Weltweit werden Wirkstoffe von Tier-, Pilz- und Bakterienarten für die Medizin genutzt. Der Rückgang der Biodiversität gefährdet Herstellung und Entwicklung von Arzneimitteln.01.03.2024 | 3:24 min
Wer nimmt schon Notiz von einem Bakterium irgendwo im Boden von North Carolina? Niemand vermutlich, würde dieses Bakterium nicht etwas tun, das es für die Medizin hochinteressant macht: Es produziert eine Substanz, mit der es sich sehr effizient vor anderen Bakterien schützt. Und zwar so gut, dass Forschende - darunter Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Bonn - daraus ein neues Antibiotikum gewonnen haben: Clovibactin.
Mit Clovibactin gegen multiresistente Keime
Das steckt zwar noch in der Entwicklung, macht aber schon viel Hoffnung. Ein Riesen-Problem ist nämlich, dass Keime zunehmend resistent gegen Antibiotika werden und diese dann nicht mehr wirken. Aber:
Beim neuen Mittel beißen multiresistente Keime also wohl auf Granit.
Der Welttag des Artenschutzes - oder World Wildlife Day - wird jährlich am 3. März begangen. Das Datum erinnert an die Unterzeichnung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens CITES (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora) im Jahr 1973. Durch das Abkommen sollen bedrohte wildlebende Arten geschützt werden, die durch Handelsinteressen gefährdet sind. Im öffentlichen Fokus stehen zwar meist Tierarten, mit eingeschlossen sind aber auch Pflanzenarten.
Bis zu 70.000 Pflanzen mit Heilzwecken
Das Antibiotikum ist dabei nur ein Beispiel für Wirkstoffe, die in der Natur schlummern, in Pflanzen, Pilzen, Tieren oder eben Bakterien, und die in der Medizin genutzt werden können. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) schätzt, dass weltweit allein bis zu 70.000 Pflanzenarten zu Heilzwecken eingesetzt werden.
Obwohl in der Pharma-Forschung überwiegend mit synthetischen Substanzen gearbeitet wird, basieren nach Zahlen der Frankfurter Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung etwa die Hälfte aller in den letzten vier Jahrzehnten zugelassenen Medikamente auf natürlichen Substanzen oder haben diese zumindest als Vorbild.
Brachflächen, verlassene Hallen, alte Ruinen. Die Natur nutzt jede kleine Lücke zwischen Steinen und Beton – sofern der Mensch es zulässt. Es ist ein Kampf zweier mächtiger Gegner.17.04.2022 | 28:44 min
Welche Medizin auf Pflanzen basiert
Auch der allerdings schon viel früher entdeckte Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) gehört dazu. Er wird unter anderem in Aspirin verwendet und kommt ursprünglich aus der Rinde der Silberweide. Morphin wird bis heute aus Schlafmohn hergestellt. Etwas weniger bekannt ist das Chemotherapeutikum Paclitaxel, das aus der Pazifischen Eibe gewonnen wird. Oder das Malaria-Mittel Artemisinin, das in den Blättern und Blüten des Beifußes vorkommt.
Tiergifte - etwa von Schlangen, Schnecken oder Spinnen - werden schon länger erforscht und dienen nun auch zunehmend als Grundlage für medizinische Behandlungen.14.12.2023 | 2:33 min
Auch Tiere nutzen Natur als Arznei
Thorolf Müller und sein Team bereiten im Frankfurter Senckenberg-Museum gerade eine Dauerausstellung zum Thema vor, die Mitte April starten soll. Darin geht es unter anderem um Tiere, die sich selbst ihre Arzneien in der Natur suchen.
Der auf Madagaskar lebende Schwarzmaki etwa reibt sich mit dem Sekret eines Tausendfüßlers ein. Das hilft gegen Parasiten im Fell und hat ganz nebenbei eine berauschende Wirkung. Es geht aber auch zum Beispiel um Gifte von Schlangen oder Spinnen, die in abgeschwächter Form gegen Tumore oder Viren helfen könnten.
In vielen Bereichen, etwa in der Tiefsee oder in tropischen Zonen, werde allerdings noch viel zu wenig geforscht, kritisierten Wissenschaftler der Senckenberg-Gesellschaft zuletzt in der Fachzeitschrift "Lancet Planet Heath". Bei nur 15 Prozent der etwa 374.000 bekannten pflanzlichen Spezies sei bisher die chemische Zusammensetzung untersucht worden.
Bakterien sind einfache Lebewesen, klein und nur unter dem Mikroskop sichtbar - aber sehr mächtig in ihrer Wirkung. Vor allem: Ohne sie wäre das Leben auf der Erde nicht denkbar.07.10.2021 | 57:25 min
Noch viele unentdeckte Schätze für die Medizin in der Natur
Nur sechs Prozent seien pharmakologisch, also auf ihre Wirkstoffe hin, analysiert worden. Es gebe eine "Kluft zwischen dem traditionellen Wissen über medizinische Biodiversität und der evidenz-basierten Integration dieses Wissens in das modere Gesundheitswesen."
Anders formuliert: Es gibt noch eine große Menge unentdeckter Schätze in der Natur. Und die könnten verloren gehen, denn die biologische Vielfalt ist enorm unter Druck. "Es verschwinden heute schon Arten, die wir nicht mal kennengelernt haben, geschweige denn die Substanzen in diesen Arten", sagt Thorolf Müller. "Der Artenverlust wird auch in diesem Bereich für Probleme sorgen."
Potential in Natur für Antibiotika besonders hoch
Das gelte gerade mit Blick auf Antibiotika, erklärt Tanja Schneider. Für sie sei das Potenzial in der Natur besonders hoch.
Der Grund: Um sich in ihrem Lebensraum zu behaupten, haben Bakterien in der Evolution besonders effiziente Abwehrsubstanzen entwickelt. "Man kann sagen, die Produktion von Antibiotika durch Bakterien ist bakterielle Kriegsführung."
Millionen Menschen in Deutschland sind krank – und in der aktuellen Welle von Infekten werden auch wieder Antibiotika knapp, vor allem bei Kindern. 12.12.2023 | 8:19 min
Eine, von der die Medizin profitieren kann. Das Bodenbakterium, das Clovibactin bildet, ist eigentlich schon länger bekannt, aber erst jetzt konnte es dank neuer Technik im Labor kultiviert und damit für die Forschung verwendet werden. Für fast alle anderen bekannten Bakterien gilt das noch nicht. Und schon gar nicht für all die, die noch gar nicht entdeckt wurden.
Mit Biodiversität (auch biologische Vielfalt) ist die Vielfalt aller lebenden Organismen, Lebensräume und Ökosysteme gemeint. Auch wenn Artenvielfalt fälschlicherweise manchmal als Synonym verwendet wird, beschreibt der Begriff nur einen Teil der Biodiversität. Auch die Vielfalt innerhalb einzelner Arten und etwa die Vielfalt von Biotopen und Ökosysteme gehören dazu. Forschende - und auch der WWF - weisen immer wieder darauf hin, dass der Blick auf den Artenschutz allein nicht ausreicht. Noch wichtiger sei es, das Funktionieren zusammenhängender Systeme zu erhalten.
Mark Hugo ist Redakteur der ZDF-Fachredaktion Umwelt.