Erdnussallergie:Wie man Erdnüssen ihre Gefahr nehmen kann
von Stephan Heise
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Menschen mit einer schweren Erdnussallergie leben gefährlich. Kleinste Erdnussspuren können zu einem lebensgefährlichen Schock führen. Neue Medikamente sollen die Gefahr eindämmen.
Menschen mit einer schweren Erdnussallergie stehen vor vielen Herausforderungen. Steffie Wohlleben erklärt, wie ihre Familie den Alltag meistert.20.06.2023 | 5:27 min
Oft kommt der allergische oder auch anaphylaktische Schock ganz überraschend. So wie bei Jule aus Haßfurt. Sie war damals zwei Jahre alt und wollte nur eine Schokoerdnuss naschen.
"Dann hat sie die Schokoerdnuss in den Mund genommen und sofort wieder ausgespuckt", erzählt Jules Mutter Steffie Wohlleben. "Hat gesagt: 'Es brennt, es brennt.' Innerhalb weniger Minuten waren die Lippen angeschwollen. Sie hat dann auch erbrochen."
Ein anaphylaktischer Schock ist eine allergische Akutreaktion des Immunsystems. Kommt es zu einem Kontakt mit einem Allergen, aktivieren Eiweißstoffe (IgE-Antikörper) sogenannte Mastzellen, woraufhin diese massenweise Botenstoffe ausschütten. Diese Reaktion ist unterschiedlich ausgeprägt. Bei einer leichten Anaphylaxie kommt es zu Hautrötungen oder Quaddeln. In schweren Fällen droht ein Atem- oder Herzstillstand. Im Ernstfall sollte man sofort einen Notarzt aufsuchen bzw. rufen. Mit einem Notfallset sind Anaphylaxiepatienten auch in der Lage, sich selbst mit Medikamenten zu versorgen. Anschließend sollte auch in diesem Fall ein Arzt aufgesucht werden.
Lebensgefahr durch anaphylaktischen Schock
In Deutschland sterben jährlich etwa 200 Menschen an einem anaphylaktischen Schock. Auslöser sind meistens Lebensmittel, aber auch Insektenstiche oder Medikamente. Es handelt sich dabei um die schwerste Form einer allergischen Reaktion. Die Symptome reichen vom Hautausschlag bis zum Atem- oder Kreislaufstillstand. Bei den Nahrungsmittelallergien rufen Erdnüsse und Nüsse besonders heftige Reaktionen hervor.
Das Problem sei, dass es keinen Vorhersagewert gebe, erklärt Katharina Blümchen, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Allergologin am Universitätsklinikum Frankfurt.
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Spuren von Erdnuss in Lebensmitteln ein Problem
Große Herausforderungen erwarten Erdnussallergiker im Supermarkt. Hier müssen sie jedes einzelne Lebensmittel nach Erdnussspuren untersuchen. Denn Spuren von Erdnüssen können sich in fast jedem verarbeiteten Lebensmittel befinden. Sogar im Salz, weil es bei der Herstellung zu Kreuzkontaminationen kommen kann, etwa wenn Hersteller neben Salz auch Erdnüsse verarbeiten.
Über Mühlen oder Transportbänder können winzige Erdnussspuren also in Lebensmittel gelangen, in denen man sie kaum vermutet. Übrigens: Hersteller sind nicht verpflichtet, auf Spuren in Lebensmitteln hinzuweisen. Bei Lebensmittelverpackungen ohne Spurenhinweise stehen Betroffene oft vor einem Dilemma.
Um keine Fehler zu machen, kann man sich auch tierische Hilfe holen. Etwa ein Jahr dauert die Ausbildung zum Allergiehund, bei der die Tiere lernen, bestimmte Gerüche wie Erdnüsse zu melden. Zum Beispiel bei Backwaren sind sich Betroffene oft nicht sicher, ob sich Erdnussspuren darin befinden.
Hier kann der Allergiehund helfen, indem man kleine Proben von ihm schnüffeln lässt. Verharrt er über der Lebensmittelprobe und schaut nach oben, heißt das: Vorsicht, enthält Spuren von Erdnüssen. Im Prinzip kann man das allen Hunderassen antrainieren.
Erdnussallergiker müssen für den Notfall gewappnet sein
Weil schon kleinste Erdnussspuren gefährlich sein können und Spuren von Erdnüssen eben auf vielen Produkte nicht deklariert sind, sollten Erdnussallergiker für den Ernstfall ständig ein Notfallset mit einem Adrenalinpen und weiteren Medikamenten dabei haben. Mit einem Autoinjektor können Patienten oder Angehörige im Notfall selbst Adrenalin in den Oberschenkel spritzen. Für diesen Fall werden sie zuvor vom Arzt eingewiesen.
Kommen Patienten ohne Notfallset rechtzeitig in die Klinik, kann ihnen mit Adrenalin und weiteren Medikamenten wie Cortison und Fenistil geholfen werden. In den meisten Fällen bewirkt Adrenalin nach fünf bis zehn Minuten, dass die Symptome schnell wieder abklingen. Je eher man ärztliche Hilfe bekommt, desto besser.
Neue Ideen zur Hyposensibilisierung
Heilen kann man eine Erdnussallergie nicht. Allerdings wurde im Dezember 2020 in Deutschland erstmals das Medikament Palforzia zugelassen. Das Pulver enthält Erdnussproteine. In geringen Dosen wird es in Apfelmus oder Pudding eingerührt und anfangs unter ärztlicher Aufsicht verabreicht. Dadurch soll es zu einer Hyposensibilisierung kommen.
Das Immunsystem soll sich mit der Zeit an kleine Erdnussmengen gewöhnen. Ziel ist, dass kleinste Spuren von Erdnüssen dann nicht mehr sofort zu einem anaphylaktischen Schock führen. Außerdem wird im Moment auch an Pflastern geforscht, die Erdnussproteine in geringen Dosen an die Haut abgeben.
"Das Ziel ist nicht, den Patienten zu heilen", erläutert Allergologin Blümchen, die an den Forschungen zur Hyposensibilisierung am Universitätsklinikum Frankfurt beteiligt ist. Aber wenn die Reaktionsschwelle nach oben geschoben werde und die Patienten nicht mehr bei versehentlichen Spuren von Erdnüssen körperlich ansprächen, seien sie geschützt, schwer zu reagieren, so Blümchen.
Palforzia (AR101) basiert auf entfetteten Erdnussproteinen und ist für Kinder ab vier Jahren zugelassen. Vor allem zu Beginn einer Behandlung muss es vorsichtig und unter ärztlicher Aufsicht gegeben werden. "Die meisten Patienten haben Nebenwirkungen wie Kribbeln im Mund, Bauchschmerzen, Übelkeit. Aber je länger man diese Dosis zu sich nimmt, desto weniger werden dieses Kribbeln, Bauchschmerzen oder Übelkeit. Manche Patienten haben auch gar kein Problem. Manchmal kann es auch zu schwereren Symptomen kommen. Das ist aber relativ selten", erklärt Katharina Blümchen, Allergologin am Universitätsklinikum Frankfurt.
Neue Hoffnung machten vor kurzem Studien zur Hyposensibilisierung mit Pflastern, die noch nicht offiziell zugelassen sind. Demnach könnte bei zwei von drei Kindern die Toleranz gegenüber Spuren von Erdnüssen leicht verbessert werden.
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