Selbstdiagnose via Social Media? - Wie zuverlässig das ist
Gesundheitsinfos aus dem Netz:Risiko Selbstdiagnose via Social Media
von Julia Ludolf und Sophie Petersen
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In Sozialen Netzwerken werden zunehmend psychische Erkrankungen thematisiert. Das entstigmatisiert, sorgt aber für Kritik. Wie zuverlässig sind medizinische Infos aus dem Netz?
Wer Symptome googelt, stößt schnell auf die verschiedensten Diagnosen. Auch in Sozialen Netzwerken werden Methoden zur Selbstdiagnose verbreitet. Wie hilfreich oder riskant das sein kann, erklärt Medizinjournalist Dr. Christoph Specht.12.04.2023 | 10:10 min
Videos auf Instagram und TikTok, in denen Nutzer verschiedene Verhaltensweisen als mögliche Symptome einer bestimmten Krankheit einstufen, gewinnen immer mehr an Reichweite unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Arzt und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht und die psychologische Psychotherapeutin Dr. Britta Worringer ordnen ein, wie fragwürdig oder hilfreich Selbstdiagnosen mit Methoden aus dem Netz sind.
Laut Statistiken wird bei immer mehr jungen Menschen eine psychische Krankheit diagnostiziert. "Es wird häufig die Frage gestellt: Kommen psychische Erkrankungen häufiger vor oder werden sie eher erkannt?", so Specht. Wahrscheinlich stimme beides. Dass sie häufiger erkannt werden, ließe sich jedoch sicher sagen, erklärt der Arzt.
Frage stellen: Woher stammen die Informationen?
"Es ist ein zweischneidiges Schwert", so Specht weiter.
Bei früheren Medien sei die Hürde größer gewesen, medizinische Informationen zu veröffentlichen. Heute hingegen könne jeder unkontrolliert vor allem in den Sozialen Netzwerken veröffentlichen, erläutert Specht. Für die Rezipienten sei es schwieriger zu beurteilen, ob die Information richtig oder Scharlatanerie sei.
Diagnosen oft komplex
Auf Social-Media-Plattformen werden oft Selbsttests vorgestellt, durch die ein User oder eine Userin einschätzen können soll, ob er oder sie beispielsweise unter Depressionen oder ADHS leidet. Durch die neu gewonnene Aufmerksamkeit wird einerseits zur Enttabuisierung von psychischen Krankheiten beigetragen, andererseits birgt diese Form der Thematisierung Risiken:
Die Abkürzung ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Dahinter verbirgt sich eine der häufigsten psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Man nimmt an, dass etwa 2 bis 6 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter krankhaften Störungen der Aufmerksamkeit und an motorischer Unruhe leiden. Charakteristisch für ADHS sind folgende drei Symptome:
Ob eine krankhafte Störung vorliegt, kann nur ein in der Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten erfahrener Arzt oder Psychotherapeut nach einer differenzierten Untersuchung feststellen.
Quelle: bundesgesundheitsministerium.de
Gefangen in der "Blase" der Algorithmen
Bei der Informationsbeschaffung im Internet stellen Algorithmen ein weiteres Risiko dar. Diese zeigen User und Userinnen vorrangig Informationen aus der eigenen "Bubble" an. Die Bubble entsteht durch Startseiten, Accounts oder Websites, die dem Nutzerprofil angepasst werden. Wenn ein User oder eine Userin sich beispielsweise über die Krankheit ADHS informiert, werden ihm oder ihr zunehmend Inhalte ausgespielt, die in Zusammenhang dazu stehen.
Dazu erklärt Christoph Specht: "Wenn ich zum Beispiel einen Garderobenschrank suche und in den nächsten Wochen ständig Werbung für Garderobenschränke ausgespielt bekomme, dann mag das kein Problem sein. Wenn man jedoch in eine Blase mit Informationen zu psychischen Erkrankungen hineinkommt, fehlt einem die wichtige ärztliche Begleitung und Diagnose."
Die intensive Beschäftigung mit sozialen Medien führt oft dazu, dass sich Nutzer*innen selbst nicht gut bzw. nicht gut genug finden. Mit welchen Strategien kann man dem entgegenwirken? Psychologe Leon Windscheid im Gespräch.24.11.2022 | 10:15 min
Medikamente bei Selbstdiagnose nicht auf Verdacht nehmen
Teils werden in den Sozialen Netzwerken Hilfsmittel und Medikamente beworben, die möglicherweise nicht zur gewünschten Genesung führen oder gar schaden können: "Wer keine ärztliche Diagnose hat, kann nicht einschätzen, welche Medikamente oder Behandlungen geeignet sind."
Im Vordergrund stünde zudem häufig nicht die Linderung von Symptomen. Gerade bei Social Media ginge es um Klickraten, ergänzt Specht. Mögliche Nebenwirkungen gerieten in den Hintergrund, daher sollten Medikamente bei einer Selbstdiagnose nicht auf Verdacht eingenommen werden.
Bei Verdacht: Zusätzlich fachlichen Rat einholen
"Wer sein Verhalten selbst medizinisch einordnet und eine Diagnose stellt, sollte sich zusätzlich fachlichen Rat einholen", sagt Specht. Er warnt vor den Risiken einer Selbstdiagnose: "Man braucht den individuellen Kontakt. Eine Therapie ist im besten Fall immer individuell und kann schlecht allgemein via Social Media durchgeführt werden."