Lehren aus Corona-Krise: Was sich für Kliniken ändern muss
Interview
Lehren aus der Corona-Pandemie :Gesundheitssystem "fundamental reformieren"
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Intensivmediziner Christian Karagiannidis spricht über Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie, die Personalprobleme in Krankenhäusern und die Gesundheitsreform von Karl Lauterbach.
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ZDFheute: Was ist für Sie die wichtigste Lehre aus der Corona-Pandemie?
Christian Karagiannidis: Ich glaube, dass wir aus Krankenhaus-Sicht gelernt haben, dass man eigentlich sehr gut zusammenarbeiten kann, wenn man sich gut vernetzt. Dass man die Patienten so auch sehr gut versorgen kann.
Eigentlich sollten wieder dazu zurückkommen, dass wir in Zukunft viel mehr in regionalen Netzwerken zusammenarbeiten.
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ZDFheute: Welche Defizite sind für Sie durch die Pandemie besonders sichtbar geworden?
Karagiannidis: Wir haben in der Pandemie Personal verloren. Insbesondere Pflegepersonal, das uns ja sowieso so an allen Ecken und Enden fehlt. Und das wird durch den demographischen Wandel nochmal deutlich schlimmer werden.
Wir haben auch nicht geschafft, unser Gesundheitssystem so umzustrukturieren, dass wir auf die kommenden Herausforderungen wirklich gut reagieren können: Vor uns liegt ein demographischer Wandel, der dazu führen wird, dass wir pro Jahr in den nächsten zehn Jahren 500.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Ruhestand verlieren werden, die nicht nachbesetzt werden. Und das wird vor allem das Gesundheitssystem sehr stark betreffen.
Das heißt: Wir müssen jetzt die Ressourcen, die wir haben, so effizient nutzen, dass wir über diese Phase wirklich gut rüberkommen. Und da sehe ich im Moment noch nicht diesen Geist in Deutschland, dass wir wirklich harte Reformen gemeinsam durchsetzen wollen. Den bräuchte es aber, um das konkret anzugehen.
Quelle: Kliniken der Stadt Köln
… ist Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin und leitet das ARDS und ECMO-Zentrum an der Lungenklinik Köln-Merheim/Universität Witten/Herdecke.
Im Februar/März 2020 baute er zu Beginn der Corona-Pandemie das Intensivregister der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin (DIVI) auf, zusammen mit einem Kernteam der DIVI und des Robert-Koch-Instituts. Seither ist er einer der beiden medizinisch-wissenschaftlichen Leiter.
Er wurde 2021 als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) in den Corona-Expert*innenrat der Bundesregierung berufen und ist Mitglied der Regierungskommission Krankenhaus.
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ZDFheute: Ist die Gesundheitsreform, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgeschlagen hat, der richtige Weg?
Karagiannidis: Ich glaube, Karl Lauterbach hat einen sehr guten Weg eingeschlagen. Wir sind das erste Mal wirklich auf dem Weg, dass wir Daten für die Forschung bekommen, dass wir eine elektronische Patientenakte bekommen. Da hat schon Ulla Schmidt vor 20 Jahren drüber gesprochen, und wir sind jetzt endlich dabei, das hoffentlich umzusetzen.
Aber ich glaube wir werden es nur dann umsetzen können, und die Bevölkerung mitnehmen, wenn die demokratischen Kräfte jetzt auch wirklich zusammen sagen, wir müssen fundamental reformieren. Und durch eine Verbesserung der Qualität ist es dann auch akzeptabel, wenn das nächste Krankenhaus vielleicht mal 40 Minuten entfernt ist und nicht nur 30 Minuten.
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ZDFheute: Wenn es zum Krankenhaus längere Wege gibt, ist das nicht ein Widerspruch, wenn man bei einer pandemischen Risikolage schnell reagieren muss?
Karagiannidis: Wichtig ist einerseits der sehr gut ausgebaute Rettungsdienst in Deutschland, den wir ja in Zukunft aufrechterhalten wollen. Er ist dafür verantwortlich, dass wir zum Beispiel die Herzinfarkte oder Schlaganfälle sehr schnell versorgen. Für eine qualitativ hochwertige Versorgung brauche ich aber große Teams. Und die hab' ich nur an großen Krankenhäusern. Ich glaube, wenn wir ein paar mehr große Krankenhäuser hätten und dafür ein paar weniger kleine, dann wäre das für die zukünftigen Gesundheitsgefahren, die auf uns zukommen, eher günstiger, als an dem jetzigen Zustand festzuhalten.
Christian Karagiannidis sieht die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern auf unterschiedlichen Ebenen als eine sehr gute Folge der Pandemie an: "In der Pandemie haben die Krankenhäuser das erste Mal miteinander gearbeitet." Vorher seien die Kliniken in erster Linie in Konkurrenz zueinander gewesen.
Laut ihm hat sich während der Pandemie das Dreieck der Zusammenarbeit von Bundesgesundheitsministerium (BMG), Robert-Koch-Institut (RKI) und dem DIVI-Intensivregister bewährt. Mit dieser Kooperation sei innerhalb kurzer Zeit erstmalig eine Kapazitätsübersicht über die Situation auf den Intensivstationen generiert worden, so Karagiannidis.
Quelle: aerzteblatt.de
ZDFheute: SARS CoV2 hat uns ja vor Herausforderungen gestellt, die den Eindruck erweckten, man habe aus früheren infektiösen Ereignissen wie zum Beispiel der Schweinegrippe nicht viel gelernt. Glauben Sie, das wird künftig anders sein?
Karagiannidis: Also wir haben aus der Pandemie ein paar gute Sachen mit rüber gezogen, merken aber im Moment, dass durch die gesamtgesellschaftliche Lage, die ja schon so eine drückende Stimmung macht, und durch die extrem schwierige finanzielle Situation der Krankenhäuser auch ein großer Teil von diesem Spirit, den wir mal hatten, wieder verloren geht. Und das ist besonders schade, weil wir haben in der Pandemie gute Sachen gemacht, die wir jetzt eigentlich rüber retten sollten.
Das Interview führte Dr. Thomas Bleich.Er ist Arzt und Redakteur der werktäglichen ZDF-Sendung "Volle Kanne - Service täglich".
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