Hoffnung auf Heilung?:Wo steht die HIV-Forschung heute
von Maurice Göbel
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HIV lässt sich mittlerweile gut behandeln. Auch an einer Heilung wird weiter intensiv geforscht. Welche Ansätze Experten verfolgen und wie sie die Chance auf Erfolg einschätzen.
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Was bedeutet eine HIV-Infektion heute?
Dank jahrzehntelanger Forschung und wirksamen Therapien bedeutet eine HIV-Infektion nicht mehr, dass die lebensbedrohliche Immunschwächekrankheit Aids ausbrechen muss. Im Gegenteil: Heute ist ein weitgehend normales und langes Leben mit HIV möglich, sagt Hendrik Streeck, Immunologe und HIV-Experte am Universitätsklinikum Bonn:
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Standardmäßig kommt heute eine Kombinationstherapie zum Einsatz, bei der Patienten eine Tablette pro Tag mit mehreren Wirkstoffen einnehmen. Die meisten HIV-positiven Menschen in Behandlung sind dadurch symptomfrei. Untersucht man ihr Blut, findet man nur noch wenige Viruspartikel. Das HI-Virus liegt damit "unter der Nachweisgrenze" vieler herkömmlicher Tests und kann nicht mehr übertragen werden.
1996 wurde auf der 11. Internationalen Aids-Konferenz im kanadischen Vancouver ein Behandlungsansatz vorgestellt, der die Behandlung von HIV revolutionierte: die Kombinationstherapie. Mit ihr gelang es, viele HIV-positive Menschen vor dem Ausbruch des Krankheitsbildes Aids zu schützen sowie bereits einigen schwerkranken Menschen zu helfen. Der Spiegel titelte 1997: "Das Aids-Wunder".
Durch die Kombination verschiedener Wirkstoffe wird das Virus an unterschiedlichen Stellen seines Vermehrungszyklus behindert (hochaktive antiretrovirale Therapie). So setzt etwa ein Teil der Medikamente bei der Umwandlung von RNA in DNA an und verhindert den Einbau der Virus-RNA in das Genom der Zelle (Reverse-Transkriptase-Inhibitoren). Andere Wirkstoffe sollen schon den Zugang des Virus in die Zellen erschweren (Entry-Inhibitoren).
Die ersten Generationen der Kombinationstherapien setzten noch auf eine Vielzahl von Tabletten, Patienten litten allerdings unter teils starken Nebenwirkungen. Inzwischen hat sich die Anzahl für die meisten HIV-positiven Menschen auf eine Tablette pro Tag ohne nennenswerte Nebenwirkungen reduziert.
Warum ist HIV so schwer zu heilen?
Trotz großer Erfolge der HIV-Forschung sowie wirksamer und gut verträglicher Medikamente, bleibt HIV bisher nicht heilbar. Patienten müssen ein Leben lang Medikamente (antiretrovirale Therapie) einnehmen, um das Virus in Schach und unter der Nachweisgrenze zu halten. Denn das HI-Virus macht es dem Körper gleich auf mehrere Arten schwer, die Infektion zu bekämpfen.
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Dieser Prozess, Reverse Transkription genannt, erschwere es dem Immunsystem, das Virus anzugreifen. Außerdem entstünden beim Kopieren und Einbauen der RNA oft Fehler, was Mutationen zur Folge habe, die das Immunsystem weiter herausfordern würden, erklärt Streeck weiter.
Heute kann eine Virusvermehrung durch Medikamente zwar erfolgreich unterdrückt werden, das Virus bleibt aber in einigen langlebigen Immunzellen zurück. Setzt man die Therapie wieder ab, steigt auch die Viruszahl wieder.
Obwohl HIV nach wie vor eine unheilbare Krankheit ist, gibt es derzeit sechs Menschen, die als "geheilt" gelten. In allen bekannten Fällen einer "Heilung" von HIV litten die Betroffenen an einer bösartigen Bluterkrankung. Dafür erhielten sie eine Stammzelltransplantation von Spendern, um ein neues und funktionierendes Immunsystem aufzubauen. Ihr eigenes Immunsystem wurde praktisch ausgetauscht.
Bei fünf der sechs "geheilten" Menschen wurden Spender mit einer speziellen Genmutation (CCR5-Delta32) ausgewählt, die sie immun gegen den Hauptstamm des HI-Virus macht. Auch das neue Immunsystem der bislang HIV-positiven Empfänger wurde in Folge der Transplantation immun und konnte das Virus zurückdrängen. Sie kommen heute sogar ohne eine antiretrovirale Therapie aus.
Es handele sich dabei jedoch nicht um einen allgemeinen Ansatz zur Heilung von HIV, erklärt Björn Jensen, Infektiologe am Uniklinikum Düsseldorf, der an der Heilung eines HIV-Patienten beteiligt war. "Dafür ist dieser Ansatz viel zu riskant. Außerdem wären für viele Patienten keine geeigneten Spender verfügbar. Eine Heilung von HIV auf diesem Wege kann immer nur ein Bonus im Rahmen einer notwendigen Therapie bei bestimmten Formen von Blut- und Lymphknotenkrebs sein", so der Experte.
Marc Franke ist einer von weltweit nur fünf Menschen, die als geheilt von HIV gelten. Der "Düsseldorfer Patient" erzählt seine Geschichte und wie es zu dem Behandlungserfolg kam.
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Welche Ansätze verfolgt die Forschung?
Um HIV langfristig zu heilen, werden weltweit verschiedene Ansätze erforscht und in Teilen bereits erprobt. Dazu zählen:
monoklonale Antikörper, die das HI-Virus gezielt angreifen sollen
die Aktivierung bzw. Sichtbarmachung bislang inaktiver und versteckter HI-Viren für Medikamente und das Immunsystem (Kick-and-Kill-Ansatz)
therapeutische Impfstoffe, die eine Immunantwort auf das Virus verstärken sollen
Allgemein gilt, dass die Erforschung von Heilungsansätzen gegen HIV häufig durch rechtliche und ethische Bedenken eingeschränkt ist. So stellen etwa Veränderungen am menschlichen Genom wie bei Genscheren üblich hohe Anforderungen an den erwarteten medizinischen Nutzen der Behandlung. Da HIV heute gut behandelt werden kann, liegt die Messlatte für neue Heilungsverfahren enorm hoch.
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Wann könnte HIV heilbar sein?
Dass HIV irgendwann heilbar sein wird, liegt noch in weiter Ferne. Virologe Streeck ist trotzdem optimistisch: "Ich glaube, dass die Wissenschaft irgendwann eine Heilung gegen HIV finden wird. Besonders da die HIV-Forschung immer wieder durch Entwicklungen aus anderen Teilen der Medizin einen Sprung gemacht hat." Hendrik Streeck und Björn Jensen, Infektiologe am Uniklinikum Düsseldorf, nehmen an, dass eine zukünftige Heilung wohl mehrere Behandlungsansätze kombinieren werde.
Millionen schwule Männer nutzen die Dating-App Grindr. Viele geben dort ihren HIV-Status an. Die sensiblen Daten teilt Grindr mit Externen wie einer Tochter des US-Konzerns Amazon.