IGel statt Kassenleistung: Wenn Patienten unnötig zahlen
Individuelle Gesundheitsleistung:Wenn Patienten beim Arzt unnötig zahlen
von Karen Grass
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Laserbehandlung, Stoßwellentherapie, Ultraschall: Der Arztbesuch kann heutzutage eine teure Angelegenheit werden. Verbraucherschützer beleuchten, ob immer zu Recht abkassiert wird.
Immer häufiger werden Patienten für eine Untersuchung zur Kasse gebeten, obwohl diese Leistung der gesetzlichen Krankenkasse ist.
Quelle: ClipDealer
In der Arztpraxis für Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) selbst zahlen - für viele Patientinnen und Patienten heute ganz normal. Doch wird man da auch unnötig zur Kasse gebeten - für Leistungen, die eigentlich die Krankenversicherung trägt? Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) wollte das genauer wissen und hat einen Verbraucheraufruf gestartet.
In rund 300 Fällen schildern Patientinnen und Patienten, wann sie nach ihrem Eindruck unnötig für medizinische Leistungen zahlen sollten.
Die meisten Meldungen beziehen sich auf die Dermatologie, Augenheilkunde und Orthopädie.
Etwa 20 Prozent der Befragten gaben an, vor der Behandlung nicht über die Kosten informiert worden zu sein.
Der Verbraucheraufruf ist weiter online. Auch Sie können sich melden und zur weiteren Auswertung beitragen.
Quelle: Verbraucherzentrale Bundesverband, "Beim Arztbesuch unnötig zur Kasse gebeten?"
Für Untersuchung zahlen trotz Krankheitsverdacht
Bei manchen medizinischen Leistungen kommt es für die Kostenübernahme darauf an, ob eine Indikation vorliegt. So ist eine Ultraschalluntersuchung der Brust ohne konkreten Verdacht meist eine IGeL. Bei Verdacht auf eine bösartige Veränderung, etwa nach einem Tastbefund, kann sie hingegen eine Kassenleistung sein. Doch in der Praxis klappt das nicht immer: Befragte gaben an, dass sie trotz eines konkreten Verdachts zahlen sollten.
Je früher Brustkrebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Gibt es bei der Tastuntersuchung oder bei der Mammographie einen auffälligen Befund, wird dieser oft mit einem Ultraschall abgeklärt.11.10.2023 | 5:28 min
Vor allem Hautarztpraxen im Fokus
Besonders viele Meldungen kamen zum Hautkrebsscreening. Ab dem 35. Lebensjahr wird das alle zwei Jahre durch die Krankenkassen übernommen. Doch eine Verbraucherin berichtete: "Der Hautarzt meinte, aufgrund meiner vielen Leberflecke müsste ich extra zahlen (...). Ich hab mich geweigert. Daraufhin hat der Arzt meine Leberflecke nur gezählt. Nicht einen einzigen hat er sich genauer angeschaut."
Andere schildern, sie hätten für die Nutzung eines Auflichtmikroskops zahlen sollen - dabei ist das seit 2020 Teil der gesetzlichen Hautkrebsfrüherkennung. Einige berichteten, dass in ihrer Nähe gar keine Hautarztpraxen das gesetzliche Hautkrebsscreening ohne Selbstzahlerleistung anbieten.
Weißer Hautkrebs ist im Gegensatz zum schwarzen Hautkrebs weniger aggressiv.
Trotzdem kann er schwere Folgen haben. Wichtig ist, dass auch er früh erkannt wird.02.09.2024 | 5:05 min
Kassenleistungen lohnen sich laut Praxen teils nicht
Warum aber kassieren Arztpraxen etwas privat ab, das sie über die Kassen abrechnen könnten? Uwe Schwichtenberg, Dermatologe und Pressereferent des Bundesverbands Deutscher Dermatologen (BVDD), sagt, dass ein Auflichtmikroskop als IGeL verkauft werde, sei nicht in Ordnung, aber sicher ein absoluter Einzelfall. Wahrscheinlicher sei, dass Patientinnen und Patienten die verwendeten Instrumente durcheinanderbringen und dann irritiert seien. Dass Praxen das gesetzliche Hautkrebsscreening teils nicht mehr anbieten, liege an einer unzureichenden Vergütung durch die Krankenkassen.
Die Kassenleistung dann nicht anzubieten und auf besser vergütete IGeL auszuweichen, sei rational und legitim. Insgesamt müsse die ärztliche Versorgung besser bezahlt werden, da sie akut gefährdet sei, so Schwichtenberg.
Auf Nachfrage der Patientinnen und Patienten, warum sie zahlen sollen, wurden in Arztpraxen unter anderem folgende Gründe genannt:
Es fehle eine zertifizierte Fortbildung, die Voraussetzung für die Abrechnung der Leistung mit der Kasse ist. Laut Dermatologenverband ist zum Beispiel die Fortbildung für das Hautkrebsscreening teuer und wenig anwendungsorientiert. Wenn so Aufwand und Ertrag nicht in einem vernünftigen Verhältnis stünden, scheuten viele Praxen die Kosten.
Für die Leistung werde von der Krankenkasse aus Sicht der Praxen zu wenig bezahlt, IGeL lohne sich mehr.
Die gesetzlich übernommene Leistung sei qualitativ schlechter oder weniger effizient als die angebotene IGeL.
Quelle: Verbraucherzentrale Bundesverband, "Beim Arztbesuch unnötig zur Kasse gebeten?"
IGeL-Leistungen werden stark genutzt, aber auch kritisiert: Sie seien teuer, oft unnötig, teils sogar schädlich. Wie Sie den Durchblick behalten - und welche Regeln helfen könnten.
von Karen Grass
mit Video
So kann man sich vor unnötigen Kosten schützen
Aber was können Patientinnen und Patienten tun, um nicht unnötig zu zahlen? "Bevor Sie einen Behandlungsvertrag unterschreiben, sollten Sie die Infounterlagen mit nach Hause nehmen und selbst recherchieren", sagt Michaela Schröder vom VZBV. Hilfreich ist, sich folgende Frage zu stellen: Welche Ansprüche habe ich, gibt es für meinen Bedarf auch eine gesetzliche Leistung?
Falls ja, sollte man die Praxis darauf ansprechen. "Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben uns gemeldet, dass sie die Leistung so dann in der Regel bekommen haben", sagt Schröder. Trotzdem gebe es politischen Handlungsbedarf, denn nicht jeder sei informiert oder traue sich eine Diskussion zu, so die Verbraucherschützerin.
Der VZBV fordert: Vertragsärzte sollten Kassenleistungen auch als solche anbieten und notwendige Voraussetzungen zur Abrechnung mit den Krankenkassen verpflichtend erfüllen müssen.
Allerdings: IGeL können individuell auch mal sinnvoll sein und Betroffenen helfen. Im Konkurrenzkampf um Versicherte erstatten manche Krankenkassen auch Teile dieser Kosten. Grundsätzlich sollte man bei der Wahl der Krankenkasse darauf achten, welche Zusatzleistungen mit abgedeckt sind - und ob die zu den eigenen Bedürfnissen passen.
Karen Grass ist Redakteurin des ZDF-Magazins WISO.
Kassenpatienten warten im Schnitt doppelt so lange auf einen Termin beim Facharzt wie Privatpatienten. Solche Wartezeiten soll man verkürzen können. Welche Möglichkeiten es gibt.
von Thomas Förster
mit Video
Quelle: ZDF
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