Als Simulant abgestempelt:Wenn man Deine Krankheit nicht sieht
von Andrea Schuler
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Was nicht sichtbar ist, wird schnell angezweifelt. Eine junge Frau mit chronischer Erkrankung berichtet, wie belastend es ist, als Simulantin abgestempelt zu werden.
Alicia hat eine nicht sichtbare Bindegewebserkrankung. Andere Menschen halten sie oft für eine Simulantin.21.04.2023 | 5:02 min
Alicia hat das hypermobile Ehlers-Danlos-Syndrom (hEDS), eine angeborene, seltene Bindegewebserkrankung. Auf ihrem Instagram-Kanal sieht man Fotos einer lebenslustigen, jungen Frau. Was man nicht sieht: Sie ist schwer krank.
Mir wird sehr häufig unterstellt, dass ich lüge oder simuliere, was mir weh tut, weil es mir das Gefühl gibt, dass die Art und Weise, wie ich mich verhalte, falsch ist und ich meine Erkrankung irgendwem beweisen müsste.
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Alicia, leidet an einer unsichbaren Krankheit
Alicia lebt von klein auf mit starken Schmerzen
Die Auswirkungen des Syndroms sind vielfältig. Alicias Bänder und Sehnen überdehnen sich schnell, immer wieder renkt sie sich die Schulter, die Kniescheibe oder andere Gelenke aus. Begleiterkrankungen sind chronische Gastritis, Endometriose sowie Kreislaufprobleme.
Seit ihrer Kindheit lebt sie mit starken Schmerzen und Fatigue, also immer wiederkehrenden Erschöpfungszuständen, die mehre Tage dauern können.
Schon ein überraschender Telefonanruf kann ihn überfordern. Denn ungeplante Ereignisse in seinem Alltag werfen ihn aus der Bahn. Andreas erzählt, was es bedeutet, Autist zu sein.
von Andreas Croonenbroeck und Nora Mahmoud
Alicia hat um Schwerbehindertenstatus lange kämpfen müssen
Ihre Diagnosen sind in zahlreichen Facharztbriefen dokumentiert und ihr Syndrom durch eine humangenetische Diagnostik bestätigt. Trotzdem wurden ihre Anträge auf Unterstützung zuerst abgelehnt.
Den Schwerbehindertenstatus musste sie sich mit Hilfe eines Anwalts erkämpfen. Für die Anerkennung des Pflegegrades 2 waren mehrere Beschwerden beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung nötig.
Der Schwerbehindertenausweis ist ein bundesweit einheitlicher Nachweis über den Status als schwerbehinderter Mensch. Mit ihm können sich Betroffene gegenüber Arbeitgebern, Sozialleistungsträgern, Behörden und anderen Institutionen als schwerbehindert ausweisen. Dies ist notwendig, um per Gesetz festgelegte Nachteilsausgleiche und Rechte in Anspruch nehmen zu können, zum Beispiel Steuererleichterungen oder Ermäßigungen im öffentlichen Nahverkehr und vieles mehr.
Die Rechtsgrundlage dafür ist der § 152 "Feststellung der Behinderung, Ausweise“ im SGB IX (Neuntes Sozialgesetzbuch).
Der Grad der Behinderung (GdB) wird dabei in Prozent dokumentiert. Dafür muss zunächst ein Antrag auf Feststellung des GdB gestellt werden.
Der Antrag wird beim jeweilig zuständigen Versorgungsamt gestellt. Neben persönlichen Daten werden Angaben zu der Behinderung, Erkrankungen und Einschränkungen sowie zu behandelnden Ärzten, Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalten abgefragt. Das Versorgungsamt beauftragt einen Gutachter, der die eingereichten medizinischen Unterlagen nach den Maßgaben der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) auswertet und den GdB festlegt.
Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis haben nur Menschen mit einem GdB von 50 und mehr Prozent. Personen, die unter 50 Prozent GdB eingestuft werden, gelten somit nicht als schwerbehindert, auch wenn eine Einschränkung festgestellt wird. Auch sie können Nachteilsausgleiche beantragen, aber in geringerem Umfang als Personen mit Schwerbehindertenausweis.
Der Schwerbehindertenausweis wird in der Regel längstens für fünf Jahre ausgestellt. Eine unbefristete Ausstellung ist nur in Ausnahmefällen möglich: wenn beim Inhaber eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse und damit eine Änderung des GdB nicht zu erwarten ist.
Weitere Informationen zum Schwerbehindertenausweis gibt es bei Seh-Netz e.V.
Die 31-jährige Berlinerin ist kein Einzelfall. Viele Betroffene, zum Beispiel mit Diabetes, Epilepsie, Multiple Sklerose oder im Autismus-Spektrum, erleben Diskriminierung, so Carolin Tillmann von der Philipps-Universität in Marburg.
Die Diplom-Pädagogin erforscht unter anderem die Folgen chronischer Erkrankungen mit Schwerpunkt auf Symptomen, die für Außenstehende nicht sofort wahrnehmbar sind.
Mir ist aufgefallen, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen von unsichtbarer Beeinträchtigung kaum Raum in Forschung, Lehre und öffentlichen Debatten haben.
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Dr. Carolin Tillmann, Wissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg
In einer umfangreichen Studie hat Tillmann die Erfahrungen der Betroffenen erfragt und die Antworten wissenschaftlich ausgewertet.
Die Wissenschaftlerin befragte im Jahr 2016 in ihrer Studie insgesamt 839 Betroffene mit Lupus Erythematodes und führte acht umfangreiche Interviews mit Leitern und Leiterinnen von Selbsthilfegruppen. Sie wählte diese Krankheit, weil sie sowohl sichtbare als auch nicht sichtbare Symptome erzeugt. Deshalb eignet sie sich gut, um zu vergleichen, welche Auswirkungen im sozialen Miteinander durch die Sicht- oder eben die Unsichtbarkeit von Symptomen entstehen. Zudem ist es typisch für Lupus E. andere Erkrankungen "zu simulieren". Das heißt, es gibt zahlreiche Überschneidungen mit anderen Krankheitsbildern, wie zum Beispiel Chronisches Fatigue-Syndrom, Sjögren-Syndrom oder Multiple Sklerose. Somit sind die Ergebnisse auch aussagekräftig für andere Erkrankungen und gelten nicht nur spezifisch für Lupus E.
Die Ergebnisse der Studie bestätigen Alicias Erfahrungen: Von den 18 abgefragten Symptomen führten vor allem die nicht sichtbaren wie Müdigkeit (60 Prozent), Erschöpfung (58 Prozent) oder Schmerzen (49 Prozent) zu Konflikten im Umgang mit Anderen. 52 Prozent der Befragten wurde aufgrund nicht sichtbarer Symptomatiken unterstellt, sie seien 'faul'. 46 Prozent wurde unterstellt, sie 'simulierten' ihre Beschwerden.
Gerade bei einer unsichtbaren Beeinträchtigung greifen die beiden Kategorisierungen 'faul' und/oder 'simulant' sehr schnell.
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Dr. Carolin Tillmann, Wissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg
Unsichtbar in der Inklusions-Debatte
Barrierefreiheit wird meist nur mit Rampen, Gebärdensprachdolmetschen und Leichter Sprache verbunden. Menschen mit unsichtbaren Symptomen werden in den Debatten um Teilhabe und Inklusion schlicht übersehen, so ein weiteres Ergebnis der Studie.
Das hat Alicia schon während ihrer Schulzeit erlebt. Oft war sie zu erschöpft, um am Unterricht teilzunehmen. Mehrere Anträge auf Homeschooling wurden abgelehnt. Trotz überdurchschnittlich guter Zensuren musste sie das Gymnasium aufgrund vieler Fehlzeiten verlassen und kam in eine Förderschule.
Statt in ihrem Traumberuf landete sie in der Grundsicherung. Sie erkämpfte sich einen Ausbildungsplatz zur Kauffrau für Büromanagement, fand aber trotz mehrerer Anläufe keinen Arbeitsplatz, der zu ihren Bedürfnissen passte. Nach mehreren Operationen verschlechterte sich zudem ihr Gesundheitszustand. Seit 2021 ist sie in unbefristeter Erwerbsminderungsrente.
Zum einen war ich erleichtert, weil mir endlich geglaubt wurde. Andrerseits dachte ich, ich bin gerade mal Anfang 30, ich will keine Rentnerin sein! Was passiert hier gerade und warum?
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Alicia, leidet an einer unsichbaren Krankheit
Mit ihrem Instagram-Kanal alicias.alltag hat Alicia eine erfüllende Aufgabe gefunden: Sie berichtet regelmäßig aus ihrem Leben als junge Frau mit nicht sichtbarer Behinderung und macht Betroffenen Mut, für ihre Rechte zu kämpfen.
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