Individuelle Gesundheitsleistungen stehen in der Kritik

    Umstrittene IGeL-Leistungen:Individuelle Gesundheitsleistungen abwägen

    von Karen Grass
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    IGeL-Leistungen werden stark genutzt, aber auch kritisiert: Sie seien teuer, oft unnötig, teils sogar schädlich. Wie Sie den Durchblick behalten - und welche Regeln helfen könnten.

    Ein Mediziner untersucht eine Frau mit einem Ultraschall-Gerät.
    Individuelle Gesundheitsleistungen, kurz IGeL, stehen in Verruf, unnötige oder gar schädliche Untersuchungen zu sein. Einige Experten fordern sogar ein Verbot der Selbstzahlerleistungen.
    Quelle: dpa

    IGeL verbieten - das forderte jüngst der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Stefan Schwartze für einige Selbstzahlerleistungen, auch bekannt als Individuelle Gesundheitsleistungen, kurz IGeL. Wenn IGeL keinen erwiesenen Nutzen hätten, ja sogar schaden könnten, sollten sie nicht angeboten werden dürfen, so Schwartze weiter.
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    Konkret geht es um Beispiele wie die Ultraschalluntersuchung der Eierstöcke. Die ermöglicht bei Symptomen oder einem Krebsverdacht eine effiziente Abklärung und wird dann von den Krankenkassen übernommen. Als reine Krebsfrüherkennung ohne konkrete Anhaltspunkte ist die Untersuchung allerdings eine IGeL. "Die gleiche Methode kann zur Früherkennung einer Krankheit nämlich ungeeignet sein", erklärt Andrea Lichterfeld-Kottner, Leiterin für evidenzbasierte Medizin beim Medizinischen Dienst Bund.

    Es macht einen Unterschied, ob man ein konkretes Symptom untersucht oder völlig anlasslos eine Untersuchung durchführt.

    Dr. Andrea Lichterfeld-Kottner, Leiterin für evidenzbasierte Medizin beim Medizinischen Dienst Bund

    Hintergrundinformationen zu IGeL





    Untersuchung verbessert Überlebenschancen nicht

    Tatsächlich bringt die IGeL "Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung" laut Studien keine verbesserte Überlebenschance. "Stattdessen gibt es bei solch anlasslosen Screenings nicht selten falsch positive Befunde und damit unnötige psychische Belastung und Folgeuntersuchungen", sagt Michaela Schröder, Bereichsleiterin für Verbraucherpolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Schröder meint: Mit IGeL wie dieser würde teilweise Kasse gemacht und das nicht immer zum gesundheitlichen Wohl der Patientinnen und Patienten.
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    Berufsverband verteidigt IGeL

    Klaus Doubek, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, betont hingegen auf Anfrage, der Berufsstand habe sich selbst verpflichtet, nur medizinisch empfehlenswerte oder zumindest vertretbare Leistungen anzubieten. Es werde in den Praxen auch kein Ultraschall nur der Eierstöcke vorgenommen, sondern immer ein Ultraschall des gesamten kleinen Beckens: "Das umfasst mehrere Organstrukturen wie Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke, Harnblase und den Binnenraum im kleinen Becken der Frau." Weiter heißt es vom Verband, dabei werde bei "knapp 1.000 Frauen in 10 Prozent der Fälle ein auffälliger Befund erhoben." Die Untersuchung sei deshalb eine sinnvolle Ergänzung.

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    Nehmen Sie sich für die Entscheidung Zeit

    Wie sollen Patientinnen und Patienten da durchblicken? "Das Wichtigste ist, sich aus der Überrumpelung herauszuziehen", sagt Michaela Schröder. Ihr Tipp: Sich mit der Entscheidung Zeit lassen und zusätzliche Informationen einholen. Helfen kann dabei der sogenannte IGeL-Monitor.

    • Der IGeL Monitor, ein Angebot des Medizinischen Diensts Bund, getragen von den Krankenkassen, stuft häufig genutzte IGeL in Kategorien wie "positiv", "tendenziell positiv", "tendenziell negativ" oder "negativ" ein.
    • Das Portal listet dafür wissenschaftliche Evidenz zu Nutzen und eventuellen Nachteilen der IGeL auf.
    • Bei unklarer Studienlage wird eine IGeL in der Regel mit "unklar" bewertet.
    • Bei Vorsorgeuntersuchungen kann eine unklare Studienlage teils auch zum Urteil "tendenziell negativ" führen. Die Begründung: Mögliche negative Effekte wie falsch positive Befunde, falsche Sicherheit durch falsch negative Befunde oder Überdiagnosen, die zu unnötigen Folgeuntersuchungen führen.

    Zusätzlich brauche es aber auch gesetzliche Regulierung, so Michaela Schröder weiter. "Beunruhigend finden wir aktuell die Tendenz, dass man auf Online-Portalen teils schneller einen Termin bekommt, wenn man die IGeL anstelle der Kassenleistung auswählt", sagt Schröder. Auch gebe es immer wieder Patienten-Beschwerden, dass eine Behandlung an die Wahl einer IGeL gekoppelt werde, selbst wenn eine wirksame Kassenleistung verfügbar wäre.
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    VZBV fordert unabhängige Information

    Schröder fordert deshalb zwar kein generelles Verbot bestimmter IGeL, aber strengere gesetzliche Informationspflichten: "Damit Patientinnen und Patienten eine bewusste Entscheidung treffen können." Konkret schwebt ihr ein verpflichtender standardisierter Bogen zu jeder IGeL vor, der vom unabhängigen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) erstellt werden und über Wirksamkeit und Kosten aufklären sollte. Denkbar wäre, dass Patientinnen und Patienten diesen unterschreiben müssen, bevor die Behandlung startet.

    • Fordern Sie in Ihrer Arztpraxis aktiv Aufklärung über Kosten, Nutzen, Risiken und Alternativen zu einer IGeL - diese steht Ihnen gesetzlich zu.
    • Wenn es nicht dringend ist: Recherchieren Sie nach dem Arztgespräch und vor der Behandlung erstmal zu Hause zur betreffenden IGeL, lesen Sie etwa den Steckbrief im IGeL-Monitor.
    • Ist Ihre Behandlung nicht im IGeL-Monitor gelistet, fragen Sie dort nach - eventuell heißt die Leistung nur anders, oder das Team nimmt Ihre Anfrage als Anstoß für eine neue Recherche.
    • Fragen Sie bei Ihrer Krankenkasse nach Informationen zur betreffenden IGeL. Teils gibt es gute Alternativen zur Selbstzahlerleistung.

    Karen Grass ist Redakteurin des ZDF-Magazins WISO.

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