Auf die Ohren: Nach Konzerten und Festivals hören wir oft wie "durch Watte".
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Was bedeutet ein Konzert für unser Gehör?
Schon eine Lautstärke von 85 Dezibel (dB) kann auf Dauer schädigend für das Gehör sein. Ein Rockkonzert erreicht rasch einen Schallpegel von 120 Dezibel - in Spitzen sogar mehr.
Was heißt das für unsere Ohren? Unmittelbar nach einem lauten Konzert kann es dazu kommen, dass wir kurzzeitig schlechter hören, sagt Dr. Ruth Lang-Roth. "Die Hörschwelle verschiebt sich", erklärt die Hals-Nasen-Ohren-Ärztin der Uniklinik Köln, "wir hören dann erst ab einer höheren Lautstärke. Das fühlt sich oft so an, als höre man durch Watte. Und oftmals kommen noch lästige Ohrgeräusche dazu."
In den meisten Fällen erhole sich das Gehör jedoch wieder, erklärt die Expertin. "Dann hören wir wieder normal, aber das kann mehrere Stunden dauern."
Welche Ohrstöpsel schützen am besten vor hoher Lärmbelastung?26.04.2023 | 5:22 min
Sind auch langfristige Gehörschäden möglich?
In der Regel bleibt es bei einer vorübergehenden Hörschwellenverschiebung, erklärt Sebastian Strieth, Professor und Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde an der Uniklinik Bonn. Dabei komme es aber auf zwei Faktoren an:
- Wie laut ist das Konzert?
- Wie lange sind wir den hohen Schalldruckpegeln ausgesetzt?
Wer zu oft ohne Gehörschutz auf Konzerten sei, könne einen bleibenden Lärmschaden davontragen - und dauerhaft schlechter hören.
"Ein bleibender Lärmschaden wird oftmals durch lästige Ohrgeräusche, einen Tinnitus, begleitet", erklärt Ärztin Lang-Roth. "Einfach gesagt: Man hört ein Piepen oder Sausen in den Ohren. Der Tinnitus verschwindet meist nach Minuten oder Stunden, kann aber - wenn man sich sehr oft hohen Lautstärken aussetzt - bleibend sein."
Wie schnell sich ein solcher langfristiger Schaden entwickelt, ist individuell unterschiedlich, erklärt Dr. Katharina Geißler von der Uniklinik Jena. "Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben im Lärm arbeiten und keine Lärmschwerhörigkeit bekommen", betont die Oberärztin an einer Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. "Es gibt aber auch Menschen, bei denen sich das relativ schnell entwickelt."
Lassen sich Lärmschäden medizinisch behandeln?
"Es gibt keine Therapie oder Tabletten, die ich einnehmen kann, damit sich mein Ohr besser erholt", erklärt Lang-Roth. "Bei einem nachgewiesenen Hörschaden können wir eine Therapie mit Kortison durchführen. Aber auch das ist letztendlich keine kausale Therapie, die direkt auf das Ohr wirkt, und damit sicher den dauerhaften Lärmschaden verhindern könnte."
Ab wann sollte man zum Arzt?
"Ich würde bereits zum Arzt gehen, wenn das Konzert am Sonntagabend war und ich am Montag immer noch nicht gut höre", empfiehlt Lang-Roth. "Dann würde ich beim HNO zum Hörtest vorbeigehen." Wer Beschwerden habe, solle allerspätestens am übernächsten Tag zum Arzt.
Aber wie finden wir heraus, ob wir schlechter hören? Strieth empfiehlt, in Gesprächen zu erhören, ob alles so gut verständlich sei wie sonst. Grundsätzlich gelte: lieber früher zum Arzt als später.
Sollte man sich auf Konzerten schützen? Und wie?
Um das Gehör zu schonen, ist ein Schutz für Lang-Roth und Strieth zwingend erforderlich. Dafür empfehlen sie
Ohrstöpsel. "Es gibt kostengünstige Ohrstöpsel in der Apotheke aus Silikon oder Schaumstoff, die schon eine recht gute Wirkung erzielen", erklärt HNO-Ärztin Lang-Roth. "Während eines Konzerts merkt man auch ganz gut, ob man sie richtig eingesetzt hat."
Es gebe auch - zu höheren Preisen - individuell angefertigte Ohrstöpsel, bei denen man einstellen könne, wie sehr sie dämpfen sollen. "Die benutzen zum Beispiel auch Profimusiker, damit sie sich ihr Gehör nicht schädigen und trotzdem Kontakt zu ihren Mitgliedern aus der Truppe haben können."
Laut Geißler sind sie die beste Option für alle, die oft auf Konzerten sind. "Zwar kosten sie beim Akustiker zwischen 150 und 180 Euro. Aber dafür halten sie sechs bis acht Jahre, wenn man sie regelmäßig sauber macht", sagt sie.
"Bei einem kostengünstigen Gehörschutz kommt es vor, dass die Musik sich nicht so schön anhört", so die HNO-Ärztin. "Dann nehmen viele ihre Ohrstöpsel wieder heraus - und so hat man wieder das Problem, dass man die laute Musik ungeschützt hört."
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Beim Musikhören mit Kopfhörern gibt es schon länger Lärm-Warnungen. Gibt es Apps, die wir bei Festivals zur Hilfe nehmen können?
"Es gibt Apps, mit denen man die Lautstärke messen kann, und damit ist schon eine Einschätzung möglich, ob ein Konzert kritisch laut ist", sagt HNO-Facharzt Strieth. "Diese Apps geben zum Teil auch eine Empfehlung, wie lange wir uns den Schalldruckpegeln aussetzen dürfen. Bei den meisten Konzerten werden wir aber relativ schnell die Empfehlung bekommen, den Ort zu verlassen."
So hat unter anderem der HNO-Berufsverband die kostenlose LärmApp entwickelt, die den Geräuschpegel am jeweiligen Standort misst und nach dem Ampel-Prinzip die Intensität der Belastung anzeigt.
Was, wenn man seine Ohrstöpsel vergessen hat?
"Dann sollte man den Lärm meiden und das Konzert verlassen", rät Prof. Strieth. "Ich würde nicht empfehlen, beispielsweise Papier in die Ohren zu stopfen - oder weiter weg von der Musikquelle zu gehen. Das schützt das Gehör leider nicht verlässlich."
HNO-Ärztin Geißler empfiehlt, sich generell von der Musikquelle fernzuhalten. "Nahe der Box ist es ganz besonders laut", erklärt die Expertin. "Es kann passieren, dass es da plötzlich mal sehr laut kracht oder knallt. Auch ein kurzes, aber dafür sehr lautes Ereignis reicht schon aus, um das Gehör zu schädigen."
Warum ist der Gehörschutz bei Kindern so wichtig?
Laut Strieth ist schon beim Besuch von Fußballstadien - erst recht bei Konzerten - ein wirksamer Gehörschutz für Kinder ratsam.
"Bei Kindern haben Begleitpersonen eine besondere Sorgfaltspflicht", betont Strieth. "Es ist nicht zu erwarten, dass Kinder sich von sich aus vernünftig verhalten."
Säuglinge und Kleinkinder gelten als besonders empfindlich gegenüber Lärm, erklärt Lang-Roth. "Eine Lärmschwerhörigkeit oder ein Tinnitus kann die Kinder in ihrer Entwicklung stärker beeinträchtigen", sagt die HNO-Ärztin. "Eltern und Angehörige tragen daher eine besondere Verantwortung, die Ohren der Kinder zu schützen. Sie sind sich auch der gehörschädigenden Wirkung von Karnevalspistolen oder ähnlich lauten Spielzeugen nicht bewusst."